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„Er ist hier aufgeblüht“, sagt Niederlassungsleiter Björn Hein (rechts) über Jonas Neumann. Der 22-Jährige verpackt die Displayfolien, die Time Seven herstellt.

© Georg Moritz

Bestes Kleinunternehmen 2014: Nur nicht schüchtern

„Das ist meine Chance, etwas zu bewegen“, dachte sich Jens Wasel, als er „Time Seven“ gründete. In der Firma arbeiten Taubstumme, Epileptiker, Menschen mit Lernschwächen. Und jeder wächst mit seinen Aufgaben.

Eine Werkhalle irgendwo in einem Charlottenburger Industriegebiet: Mitarbeiter stehen am Laserschneider und sortieren und verpacken Displayschutzfolien für große Smartphone- und Tablet- hersteller wie Samsung, Apple oder HTC. Die Time Seven GmbH wirkt wie eine ganz normale Firma, doch sie zeichnet sich durch eine Besonderheit aus: Sechs der zwölf Mitarbeiter haben eine psychische oder physische Behinderung. Eine Quote von 50 Prozent – die man außerhalb von Behindertenwerkstätten nur sehr selten vorfindet.

Was bei anderen Firmen ein revolutionärer Schritt wäre, ist bei Time Seven normaler Arbeitsalltag. Für sein Engagement in Sachen Inklusion erhielt der Betrieb vergangenen Freitag den Berliner Inklusionspreis 2014 in der Kategorie „Kleinunternehmen“, der mit 10 000 Euro dotiert ist.

Das Schwesterunternehmen KW Commerce besteht seit 2011 und vertreibt Smartphone-Zubehör und Modeaccessoires im Internet; gehandicapte Mitarbeiter waren immer dabei. „Zu Beginn haben wir nur einen schwer behinderten Mitarbeiter beschäftigt“, sagt Geschäftsführer Jens Wasel. „Dabei haben wir schnell gemerkt, wie gering die Unterschiede zwischen Menschen mit und ohne Behinderung sind. Dinge werden einfach anders gesehen und anders gemacht.“

Neue Ideen hört sich der Chef immer an

Derzeit arbeiten Menschen mit verschiedensten Einschränkungen bei dem Displayfolien-Produzenten: Taubstumme, Epileptiker, Menschen mit Lernschwächen. Wasel beeindruckte vor allem das Engagement und die Hingabe, mit der sie an ihre Arbeit gehen. „Mit gezielter Förderung birgt das ein großes wirtschaftliches Potenzial. Mit der Entscheidung zur Unternehmensgründung war sofort klar: Das ist meine Chance, etwas zu bewegen, eben auch sozial.“

Die Mitarbeiter danken es dem Unternehmer. „Es gefällt mir hier sehr: Man darf mitreden und mitdenken, und meine Ideen werden von der Geschäftsleitung akzeptiert“, sagt David Dehmel, der vor fünf Monaten zu Time Seven stieß. Der 36-jährige Familienvater hat eine seelische Störung und ist in seiner Leistungsfähigkeit eingeschränkt. Zuvor hatte er als Tellerwäscher und Tresenkraft gearbeitet, danach in einer Behindertenwerkstatt. Dort gefiel es Dehmel nicht: „Das hat mir nichts gebracht, dort musste man immer nur genau das tun, was einem gesagt wurde.“

Time Seven arbeitet eng mit verschiedenen Berliner Behindertenwerkstätten zusammen, von denen immer wieder Praktikanten übernommen – und später nicht selten unbefristet eingestellt – werden. Je nach Umfang der Einschränkung besuchen regelmäßig Betreuer der Werkstätten die jeweiligen Mitarbeiter, um Gespräche zu führen und sicherzustellen, dass sie bei der Arbeit alles haben, was sie brauchen.

Die Mitarbeiter werden intensiv betreut

Auch Niederlassungsleiter Björn Hein fragt bis zu zweimal am Tag, ob alles in Ordnung ist – denn manche Mitarbeiter seien sehr schüchtern: „Einer unserer Werker hatte Rückenprobleme, traute sich aber nicht, das zu sagen. Als wir das bemerkten, hat er natürlich sofort den ergonomischen Stuhl bekommen, den er brauchte.“ Generell gibt es höhenverstellbare und ergonomische Arbeitsplätze, damit je nach Bedarf im Stehen oder im Sitzen gearbeitet werden kann.

Das Maß an Betreuung und Kommunikation sei sehr hoch, betont Ausbilder Hein; auf jeden Mitarbeiter werde eingegangen. Gehörlose haben einen Dolmetscher, die Arbeitsplätze werden individuell eingerichtet oder Lampen je nach Lichtempfindlichkeit ausgesucht – Hein weiß über jede Einschränkung genau Bescheid.

„Manchem Werker muss man Arbeitsabläufe mehrmals erklären oder ihnen die Hand führen, damit sie die entsprechenden Handgriffe lernen“, sagt Hein. Für ihn komme es nicht darauf an, dass jeder die gleiche Leistung bringt: „Für mich zählt nur, ob der Mitarbeiter motiviert ist.“

"Wir fördern die Selbstständigkeit"

Eine Einstellung, die auch bei Jonas Neumann gut ankommt: „Hier sind alle sehr nett, in der Werkstatt gab es früher immer wieder Streitigkeiten.“ Der 22-Jährige hat eine Lernschwäche und arbeitete bis vor wenigen Monaten in einer Behindertenwerkstatt, davor hatte er Autos gewaschen und Felgen gereinigt.

Bei Time Seven sortiert und verpackt er Displayfolien, bei anderen Dingen wie dem Aufbauen von Regalen braucht er Hilfe. „Er ist hier richtig aufgeblüht und ist super bei uns integriert“, sagt Hein. „Wir fördern die Selbstständigkeit der Leute, und die übernehmen irgendwann Arbeiten, die sie sich anfangs gar nicht zugetraut haben.“

Das motiviert auch Mitarbeiter David Dehmel: „Ich wollte immer mehr, wollte immer höher hinaus. Ich hoffe, hier irgendwann als Assistent zu arbeiten.“ Dazu ist er schon auf einem guten Weg: Bereits jetzt kümmert er sich unter anderem um die Betreuung der Praktikanten des Displayfolien-Herstellers.

Bislang hat das Unternehmen durchweg positive Erfahrungen mit dem Thema Inklusion gemacht. Wo andere Firmen häufig nur eine Belastung sehen, sieht Jens Wasel in seinen gehandicapten Werkern vor allem Vorteile: „Ich habe bei behinderten Mitarbeitern ein Maß an Ehrlichkeit und Loyalität erfahren dürfen, dass ich so selten bei anderen Menschen erleben konnte.“

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