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Justus Meyerhof und das „Haus Meyerhof“ in der Schützenstraße in Berlin-Mitte.

© Berliner Architekturwelt (Public Domain) (2), privat, Montage: Kitty Kleist Heinrich

Erinnerung in Berlin: Ein Stolperstein für den Großvater von Kraftwerks Florian Schneider

Die Nazis drängten den jüdischen Unternehmer und Sportler Justus Meyerhof ins Exil und zur Flucht in den Tod. Seine Enkelin Claudia Schneider-Esleben erinnert an ihn.

Von Markus Hesselmann

Die Schützenstraße ist eine der Straßen, denen die Stadt den Rücken zukehrt, obwohl sie mittendrin liegen. Am einen Ende klingt der Rummel des Checkpoint Charlie längst ab, am anderen ragt noch Springers Verlagshaus hinein. Durch Baulücken sind Hochhäuser zu sehen, Leipziger Straße. Hier ist nicht mehr Kreuzberg, aber auch noch nicht wirklich Mitte.

Von einem einst repräsentativen Bauwerk ist nichts übrig geblieben: das „Haus Meyerhof“, Nummer 15 - 17, entworfen 1909 von KaDeWe-Architekt Emil Schaudt. Heute steht dort ein Funktionsbau, der auch von Springer sowie der „Deutsche Einheit Fernstraßenplanungs- und -bau GmbH“ genutzt wird.

Claudia Schneider-Esleben will hier einen Stolperstein legen lassen. Schneider-Esleben - ein Name mit Klang. Sie selbst ist Designerin, ihre Tochter Sophia Modemacherin, ihr 2020 verstorbener Bruder Florian, der das „Esleben“ irgendwann weggelassen hatte, war Mitgründer der Band Kraftwerk. Ihr Vater Paul hat bundesdeutsche Architekturgeschichte geprägt, vor allem in NRW. Auch an der IBA 1957 in Berlin hat sich Paul Schneider-Esleben mit einem Wohnhaus im Hansaviertel beteiligt.

„Mutter von Kraftwerk“ nennt sich die Lyrikerin Evamaria Schneider-Esleben selbstironisch in einer handschriftlichen Widmung zu ihrem Gedichtband „Ein fremder Garten“. Es ist die jüdische Familiengeschichte mütterlicherseits, an die Claudia Schneider-Esleben erinnern will. Der Stolperstein in der Schützenstraße soll für Justus Meyerhof, Evamarias Vater und Claudias Großvater, verlegt werden, der sich am 18. Februar 1944 in Redhill bei London, wohin er vor den Nazis geflohen war, das Leben genommen hat.

Claudia Schneider-Esleben (73) will für ihren Großvater Justus Meyerhof einen Stolperstein legen lassen..
Claudia Schneider-Esleben (73) will für ihren Großvater Justus Meyerhof einen Stolperstein legen lassen..

© privat

Geboren 1885 in Hannover, trat Justus Wilhelm Meyerhof 1906 in das Berliner Textilunternehmen der Familie ein und übernahm 1923 dessen Leitung. Firmensitz war das 1909 errichtete „Haus Meyerhof“ in der Schützenstraße. „Wenn ich nach Berlin komme“, sagt Claudia Schneider-Esleben, „steht der Fernsehturm am Alex für Justus, da er in der Nähe ansässig war.“

Auch Florian Schneider habe sich die Orte des Wirkens seines Großvaters in Berlin oft angeschaut. Der Kraftwerk-Musiker ähnelt dem Großvater nicht nur äußerlich. „Flo spielte in seinem eleganten Kleidungsstil mit dem dekadenten Image der Zwanziger-/Dreißiger Jahre, elegante Anzüge, Hüte, Schlipse, wie Justus“, erzählt Claudia Schneider-Esleben. Dies alles „im Gegensatz zum testosterongesteuerten Rockerimage mit Muskeln, Bärten, Jeans, Lederjacken und Schweiß.“ Kultiviertheit statt „toxischer Männlichkeit“.

Bis 1927 war Justus Meyerhof mit der Sängerin und Schauspielerin Ursula van Diemen verheiratet, Evamaria Schneider-Eslebens Mutter. Auch nach der Scheidung blieb das Paar freundschaftlich verbunden. Ihren Vater durfte die 1922 geborene Evamaria ab ihrem 16. Lebensjahr allerdings nicht mehr kontaktieren, um ihr Leben und das ihrer Familie nicht zu gefährden, da sie für die Nazis als „Halbjüdin“ galt.

„Meine Mutter wollte stets als Autorin ein Buch schreiben über ihr Schicksal als verfolgte Jüdin, aber der Schmerz war wohl zu groß, so dass ich dies stellvertretend für sie wohl tun muss“, sagt Claudia Schneider-Esleben. 1942 zog Evamaria mit ihrer Mutter und ihrer Schwester Irene an den Bodensee, um „unterzutauchen“ wie sie in einem Lebenslauf später schrieb. 2007 starb Evamaria Schneider-Esleben in Düsseldorf.

Weit im Berliner Westen, Ortsteil Grunewald, bis auf den Autolärm der Hubertusallee eine ruhige Gegend: „Keine Fanfaren, Tröten oder Ähnliches“ steht auf einem Schild am Sportplatz. Hier hat der Berliner SC sein Zuhause, dessen Fußballabteilung einst ein Teil von Hertha BSC und damit an deren Meistertitel 1930 beteiligt war, aber heute in der sechstklassigen Berlinliga kickt.

Am Eingang steht eine Gedenkstele mit 22 Namen, einer davon: Justus W. Meyerhof. „Von den Befürwortern der nationalsozialistischen Rassentheorie im BSC wurden sie 1933 aus dem Club gedrängt“, ist auf der Tafel zu lesen. „Alle wurden diffamiert, viele mussten aus ihrer Heimat fliehen, einige wurden ermordet.“

Justus Meyerhof, „der neue Sprintstar“, wird in der Vereinschronik des BSC erstmals 1908 erwähnt. Martin-Heinz Ehlert hat die Vereinsakten mit Blick auf verfolgte jüdische Vereinsangehörige für eine von Inge Deutschkron angeregte Ausstellung des Museums Otto Weidt samt Begleitpublikation ausgewertet und auch die Gedenkstele am Sportplatz mitinitiiert. Jahrzehntelang war Meyerhof im BSC aktiv. „1921 verlieh ihm der Club mit dem ,Goldenen Adler’ die höchste Vereinsauszeichnung“, schreibt der 2016 verstorbene Vereinshistoriker.

Justus Meyerhof (rechts) als Läufer bei einem Staffelrennen des Berliner SC gegen SC Komet Berlin 1909.
Justus Meyerhof (rechts) als Läufer bei einem Staffelrennen des Berliner SC gegen SC Komet Berlin 1909.

© Museum Blindenwerkstatt Otto Weidt

Meyerhof reüssiert nicht nur als Sportler, etwa mit zwei deutschen Rekorden in der 100-m-Staffel, sondern unterstützt seinen Club und seinen Sport auch organisatorisch. Sein BSC-Vereinskamerad Carl Diem, eine dieser deutschen Funktionärsfiguren, deren Einfluss sich vom Kaiserreich über die Weimarer Republik und den Nationalsozialismus bis in die Bundesrepublik erstreckt, instrumentalisiert Meyerhof, um einen Boykott der Olympischen Spiele 1936 zu verhindern. „Justus Meyerhof führte er als Kronzeugen für die entlastende Behauptung an, im olympischen Sport und im BSC habe es keinen Antisemitismus gegeben“, schreibt Martin-Heinz Ehlert.

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Mit dem schönen Schein der Spiele ist es bald vorbei. 1938 wird Justus Meyerhof ins KZ Sachsenhausen verschleppt. Laut Claudia Schneider-Esleben ermöglichte wohl auch die Hilfe des befreundeten Boxidols Max Schmeling die Freilassung und Ausreise ins Exil nach Großbritannien. „Seine Firma wurde liquidiert, sein Vermögen eingezogen“, schreibt Martin-Heinz Ehlert weiter. „Völlig mittellos emigrierte er nach Großbritannien. Von seiner Familie getrennt, vereinsamt, durch Krankheit geschwächt bekam er Depressionen und nahm sich das Leben.“

„Justus hat wahrscheinlich kein Grab“, sagt Claudia Schneider-Esleben. Jedenfalls sei keines bekannt. „Mit dem Stolperstein findet Justus einen sichtbaren, materiellen, physischen Platz und würdigen Ort in unserer Gesellschaft“, sagt die Enkelin.

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