zum Hauptinhalt
Anlässlich der Woche der Meinungsfreiheit sprechen Marianne Birthler, André Herzberg und Robert Ide über die Meinungsfreiheit in der DDR und heute.

© Sophie Kirchner/Sophie Kirchner

Cancel Culture und Meinung in der DDR: „Wir sind dafür gemacht, dass wir klar unsere Meinung aussprechen“

Zur „Woche der Meinungsfreiheit“ lud der Tagesspiegel zur Debatte ein. Gäste wie die DDR-Bürgerrechtlerin Marianne Birthler und Sänger André Herzberg diskutierten mit Tagesspiegel-Chefredakteur Christian Tretbar und Autor Robert Ide.

Bis in die letzte Reihe war der Raum am Donnerstagabend gefüllt, als der Tagesspiegel zur Diskussionsrunde zur Meinungsfreiheit einlud. Durch die zwei Diskussionsrunden führten Tagesspiegel-Herausgeber Stephan-Andreas Casdorff und Autor Robert Ide, die mit vier Gästen über das Thema Meinungsfreiheit in Deutschland und in der ehemaligen DDR sprachen.

„Wie kommt es, dass viele Menschen denken, sie können ihre Meinung nicht sagen?“ Diese Frage richtete Casdorff in der ersten Diskussionsrunde an Maria Fiedler, stellvertretende Leiterin des Tagesspiegel-Hauptstadtbüros. „Laut einer Umfrage aus 2021 sind nur 45% der Menschen der Meinung, man könne bedenkenlos seine Meinung äußern“, sagte Fiedler. Viele seien der Auffassung, man müsse vorsichtig sein mit dem, was man preisgibt.

Das habe mit Themen wie der Coronakrise oder der Flüchtlingspolitik zu tun. „Bei solchen Themen wird oft nur Schwarz und Weiß gesehen. So fühlen sich Menschen bei einer Aussage dazwischen schnell in eine Schublade einsortiert.“

Nach der ersten Diskussionsrunde waren Zuschauer:innen nach ihrer Meinung gefragt. Andere pausierten bei einem Glas Sekt. Darunter Anne und Ulrich Sardisong: „Eine Zeitung, die mir eine Meinung vorgibt, ist mir zu einseitig. Ich will mich allseitig informieren“, sagt Anne Sardisong.

Die Freiheit der Gedanken

Die zweite Runde war betitelt mit „Die Gedanken sind frei“. Robert Ide eröffnete sie mit dem Satz: „Schön, dass Sie so frei waren, heute hierherzukommen.“ Mit Marianne Birthler, ehemalige Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes, und André Herzberg, Sänger der DDR-Band „Pankow“, trafen sich zwei Persönlichkeiten, die sich über Ostdeutschland hinaus einen Namen machen konnten.

Nach einer musikalischen Einlage von Herzberg ging es um die Meinungsfreiheit in der DDR. Damals habe man zwischen den Zeilen lesen und sprechen müssen, sagte Marianne Birthler. „Das tut dem Menschen nicht gut. Wir sind dafür gemacht, dass wir klar unsere Meinung aussprechen.“

Manche tun so, als wäre das Internet ein rechtsfreier Raum.

Marianne Birthler, Bürgerrechtlerin in der DDR

Entsprechend klar antwortete sie auf Robert Ides Frage, ob Meinungen in den Medien reguliert werden sollten. „Wie reguliert man Meinungen, ohne wieder beim Zentralkomitee zu landen?“, fragte Ide und Birthler antwortete: „Manche tun so, als wäre das Internet ein rechtsfreier Raum.“ Doch dem sei nicht so. „Auch im Internet gelten die Grenzen der Meinungsfreiheit, nämlich, dass man Menschen nicht beleidigen darf.“

Herzberg, der in der DDR mit systemkritischen Liedern wie „Langeweile“ angeeckt ist und der sich nach dem Mauerfall erst neu finden musste, gab zu, dass ihn der Meinungskampf heutzutage anstrenge. „Manchmal muss ich einfach alles abschalten. Meine Meinung drücke ich durch Musik aus.“

Spannend auch die Diskussion zur so genannten „Cancel Culture“. Von Casdorff gefragt, ob es eine solche Unterdrückung der Meinung gebe, sagte Tagesspiegel-Chefredakteur Christian Tretbar: „Für seine Meinung kriegt man heute deutlich mehr Gegenwind. Das heißt nicht, dass man sie nicht trotzdem sagen kann.“

Eine Cancel Culture, in der man nichts mehr sagen kann, gibt es laut Tretbar nicht. Und die Meinung im Journalismus? „Ein journalistisches Stilmittel“ – so Tretbar. „Sie ist wichtig, sollte aber nicht im Vordergrund stehen. So ist der Leser in der Lage, sich eine eigene Meinung zu bilden.“

Die zweite Diskussionsrunde endete, wie sie auch begann – mit musikalischen Zeilen. Auf Robert Ides Frage, welche Liedzeile Birthler das Gefühl von Freiheit gebe, entgegnet diese: „Jedenfalls nicht ,Die Gedanken sind frei‘.“ Dabei bezieht sie sich auf die zweite Strophe des Volkslieds, das um 1800 entstanden sein soll: „Ich denke, was ich will, und was mich beglücket, doch alles in der Still“. Das entspreche nicht ihrem Umgang mit der Wahrheit.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false