zum Hauptinhalt

Berlin: Da stimmt was nicht

Die O-Tonpiraten machen Playback-Theater – seit Januar in ihrem eigenen Haus

Nackte Barbiepuppen baumeln in lasziven Verrenkungen von der Decke, die Tiffany-Lampe ist dekorativ eingedellt, die Decke auf dem Polstersessel mit gestickten Hunden verziert. Willkommen im Theater O-Ton Art, einem der jüngsten Zugänge der Berliner Kleinkunstszene. Susan Sontag, die einst Kitsch als Kunstform beschrieben hat, hätte sich hier wohlgefühlt. „Wir sind fünf schwule Jungs, die sich einen Traum erfüllt haben“, sagt André Fischer von den O-Tonpiraten, die das Schöneberger Theater mit 76 Plätzen im Januar eröffnet haben.

Der Begriff „Piraten“ ist wörtlich zu nehmen. Die Mitglieder der Gruppe kapern die Stimmen anderer – eben den „O-Ton“ –, und unterlegen ihn mit ihrem eigenen Spiel. Sie nehmen Filmsoundtracks und bauen daraus einen neuen Plot, gerade führen sie das Miss-Marple-Stück „Groß in Fahrt“ auf. Alles muss synchron sein, auch das Klirren von Eiswürfeln im Glas. „Unsere Shows sind komplett durchchoreografiert“, sagt Tillmann Jakob, der nicht versteht, warum Playback und Travestie immer noch in dem Ruf stünden, nicht wirklich Kunst zu sein. Playback sei energetisch volles Spiel, am Ende sei man genauso heiser, als hätte man wirklich gesprochen. Das Publikum vergisst schnell, dass alles vom Band kommt. „Am Ende sagen sie, wir hätten toll gesungen“, erzählt er.

Elf Jahre gibt es die Piraten, fünf Produktionen sind entstanden. 2009 fanden sie in einem Hinterhof an der Kulmer Straße geeignete Räume für ein eigenes Theater, die auch noch geschichtlich bedeutend sind: Hier war bis 1986 der erste alternative Schwulenclub West-Berlins, das SchwuZ, untergebracht. Die Piraten renovierten alles im selbst. Wichtig war ihnen, einen behaglichen Ort zu schaffen, der aussieht, als sei er schon mehrere Jahre alt. Tatsächlich hat kürzlich ein Besucher gefragt, warum sie nicht mehr Werbung machen würden, dann wäre er schon vor Jahren gekommen. „Die Leute denken, es gebe uns schon so lange“, erzählt Bernd Boßmann. Neben ihm prangt ein alter Fensterrahmen aus seinem niederrheinischen Heimatdorf.

Heimat ist für Bernd Boßmann heute Schöneberg. Er wohnt, wie die anderen Piraten, in der Nähe. Im Laufe seines Lebens hat der 50-Jährige viele Projekte ins Leben gerufen, die eng mit der Geschichte der Schwulenszene verwoben waren. Allerdings: O-Ton Art will mehr sein als ein schwules Theater. Nämlich ein Kulturzentrum, das auch Theaterworkshops für Schüler anbietet. Treten die O-Tonpiraten gerade nicht selbst auf, überlassen sie die Bühne anderen. Zum Beispiel Loni Friedl, einst jüngste Schauspielerin aller Zeiten am Wiener Burgtheater. Auch Tillmann C. Jakob, der als Tilly Creutzfeld-Jakob im SchwuZ oder im Tuntenhaus zu sehen ist, hat hier eine Soloshow. In der Leander-Hommage „Zarah siebenunvierzig“ kommen die Lieder allerdings nicht vom Band. Der Bariton singt selbst. Das kann ein guter Pirat nämlich auch. Udo Badelt

Bis 6. November treten die O-Tonpiraten mit „Groß in Fahrt“ auf. In der Kulmer Straße 20a in Schöneberg, Tel. 374 47 808, www.o-tonart.de, www.o-tonpiraten.de

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false