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Unzählige Kinder sind Opfer von Missbrauch.

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CDU-Politiker Luczak zum umstrittenen neuen Sexualstrafrechts-Gesetz: „Bewährungsstrafen werden die Ausnahme“

Experten kritisieren den Entwurf des Sexualstrafrechts-Gesetzes. CDU-Rechtspolitiker Jan-Mario Luczak erklärt, weshalb er trotzdem Verbesserungen erkennt.

Jan-Marco Luczak (45) ist Mitglied der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag und vertritt den Berliner Wahlkreis Tempelhof-Schöneberg. Der Rechtsanwalt ist Sprecher seiner Fraktion im Rechtsausschuss des Bundestags, der derzeit über den Entwurf des neuen Sexualstrafrechts-Gesetzes diskutiert. Teile des Entwurfs sind unter Fachleuten sehr umstritten.

Herr Luczak, hochrangige Richter und Staatsanwälte, aber auch der Missbrauchsbeauftrage Johannes-Wilhelm Rörig kritisieren sehr stark diverse Punkte im Entwurf des neuen Sexualstrafrechts. Sie haben diese Kritiker im Rechtsauschuss angehört. Gibt es Punkte, die zumindest von der CDU/CSU-Fraktion schon aufgenommen wurden?

Die Kritik der Experten nehmen wir sehr ernst. Bis auf eine Sachverständige haben etwa alle den neuen Begriff „sexualisierte Gewalt“ abgelehnt. Das teilen wir als Union. Die bisherige Terminologie „sexueller Missbrauch von Kindern“ macht jedem deutlich worum es geht, um widerliche Verbrechen an den Schwächsten in unserer Gesellschaft, die hart bestraft werden müssen. Dieser Begriff ist auch in der juristischen Fachpraxis etabliert und die Rechtsprechung kann damit gut umgehen. Die neue Begrifflichkeit birgt hingegen viele Auslegungsschwierigkeiten und damit Rechtsunsicherheiten Das haben wir unserem Koalitionspartner und dem Bundesjustizministerium sehr deutlich gemacht.

Was ist der Unterschied zwischen „sexueller Gewalt“ und „sexuellem Missbrauch“?

Der Begriff Gewalt ist in der Rechtsprechung klar und relativ eng definiert. Es besteht daher die Gefahr, dass Übergriffe auf Kinder nicht mehr ohne weiteres erfasst werden. Denn manche Täter manipulieren ihre Opfer, überreden diese etwa dazu, sexuelle Handlungen an sich oder anderen vorzunehmen. Oder sie masturbieren vor einem Kind. Sowohl juristisch als auch umgangssprachlich kann solches Täterverhalten nicht ohne weiteres als Gewalt eingeordnet werden. Es drohen also Strafbarkeitslücken, wenn solche Taten vom Gesetz möglicherweise nicht mehr erfasst werden. Zumindest schaffen wir Auslegungsprobleme und Rechtsunsicherheit, die zulasten der Opfer gehen könnten.

Ein Täter, der ein Opfer dazu bringt, sexuelle Handlungen an sich vorzunehmen, könnte möglicherweise schwer wegen sexueller Gewalt verurteilt werden, weil es ja keinen Körperkontakt gab.

Wir müssen uns vergegenwärtigen, dass es Taten gibt, die zweifellos sexuellen Missbrauch darstellen, bei denen aber kein Körperkontakt stattfindet und die deshalb nur schwer unter dem Begriff Gewalt zusammengefasst werden können. Das Verfassungsrecht stellt im Strafrecht hohe Anforderungen an die Bestimmtheit von Normen. Taten, die nicht klar und unmissverständlich verboten sind, dürfen nicht bestraft werden. Deswegen hoffen wir, dass wir in diesem Punkt mit unserem Koalitionspartner eine Einigung erzielen.

Opfer solcher Manipulationen sind ja nahezu immer Kinder.

Genau und leider erleben wir immer wieder, dass missbrauchte Kinder sich selbst die Schuld zuweisen. Sie werfen sich vor, sich falsch verhalten, etwa ihren Peiniger provoziert zu haben. Ich will verhindern, dass manipulierte Kinder sich am Ende fragen, ob sie überhaupt Opfer sind, weil sie sich sagen: Es gab doch keine körperliche Gewalt, also bin ich kein Opfer. Ich bin ja selber schuld. Das dürfen wir nicht befördern.

In diesem Punkt besteht aber nicht parteiübergreifend Einigung?

Nein, bis jetzt  beharrt das Justizministerium trotz der massiven Kritik der Sachverständigen auf der missverständlichen Terminologie.

Haben Sie weitere Punkte der Kritiker übernommen?

Es ist ganz klar, dass wir nicht bloß Strafrahmen erhöhen, sondern auch auf eine umfassende Prävention achten müssen. Ziel ist ja nicht allein die Bestrafung von Tätern, sondern die Verhinderung des Missbrauchs von Kindern. Deswegen muss der Verfolgungsdruck auf Täter unbedingt erhöht werden. Nur die Gefahr einer Entdeckung schreckt Täter ab.

Wie wollen Sie  Missbrauch konkret verhindern?

Wir möchten zum Beispiel, dass Personen, die im Verdacht des sexuellen Missbrauchs stehen, leichter in Untersuchungshaft genommen werden können. Uns ist wichtig, dass diese keine weiteren Taten begehen können. Trotz Unschuldsvermutung halten wir das für angemessen und notwendig mit Blick auf den Schutz unserer Kinder.

Für Untersuchungshaft gibt es jetzt klare Kriterien. Welche Kriterien wollen sie verändern oder ergänzen?

Es gibt bereits heute die Möglichkeit, jemanden in U-Haft zu nehmen, wenn der dringende Verdacht besonders schwerer Taten vorliegt, auch wenn weder Flucht- noch Verdunkelungsgefahr bestehen. Zu diesen Taten soll zukünftig auch der sexuelle Missbrauch von Kindern zählen.

Wie wird der Fahndungsdruck noch erhöht?

Indem wir sexuellen Missbrauch von Kindern als das bestrafen, was er ist, als Verbrechen. Die Erhöhung des Strafrahmens und die Einstufung als Verbrechen ist mehr als ein bloßes Signal des Gesetzgebers. Natürlich geht es uns als Union auch darum, dass die Schwere des Unrechts damit deutlich gemacht wird. Damit gehen aber auch ganz konkrete Rechtsfolgen einher. Durch die Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr werden Bewährungsstrafen zur Ausnahme, Täter können nicht ohne weiteres wieder auf freien Fuß gesetzt werden. Durch die Einstufung als Verbrechen können auch die Verkehrsdaten eines Verdächtigen einfacher erhoben werden als bisher. Die Ermittlungsbehörden können Täter so leichter überführen und aus dem Verkehr ziehen. Es hat lange gedauert, bis unser Koalitionspartner diesen Weg mitgegangen ist. Es ist  gut, dass wir nun gemeinsam vorankommen und Kinder besser schützen.

Jan-Marco Luczak.

© promo

Aber genau diese Einstufung von Taten, die bislang als Vergehen bewertet und in Zukunft Verbrechen sind, ist der Kern der Kritik der Experten. Der Missbrauchsbeauftragte Rörig schildert das Problem an einem realen Fall. Eine 13-Jährige hatte kurz vor ihrem 14. Geburtstag einen Zungenkuss mit einem 21-Jähriger. Dieser Zungenkuss gilt bisher als Vergehen. Jetzt soll er ein Verbrechen sein. Ist das angemessen?

Das ist sicher ein Grenzfall. Es gibt natürlich Konstellationen, die unterschiedlich bewertet werden müssen. Deswegen sieht das Gesetz etwa die Möglichkeit vor, von Strafe abzusehen, wenn Kind und Täter in Alter und Entwicklungsstand ähnlich sind, also zum Beispiel, wenn eine 13-Jährige mit ihrem 14-Jährigen Freund einen Zungenkuss austauscht. Es gibt weitere Möglichkeiten für ähnlich gelagerte Fälle, bei denen das Unrecht nicht so schwer wiegt, dass eine harte Strafe folgen muss. Nach dem Jugendgerichtsgesetz können auch heute schon unter bestimmten Voraussetzungen Strafermittlungen wegen Verbrechen eingestellt werden und diese müssen auch nicht zwingend in öffentlicher Hauptverhandlung verhandelt werden. Das ist alles heute schon möglich und wird durch das neue Gesetz nicht tangiert.

Herr Rörig redet aber nicht vom 14-Jährigen, sondern vom 21-Jährigen.

Auch solche Fälle sind bereits heute vom Strafgesetzbuch adressiert. In einem solchen  Fall wäre zu fragen, ob die Erheblichkeitsschwelle überschritten ist und das Verhalten überhaupt strafbar ist.

In Zukunft soll es auch keine Strafbefehle mehr geben. Auch diese Änderung kritisieren hochrangige Experten nachdrücklich. Sie sagen, die Praxis zeige, dass viele Täter gestehen, wenn sie bloß Strafbefehl erhalten, der sie vor einem öffentlichen Prozess bewahrt. Fällt diese Möglichkeit weg, dann schweigen sie. Dann muss die Staatsanwaltschaft die Tat nachweisen. Doch genau das ist bei unsicherer Beweislage oft sehr schwierig. Ein schuldiger Täter würde dann freigesprochen. Das nimmt die CDU/CSU in Kauf?

Wir haben uns natürlich mit Praktikern über diese Frage ausgetauscht. Und natürlich gibt es manchmal eine unsichere Beweislage. Aber wenn es die gibt, kann man ja auch fragen: Ist denn der Strafbefehl richtig? Die Schuld muss in einem rechtsstaatlichen Verfahren zweifelsfrei nachgewiesen werden.

Wenn der Täter gesteht, ist sie nachgewiesen. Er gesteht ja nicht, wenn er unschuldig ist.

Ganz so eindeutig ist das manchmal nicht. Außerdem muss man sich auch vergegenwärtigen, dass bei einem Strafbefehl sich kein Gericht einen persönlichen Eindruck vom Täter verschaffen kann. Auch das kann enorm wichtig sein und spricht für eine öffentliche Hauptverhandlung. Aus der Praxis wurde uns auch der Fall geschildert, dass sich erst im Prozess ergeben hat, dass der Angeklagte pädophile Neigungen besaß. Das wäre im Strafbefehlsverfahren unentdeckt geblieben, und der Täter hätte schneller wieder sein Unwesen treiben können. Deswegen darf man die Hauptverhandlung nicht bloß negativ betrachten und das Strafbefehlsverfahren nur positiv. Es kommt immer auf den Einzelfall an. Wir denken, dass der Erfolg durch die Erhöhung des Verfolgungsdrucks mögliche negative Punkte aufwiegt.

Das wiegt die Nachteile auf gar keinen Fall auf, sagen Experten wie der Missbrauchsbeauftragte und Richter Johannes-Wilhelm Rörig. Er sagt, viele Fälle, in denen der Täter mit der Aussicht auf einen Strafbefehl gesteht, können wir nicht nachweisen, wenn er in der Hauptverhandlung schweigt. Dann ginge ein Angeklagter als freier Mann aus dem Gerichtssaal.

Diese Kritik wird tatsächlich erhoben. Aber empirische Belege dafür gibt es nicht. Niemand weiß, was in einer Gerichtsverhandlung herausgekommen, ob der Täter nicht dort auch verurteilt worden wäre.

Eine Staatsanwältin, die viele Sexualdelikte anklagt, sagt, es sei völlig illusorisch, zu glauben, es käme oft zu einer Verurteilung, wenn Aussage gegen Aussage stehe, weil es keine Zeugen gibt.

Ja, natürlich gibt es diese Konstellationen, aber es gibt auch andere. Und es geht um schwere Vorwürfe. Da ist es wichtig, dass ein Gericht einen Täter sieht und dass es ihn einschätzen kann.

Die Experten gehen auch davon aus, dass die Verhandlungen sehr lange dauern, weil die Verteidigung auf konfrontative Auseinandersetzungen mit der Staatsanwaltschaft setzen. Sie würden die Verfahren torpedieren. Es sei auch für Kinder extrem schwierig, nochmal in einer Hauptverhandlung auszusagen.

Natürlich gibt es Verteidiger, die eine Konfliktstraegie verfolgen. Das kann für ein Opfer sehr belastend sein. Wir als Union setzen uns daher für das sogenannte Mainzer Modell ein, dass kindliche Opferzeugen schützen soll. Dabei findet die Vernehmung außerhalb des Gerichtssaales durch den Vorsitzenden des Gerichtes in einem Nebenraum statt. Damit wird dem Opfer die direkte Konfrontation mit dem Täter erspart.

Die Kritiker befürchten auch, dass viele Anklagen erst gar nicht erhoben werden, weil die Staatsanwaltschaft keine großen Chancen auf einen Schuldspruch sieht, wenn die Beweislage unsicher ist.

Ich habe großes Vertrauen in unsere Staatsanwaltschaften, dass sie gut ausermitteln und jene Fälle anklagen, bei denen sie mit einer hohen Wahrscheinlichkeit von einem Schuldspruch ausgehen.

Die besagte Staatsanwältin verweist darauf, dass sie pro Jahr eine bestimmte Zahl von Fällen erledigen muss. Wenn sie diese Vorgabe erfüllen soll, bestehe die Gefahr, dass sie bloß noch die leichten, unkomplizierten Fälle bearbeite und die schweren, zeitraubenden liege lasse. Die kämen im Zweifelsfall gar nicht vor Gericht.

Diese Einschätzung teile ich nicht, ich habe dazu viele Gespräche mit Staatsanwälten geführt. Natürlich wird priorisiert, aber es sind gerade die schweren Fälle, in denen gesagt wird, die müssen angeklagt werden. Aber es ist richtig: Wenn wir mehr Ermittlungsmöglichkeiten schaffen, muss die Justiz in den einzelnen Ländern so ausgestattet sein, dass sie diese auch optimal nutzen kann. Da müssen sowohl die personelle Ausstattung als auch die Sachmittel vorhanden sein. Deshalb haben wir als Union den Pakt für den Rechtsstaat in der Koalition durchgesetzt und den Ländern Mittel für 2000 neue Richter und Staatsanwälte bereitgestellt.

Aber die traurige Praxis sieht so aus, dass in allen Ländern teilweise dramatisch viele Staatsanwälte, Richter, aber auch entsprechende Gerichtssäle fehlen. Und das ist der Stand vor dem neuen Sexualstrafrecht, das noch mehr Personal erfordert.

Wir als Bund stellen den Ländern viele Millionen zur Verfügung, damit Personal eingestellt werden kann. Und das obwohl Justiz Ländersache ist. Es ist die ureigene Aufgaben der Länder, ihre Justiz entsprechend auszustatten. Eine funktionsfähige Justiz ist für das Vertrauen in den Rechtsstaat elementar, deswegen engagieren wir uns hier auch als Bund. Die Länder sind und bleiben aber in der Verantwortung.

Haben Sie verbindliche Aussagen zumindest der Länder mit CDU-Regierungsbeteiligung, dass die jenes Personal einstellen werden, das durch das neue Gesetz nötig ist?

Ich habe den Eindruck, dass in den Ländern eine große Bereitschaft herrscht, gerade in diesem Bereich, in dem es um Verbrechen zu Lasten der Schwächsten der Gesellschaft, geht, zu investieren. Der Schutz unserer Kinder muss Priorität haben.

Das Gespräch führte Frank Bachner

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