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Das Rathaus Schöneberg am John-F.-Kennedy-Platz in der Abenddämmerung.

© Arnulf Hettrich/imago stock&people

Novum in Berlin-Schönberg: „Demokratie ist nicht selbstverständlich“

Erstmals wurde in der Bezirksverordnetenversammlung Tempelhof-Schöneberg die übliche Beschlussliste blockiert. Den Grund sieht die AfD-Fraktion in der Erklärung „Demokratie verteidigen“.

Die Bezirksverordnetenversammlung Tempelhof-Schöneberg tagte diesen Mittwoch (21. Februar) ohne Beschlussliste. Laut BVV-Vorsteher Stefan Böltes (SPD) ein Novum, zumindest gelte dies für die mehr als 20 Jahre, in denen er BVV-Mitglied ist.

Die Liste enthält eine Vielzahl von Drucksachen, die über einen Tagesordnungspunkt in einem Rutsch abgestimmt oder an Ausschüsse überwiesen werden. Ohne sie stauen sich die Anträge auf. Normalerweise verständigen sich die Fraktionen darüber im Vorhinein im Ältestenrat, der einen Tag vor der BVV stattfindet. Doch diesmal hat die AfD, hier drei Verordnete, die Liste blockiert.

Grund war eine gemeinsame Willensbekundung der Fraktionen Grüne, SPD, Linke, CDU und der FDP-Gruppe. Unter dem Titel „Demokratie verteidigen!“ geht es darin um die Recherchen des journalistischen Netzwerks Correctiv zu einem Geheimtreffen mit Politiker:innen der AfD und CDU, Neonazis und „Identitären“. Bei dem Treffen ging es nach den Recherchen darum, wie mehr Menschen mit Migrationsgeschichte Deutschland verlassen könnten.

Die Pläne erinnerten an „systematisch-organisierte Deportation nach völkisch-rassistischen Kriterien“ und stellen laut der Fraktionen die demokratischen Grundwerte infrage. „In unserem vielfältigen und bunten Bezirk Tempelhof-Schöneberg pflegen wir die demokratischen Grundwerte Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit und Solidarität“, heißt es in der Erklärung.

Rechtsextremes und faschistisches Gedankengut habe in Tempelhof-Schöneberg keinen Platz. Der Bezirk stehe für Vielfalt, Akzeptanz und Demokratie. Die BVV unterstütze und ermutige zudem alle Menschen, die sich an der breiten Protestbewegung gegen Rassismus und gegen Rechtsextremismus beteiligen.

Die BVV im Rathaus Schöneberg findet in der Regel einmal monatlich an einem Mittwoch ab 17 Uhr statt. Ohne Beschlussliste würde sie ohne Zeitbegrenzung bis weit nach 22 Uhr dauern.
Die BVV im Rathaus Schöneberg findet in der Regel einmal monatlich an einem Mittwoch ab 17 Uhr statt. Ohne Beschlussliste würde sie ohne Zeitbegrenzung bis weit nach 22 Uhr dauern.

© Tagesspiegel/Corinna von Bodisco

Der AfD-Fraktionsvorsitzende Karsten Franck begründete die Blockade damit, dass der erste Absatz der Bekundung unwahr sei. Damit meinte er sowohl die Teilnehmenden („Treffen von Parteienvertreter*innen der AfD und Neonazis“) als auch die Recherchen des Netzwerks. Des Weiteren kritisierte er Demo-Schilder, offenbar mit der Aufschrift „AfD töten“.

„Versuch, demokratische Prozesse aktiv zu stören“

Die anderen Fraktionen hielten dagegen. Marijke Höppner (SPD) betonte die Sinnhaftigkeit, sich mit Menschen zu solidarisieren, die gegen Rechtsextremismus demonstrieren. Dass beim Geheimtreffen AfD-Mitglieder und rechtsextreme Neonazis dabei waren, sei kein Geheimnis. Des Weiteren bezeichnete Höppner das Blockieren der Beschlussliste als „Versuch, demokratische Prozesse aktiv zu stören“.

„Wie schon in anderen Parlamenten versucht die AfD nun auch in Tempelhof-Schöneberg, die parlamentarische Arbeit zu stören“, sagen auch die Grünen-Fraktionsvorsitzenden Ronja Losert und Bertram von Boxberg. Damit verlasse die AfD „den Boden des demokratischen Umgangs“.

Um über Parteigrenzen hinweg Demokratie zu verteidigen, trage auch die CDU die Bekundung mit, so der Fraktionsvorsitzende Patrick Liesener. „Wir brauchen die Gemeinsamkeit aller Demokraten. Wir lösen die praktischen Probleme der Menschen nicht mit Streit“, sagte er mit Blick auf die Blockade. Man dürfe aber nicht dulden, dass Israel-Fahnen auf einer Demo gegen rechts Polizeischutz brauchten, und auch die von Franck genannten Schilder unterstütze er nicht.

Bezirksbürgermeister Jörn Oltmann (Grüne) bezeichnete die Willensbekundung als sehr wichtigen Tageordnungspunkt. Die BVV bringe damit zum Ausdruck, was die Demokratie zusammenhalte: „Geschlossenheit einerseits und die Wahrnehmung der Grundrechte, die uns verfassungsgemäß zustehen“, sagte er dem Tagesspiegel. Die Grundrechte als Basis für Meinungs- und Versammlungsfreiheit oder das Briefgeheimnis seien der Rahmen des alltäglichen Lebens.

Und weiter: „Wenn eine rechte Partei dies infrage stellt, weil sie Menschen aussortieren will, dann ist es richtig, dass die Parlamentarier zusammenstehen und eine eigene Haltung aufbauen. Die Grundrechte sind alles andere als selbstverständlich, sie sind erkämpft worden.“

Die BVV beschloss die Willensbekundung mit großer Mehrheit (47 Ja-Stimmen) bei drei Gegenstimmen und einer Enthaltung. Ein Großteil der Anträge konnte allerdings nicht mehr diskutiert und abgestimmt werden, sie werden in die nächste Sitzung verschoben.

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