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Thomas Heilmann

© Kitty Kleist-Heinrich

Interview: CDU-Vize Heilmann: "Wir sind für alle ehrlichen Berliner da"

Der stellvertretende Berliner CDU-Vorsitzende Thomas Heilmann spricht im Tagesspiegel-Interview über Spitzenkandidaten für die Berlin-Wahl 2011, über Neuberliner und über die neue Freiheitspartei.

Spüren Sie schon Wahlkampfstimmung in der Stadt?

Bei den Medien eindeutig ja, bei den Bürgern nein.

Was bewegt derzeit die Leute in Berlin?

Am stärksten bewegt die Leute die wirtschaftliche Tal- und Bergfahrt, die Schule, außerdem die Alterssicherung und die Zuwanderung. Die Wahlen in Berlin sind für die meisten noch sehr weit weg.

Die Politik hat es jetzt öfter mal mit bürgerlichen Protestbewegungen zu tun – Stichwort Flugrouten oder Stuttgart 21. Woran liegt das?

Man könnte noch ergänzen: Religionsunterricht und Tempelhof. In allen Fällen geht es um Fragen, die sehr langfristige Folgen haben. Es ist auch prinzipiell gut, wenn die Bevölkerung Anteil nimmt am Gemeinwesen – auch wenn das breite Interesse manchmal relativ spät kommt. Es ist das gute Recht derBürger, auch nachträglich Auskunft zu verlangen. Dann ist die Politik zu Erklärungen verpflichtet – und kann nicht mit dem Argument kommen: „Es ist schon alles entschieden.“ Im Streit um die Flugrouten haben Leute protestiert, die an der Planung des neuen Flughafens nicht beteiligt waren und jetzt erkennen müssen, dass sie vom Fluglärm betroffen sein könnten. Der Aufsichtsvorsitzende der Flughafengesellschaft Klaus Wowereit hat das Thema total unterschätzt. Er hat sich nicht darum gekümmert. Bundesverkehrsminister Ramsauer hat dann zum Glück die Notbremse gezogen. Das ist wieder ein Beispiel dafür, dass dieser Senat die Dinge nicht regelt – wie bei der Treberhilfe, bei der S-Bahn, beim Lehrermangel an den Schulen, bei den Integrationsproblemen in Neukölln. Daher kommt die Unzufriedenheit mit den Regierenden.

Viele Umfragen zeigen, dass es mit Blick auf die repräsentative Demokratie einen Vertrauensverlust gibt. Wie kann die Politik darauf reagieren?

Ich glaube, dass sich vieles an Protest heute außerhalb der Parteien organisiert. Das liegt weniger daran, dass die Parteien schlechter geworden wären als daran, dass die Ansprüche der Bürger gestiegen sind – und zwar allen Institutionen gegenüber. Da kann die Antwort nur sein: Man muss halt besser werden.

Sie sind Vorsitzender der Programmkommission für den Wahlkampf 2011.

Wir sind ein Team. Meine Aufgabe wird darin bestehen, das Programm inhaltlich darzustellen. Ich werde auch nichts anderes in diesem Wahlkampf machen…

Sie werden also nicht Spitzenkandidat?

Nein. Aber das bedeutet kein geringeres Engagement für das Programm. Ich denke, dass die Leute klare Wahlprogramme wollen. Wir wollen mit den Parteimitgliedern und mit den Bürgern, die sich beteiligten wollen, zunächst die hundert größten Probleme bestimmen. Da wird die S-Bahn dabei sein, das jahrgangsübergreifende Lernen, die Schulkrise, die Bedrohung der Kleingärten. Die wollen wir in ein Ranking stellen und dann sagen, was wir machen wollen. Fairerweise müssen wir sagen: Manche wird man nicht kurzfristig lösen können. Berlin ist ziemlich pleite. Die Verschuldung ist schlimmer als die von Griechenland. Der Druck auf die Stadt wird nicht abnehmen.

Nennen Sie uns zwei Stärken und zwei Schwächen der Berliner CDU?

Um mit den, selbstverständlich wenigen Schwächen anzufangen: Wir haben Schwierigkeiten, unsere Themen zu kommunizieren und den Bürgern zu erklären, was wir machen und warum wir das machen. Es gibt drei Oppositionsparteien in der Stadt, und für Politik interessiert sich nur eine Minderheit. Damit hängt auch unserer zweite Schwäche zusammen: Unsere Köpfe sind noch nicht bekannt genug . Die Stärken: Die CDU ist anders als in früheren Jahren geschlossen. Das liegt an Frank Henkel. Zweitens ist, dass wir auf viele Fragen neue, bessere Lösungen. Um da mal den Tagesspiegel als Autorität zu zitieren: Da wurde festgestellt – und zwar zu Recht -, die einzigen mit einem Konzept gegen die S-Bahn-Krise seien wir.

Erfahrene Parteifreunde von Ihnen beantworten die Frage nach der Stammwählerschaft Ihrer Partei mit dem Hinweis auf „Britz, Buckow, Rudow und das Märkische Viertel“ – die müsse man mobilisieren. Gilt das angesichts einer Million zugezogener Neuberliner immer noch?

Wenn man eine einzelne Erkenntnis zum Prinzip macht, geht es schief. Die genannten Orte sind CDU-Hochburgen, und man soll seine Stärken stärken. Aber Berlin ist eine vielfältige Stadt – und wenn man diese Vielfalt nicht in seinem Personal und seinem Programm abbildet – wie wir es tun -, dann hätte man keine Chance.

Wird die CDU bei konservativen Wählern verlieren wird, weil es die „Freiheitspartei“ und die sehr islamkritische „Pro-Berlin“-Bewegung gibt?

Man soll mögliche Konkurrenten nie unterschätzen. Im konkreten Fall sind allerdings weder fähige Personen noch irgendwelche Antworten ersichtlich. Die Berliner CDU hat dagegen ein ausführliches Programm mit klaren Vorschlägen gegen Missbrauch oder Islamismus, aber eben ohne zu spalten. Auch das Programm hat übrigens der Tagesspiegel sehr gelobt - und nicht nur er."

Wie würden Sie den Durchschnittswähler Ihrer Partei beschreiben?

Wir sind für alle ehrlichen Berliner da, die morgens aufstehen, arbeiten gehen oder Arbeit suchen, natürlich auch für Zuwanderer, die sich integrieren wollen. Es würde dem christlichen Menschenbild nicht entsprechen zu sagen, für diese oder jene wollen wir mehr tun.

Macht es Ihnen denn keine Sorge, dass das Gros der Neuberliner offenbar nicht besonders CDU-affin ist?

Es gilt für alle Parteien, dass Wähler immer flexibler sind. Die Wechselbereitschaft nimmt rapide zu. Die Leute, die nach Berlin gezogen sind, sind naturgemäß besonders mobil und wahrscheinlich besonders anspruchsvoll. Die sind für keine Partei Stammwähler. Fairerweise muss man sagen: Die CDU hat am Anfang dieses Jahrzehnts Schwächen gezeigt. Daraufhin haben viele gesagt: Lass’ sie mal besser werden. Dann gucken wir sie uns wieder an.

Aber es gibt doch offenbar politischen Humus, ein jüngeres bürgerliches Publikum, etwa in Prenzlauer Berg, das für Schwarz-Grün etwas übrig hat.

Solche Leute gibt es auch in der Wirtschaft. Doch muss man die Wähler von der Parteibasis unterscheiden. Die Parteifunktionäre bei den Grünen sind, glaube ich, weiter weg von Schwarz-Grün als die Wähler.

Gilt das nicht für die CDU auch?

Auf der Bundesebene ist Schwarz-Grün auch für CDU-Funktionäre weit weg – in Berlin aber nicht. Es gibt bei den Grünen vieles, was ich inhaltlich nicht gut finde, etwa das jetzt diskutierte verkehrspolitische Programm der Grünen. Aber arithmetisch ist es nur mit Schwarz-Grün möglich, diesen Senat abzulösen, wenn man ihn für verbraucht hält.

Was wäre für Sie die optimale Koalition?

Optimal wäre eine absolute Mehrheit für die CDU, die ich nicht für realistisch halte. Alles andere hängt sehr stark von Personen ab. Stellen wir uns vor, eine schwarz-rote Koalition käme zurück, dann würde sie sicher ohne Wowereit kommen. Ich habe keine Präferenz, außer dass ich sage: das jetzige Personal ist wirklich verbraucht.

Derzeit liegt die CDU auf dem dritten Rang in den Umfragen. Wann wird es besser?

Entweder es ändert sich relativ bald der Bundestrend. Oder es bleibt uns nur die direkte Wahlkampfphase, in der die Leute sagen: Jetzt gucken wir uns mal das landespolitische Angebot an.

Die Erfahrung sagt, dass schlechte Umfragewerte direkt zum Streit über den Spitzenkandidaten führen.

Da wir den noch nicht haben, können wir darüber auch nicht streiten.

Sie haben den Namen Frank Henkel erwähnt…

Er ist unser Landes- und Fraktionsvorsitzender…

Und macht als solcher gute Arbeit. Aber in den Umfragen ist die CDU nicht vorangekommen. Könnte das zu einer Diskussion darüber führen, ob Frank Henkel zusätzliche Wähler nicht gewinnen kann?

Bei hypothetischen Fragen kann man gar nichts ausschließen. Davon abgesehen, bin ich mir sehr sicher, dass wir uns im nächsten Jahr einvernehmlich einigen werden und es keinen Streit in der CDU geben wird. Und ich glaube, dass Frank Henkel momentan unberechtigt schlecht wegkommt.

Sie glauben, dass Sie mit Frank Henkel als Spitzenkandidaten einen erfolgreichen Wahlkampf führen können?

Ohne Einschränkung: ja.

Eine Diskussion über mehrere mögliche Spitzenkandidaten wollen Sie nicht in der Partei? Man könnte sagen: Eine Partei mit den möglichen Spitzenkandidaten Frank Henkel, Monika Grütters und Thomas Heilmann hat eine breite Führungsreserve.

Vorweg: Danke, dass Sie mich dort einsortieren. Wenn wir darüber diskutieren sollten, dann nicht streitig und nicht öffentlich. Und nur der Ordnung halber: Ich kandidiere nicht, schon aus persönlichen Gründen.

Fürchten Sie ein Aufmerksamkeitsdefizit, wenn Renate Künast und Klaus Wowereit sich duellieren?

Wie werden weniger vorkommen. Ob das gut oder schlecht für uns ist? Das sehe ich anders. Kaum hat sich Frau Künast nach einem Jahr des Überlegens entschieden, gehen ihre Umfragewerte nach unten. Warum? Weil sich die Leute jetzt Frau Künast als erste Frau der Stadt vorstellen und Bedenken haben. Ihre unbestreitbare Qualität als intelligente, rhetorisch-brilliante Angreiferin und Streiterin für eine Sache ist das eine – die Qualität als warmherzige Repräsentantin der Stadt, die alles zusammenhält, ist etwas anderes. Es muss sich zeigen, ob dieses Duell den Kandidaten nutzt – oder ob es sie abnutzt. Entschieden wird am 18. September, nicht vorher. Dann werden sich die Leute fragen, welcher Kandidat das Amt wirklich ausfüllt. Wowereit hat den Vorteil, dass die Leute ein Gefühl dafür haben, was er kann und was er nicht kann. Bei Frau Künast fragt man sich: Was hat sie eigentlich als Verbraucherschutzministerin hinterlassen? Wenn Sie sie mit Frau von der Leyen vergleichen: Bei ihr fällt einem sogar zu den zehn Monaten etwas ein, in denen sie Arbeitsministerin ist. Zur Verbraucherschutzministerin Künast fällt einem nichts ein.

Wenn man sich klar macht, wie groß die Probleme der Stadt sind – wäre es dann nicht Zeit für eine Neuauflage der großen Koalition?

Die wird es nicht mehr geben: Nach allen Umfragen wird keine denkbare Koalition mehr als 60 Prozent haben, eher knapp über fünfzig. Wir haben auch kaum ideologische Auseinandersetzungen, über die man Brücken schlagen müsste. Die Leute finden Berlin eigentlich ganz gut – ich ja auch. Nur ist die Stadt zu wertvoll, um so schlecht regiert zu werden. Warum kümmert sich nach zehn Jahren der Erkenntnis, dass das ICC asbestverseucht ist, niemand um einen Plan, um das Problem zu lösen? Wieso ist immer noch nicht klar, wie wir mit der Charité umgehen? Wieso ist immer noch klar, wie die S-Bahn saniert werden soll? Vom Schulanfang weiß man doch vorher – wieso sind plötzlich zu wenig Lehrer da? Wieso reden wir nicht Klartext über das, was bei der Zuwanderung schief gegangen ist, um das dann zu ändern – ohne alle in einen Topf zu schmeißen? Sie ahnen, welcher Partei ich am ehesten Lösungen zutraue.

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