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Zuerst sollen Abschlussklassen den Unterricht wieder aufnehmen.

© imago images/Jochen Tack

Bildung in der Corona-Krise: Berlin ist schlecht auf Schulöffnungen vorbereitet

Schulöffnungen während der Corona-Krise sind gut und riskant zu gleich. Nun rächt sich vor allem die Skepsis gegenüber dem Digitalen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christian Tretbar

In der Coronakrise ist es vielleicht die am schwersten zu beantwortende Frage: Sollen die Schulen und Kitas wieder öffnen oder nicht? Ein bisschen lautet die Antwort aktuell: Das ist gut und riskant zu gleich.

Die Frage ist deshalb so schwer zu beantworten, weil sie unterschiedlich ausfällt - je nachdem, über welche Gruppe man spricht: kleine oder große Kitakinder? Kleine oder große Grundschüler? Mittelstufenschüler, Abiturienten? Von den unterschiedlichen Herausforderungen für die Elternhäuser ganz zu schweigen.

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Wer kann zu Hause gut unterstützen? Wer hat die technischen Voraussetzungen? Wer bringt selbst genug Wissen mit, um zu helfen? Und dann noch die Schulen selbst: Welche Schule hat die Räumlichkeiten und kann alle Hygienevorschriften erfüllen und welche nicht? Wer hat genug qualifiziertes Personal und wer nicht?

Aufgabe der Politik ist es, dieser Komplexität klug, mit Fingerspitzengefühl und im allerbesten Fall in Kenntnis der Realität – auch der unterschiedlichen Realitäten – zu begegnen. In Berlin hat das nur bedingt geklappt. In Berlin lässt sich Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) vor allem von einem Ziel leiten: Prüfungen stattfinden zu lassen, egal zu welchem Preis.

Das kann man beim Abitur nachvollziehen, da man den Schülerinnen und Schülern den Weg ins Berufs- oder Studienleben ebnen will. Selbst beim MSA, dem Abschluss in Form einer Prüfung nach der 10. Klasse, könnte man das vertreten. Wenngleich der schon eine Grauzone ist und man sich fragt, ob dieser Abschluss nicht ohne Prüfung gewährt werden kann – so wie es Nordrhein-Westfalen jetzt praktiziert. Doch bei dieser Leitlinie fehlen vor allem Fingerspitzengefühl und wohl leider auch genügend Kenntnisse der realen und oft sehr unterschiedlichen Situationen.

Fokussierung auf Prüfungen

Schriftliche Prüfungen abzuhalten, mit klaren Hygiene- und Abstandsregeln, ist für die meisten Schulen eine Herausforderung, aber machbar. Mündliche Prüfungen oder auch Präsentationsprüfungen abzuhalten und trotzdem Gesundheitsschutz zu gewährleisten, ist fast unmöglich. Es wäre also besser gewesen, eine Art Abitur oder MSA light einzuführen.

Die Fokussierung auf die Prüfungen hat zur Folge, dass die, die nächstes Jahr mit Prüfungen dran sind, kaum mehr zum Zug kommen in diesem Schuljahr. Schließlich werden alle Räume und Lehrer für die Prüfungen benötigt bis zum frühen Beginn der Sommerferien. Und gerade in der Mittelstufe sind die Acht- und Neuntklässler am schwersten zu Hause beschulbar.

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Die Lösung für die Grundschulen ist zu kritisieren. Mal abgesehen davon, dass Abstands- und Hygieneregeln hier ungleich schwerer einzuhalten sind als in der Oberstufe, ist die Lösung, erst mal nur die 6. Klasse zu beschulen, problematisch. Natürlich laufen die Gefahr, an der weiterführenden Schule Probleme zu bekommen, wenn ihnen der Stoff fehlt. Aber die Fünftklässler brauchen eine Beurteilung für die weiterführende Schule. Scheeres hat noch keine Antwort, wie diese Beurteilung ausfallen soll – mit einem Halbjahr Home-Schooling. Möglicherweise muss hier das Halbjahreszeugnis reichen – mit einer großen Toleranz.

Berlin hinkt bei der Digitalen Bildung hinterher

Die Grundschulproblematik verdeutlicht eines besonders: Eine Ad-hoc-Lösung für die Schulen ist wichtig, eine Strategie, um mit den Folgen in den nächsten zwei, drei Jahren umzugehen, genauso sehr.

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Das größte Versäumnis von Scheeres (aber auch anderer Bildungsminister) liegt in der Vergangenheit. Es wurde kein Wert, mindestens aber kein Fokus auf die Digitale Bildung, auf die Digitalisierung insgesamt gelegt. An Berliner Schulen mangelt es zum Teil am Grundsätzlichen: einheitlichen Mail-Adressen für die Lehrer beispielsweise. Angeboten werden nicht etwa Standardprogramme zur Textverarbeitung oder Präsentationserstellung – sondern Krücken. Von der Hardware-Ausstattung mal ganz abgesehen.

Warum? Weil man sich auf keinen Fall Datenschutzprobleme einfangen will, keine digitalen Risiken eingehen will. Nur zeigt sich jetzt, dass die Weigerung, die Skepsis, das Überbetonen der Gefahren die größten Risiken waren – und sind. Die Voraussetzung für digitales Arbeiten existiert an den wenigsten Berliner Schulen. Man darf gespannt sein, wie Scheeres es realisieren will, jetzt noch Tablets für viele Schüler zu besorgen, wie sie es angekündigt hat.

Kinder ohne engagierte Lehrer oder Elternhaus werden abgehängt

Die Folgen dieser Coronakrise werden noch lange spürbar sein in Schulen und auch in Kitas. Was den Lernstoff angeht, was die Prüfungen angeht, aber auch was das Sozialverhalten betrifft. In der Abwägung muss man nach wie vor sagen, dass die gesundheitlichen Risiken einer weitergehenden Öffnung zu groß wären. Zahlreiche Erzieher, Lehrer, Schulleiter und Eltern kompensieren das gerade durch viel Einsatz, Kreativität, Struktur und Know-how. Aber auch durch schnelles Lernen neuer digitaler Technologien. Das ist beeindruckend zu sehen. Aber davon profitieren nicht alle.

Es gibt genug Kinder, die weder auf ihr Elternhaus noch auf ihre Lehrer aktuell zählen können. Ihnen sollte wahrscheinlich der größte Fokus gelten – und vielleicht nicht so sehr nur den Prüflingen.

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