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Venice, Italy - 3 May 2024: Paints and brushes from a street artist or street painter in Venice *** Farben und Pinsel von einem Straßenkünstler bzw. Straßenmaler in Venedig

© IMAGO/Michael Bihlmayer

Vorbilder Kreuzberg, Pankow und Neukölln: Künstler fordert „Tag der offenen Ateliers“ in Berlin-Friedrichshain

Der Stadtteil Friedrichshain hat keinen Tag der offenen Ateliers, an dem Künstlerinnen und Künstler ihre Arbeiten präsentieren können. In anderen Ortsteilen gibt es diese Veranstaltungen bereits. Ein Künstler bietet sich als Organisator an.

Warum gibt es keinen Tag der offenen Ateliers in Berlin-Friedrichshain? Also offizielle Tage, an denen Künstler:innen ihre Ateliers im Kiez öffnen und Publikum herum- und hereinlaufen kann. So etwas gibt es jährlich zum Beispiel in Pankow, Kreuzberg und Neukölln. Dabei sei die Dichte der Ateliers in Friedrichshain nicht geringer, sagt Rolf Famulla, ein Künstler, der selbst ein Atelier in der Pettenkoferstraße in Friedrichshain betreibt.

So etwas wie das bekannte Kunstwochenende „48 Stunden Neukölln“ würde auch Friedrichshain gut zu Gesicht stehen. Denn der Kiez habe viel Kunst zu bieten, ist sich Famulla sicher. Kunst, die vielleicht nicht reif fürs Museum ist, aber die gesehen werden möchte und sollte. „Und dieses Engagement der Vielen könnte bei den Offenen Ateliers zum Ausdruck kommen.“

Auch dem Bezirk ist kein Tag der offenen Ateliers in Friedrichshain bekannt, wie eine Sprecherin auf Nachfrage mitteilt. Die Veranstaltung in Kreuzberg sei durch diverse Galerien und Ateliers in der Gegend selbst organisiert und nicht vom Bezirk initiiert worden, gibt sie zu bedenken.

Famulla bietet sich als Koordinator einer solchen Veranstaltung für Friedrichshain an. Er möchte den Fokus auf den Ortsteil richten. „48 Stunden Fhain“ zum Beispiel. Kunstschaffende müssten sich anmelden und es müsste ein Überblick über die einzelnen Standorte der Ateliers, Galerien und Museen geschaffen werden – auch Bars und Café können mitmachen und Künstler:innen ihre Räume zur Verfügung stellen.

„Kunst braucht das Gespräch und will gesehen werden“, findet Famulla, zwar in Rente, aber noch immer künstlerisch tätig. Er malt, seit er zwölf Jahre alt ist und gab schon damals sein ganzes Taschengeld für Farben aus. Seine derzeitigen Arbeiten beschäftigen sich mit Graffiti und Wandbildern in Berlin – für den Künstler demonstrieren diese den „farbenfrohes Ausdruckswillen“ der Stadt.

Kunst braucht das Gespräch und will gesehen werden

Der Künstler Rolf Famulla

Im Graffiti oder der Wandmalerei werde die „Freude artikuliert, in einer pulsierenden Stadt wie Berlin zu leben“. In seinen Bildern thematisiert er zum Beispiel die Malereien am ehemaligen Tacheles-Gelände in Berlin-Mitte. Das bekannte Atelierhaus musste unlängst sterilen Neubauten weichen.

Kunst sollte sich engagieren, sagt Famulla. „Gegen Rechtsradikalismus, für Frieden, gegen den Einsatz der Atombombe, insgesamt gegen die Nutzung der Atomkraft, für Verständigung. Make peace and love, not war.“

An die Universität der Künste wollte er nicht

Früher war Famulla mal zu einer Aufnahmeprüfung an der renommierten Universität der Künste in Berlin eingeladen. Aber da wurde nichts draus. „Ich konnte das damalige Kunstverständnis nicht nachvollziehen. Da wurden Fahrräder auseinandergenommen und die Stangen verbogen. Auf riesigen Leinwänden erprobte man Klecksographie“, sagt er heute. „Ich verstand (und verstehe) unter Kunst etwas anderes. Es sollten die zu Wort kommen, die sich tagtäglich an Kunst erfreuen. Deshalb auch die offenen Ateliers.“

Zu kritisch: keine Genehmigung für Fotos von Beuys

Famulla hat 2009 ein Buch über Joseph Beuys geschrieben. Ein kritisches Buch. So kritisch, dass der Nachlassverwalter des großen deutschen Künstlers die Abdruckgenehmigung für Bilder von Beuys entzog – alle Fotos mussten aus dem Buch von Famulla entfernt werden, in dem er sich mit der Nazi-Vergangenheit von Beuys beschäftigt. Dieser war im Zweiten Weltkrieg als Sturzkampfflieger über der Krim bei einem Schneesturm abgestürzt. Tataren sollen ihn aus dem Schnee gerettet und gepflegt haben.

Famulla schreibt, dass sich Beuys allerdings durchaus mit der nationalsozialistischen Ideologie identifizierte. Damit ist er nicht alleine: 2018 verfasste der Biograf Hans Peter Riegel ein Buch mit ähnlichen Annahmen. Beuys Geschichte mit den Tataren seien „Fantasmen“, heißt es dort. Der ehemalige Hitlerjunge Beuys habe sich nie von seiner NS-Zeit distanziert.

Beuys gilt weiterhin als einer der bedeutendsten Künstler der Nachkriegsgeschichte. Famulla lebt glücklich in Friedrichshain. „Weil es hier lebendig ist. Und dies nicht nur in der Simon Dach- oder der Revaler-Straße. Die Flohmärkte nicht nur am Boxhagener Platz bringen Leben in den Stadtteil. Die vielen kleinen Geschäfte nicht nur in der Samariter-Straße erfreuen.“ Vielleicht ja bald mit einem Tag der Offenen Ateliers. Man müsste einfach damit beginnen…

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