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Matthias Kollatz (SPD) ist seit Ende 2014 Senator für Finanzen in Berlin.

© imago images/Ulli Winkler

Berlins Finanzsenator im Interview: „Die Bezirke schöpfen ihr Personalbudget nicht aus“

Matthias Kollatz über die Krise der Bürgerämter, die Folgen des stagnierenden Wachstums der Stadt – und welche Folgen die Pandemie für die Wirtschaft hat. 

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Matthias Kollatz (SPD) ist seit Ende 2014 Senator für Finanzen in Berlin. Der 63-Jährige tritt in Steglitz erneut als Direktkandidat für die Abgeordnetenhauswahl im September an.

Herr Kollatz, Sie haben den Entwurf des Doppelhaushalts 2022/2023 vorgestellt. Ihr Credo ist Konsolidieren und Investieren, die Investitionsquote soll auf zehn Prozent steigen. In Zahlen sind das 3,5 Milliarden Euro für 2023, drei Milliarden für 2022. Aber der Entwurf sieht pauschale Minderausgaben von zwei Milliarden Euro vor. Wo soll eingespart werden?
Wichtig ist, dass es im Pandemiejahr 2020 bei den Investitionen keinen Einbruch gegeben hat. Wir hatten 2022 gut 2,2 Milliarden, 2021 knapp 2,2 Milliarden Euro. Sie sehen, es gibt Steigerungen auf drei, beziehungsweise 3,5 Milliarden Euro.

Wir wissen, dass Investitionsmittel selten zu 100 Prozent in Anspruch genommen werden. Ein Teil der Minderausgaben wird also über nicht abgeflossene Investitionsmittel gedeckt werden. Und wir werden auch Haushaltsreste anderswo sehen, die die Größe der vorgesehenen Minderausgaben erreichen.

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Trotzdem muss Berlin wohl sparen im konsumtiven Bereich, bei den Sachausgaben. Wo kann man dort den Rotstift ansetzen? Oder wollen Sie an die Personalkosten ran, die laut Plan von 10,97 Milliarden Euro im Jahr 2022 auf 11,23 im Jahr 2023 steigen sollen?
Ein Beispiel: Wir haben den Bezirken seit Beginn der Wahlperiode viele neue Stellen bewilligt. Aber sie schöpfen seit Jahren ihre Personalbudgets nicht vollständig aus. Einen Teil der daraus gebildeten Überschüsse unterziehen wir einer sogenannten Basiskorrektur und führen die Mittel somit den Minderausgaben zu. 

Landesweit haben wir seit Anfang 2017 etwa 11.000 Vollzeitstellen beim Personal zusätzlich eingestellt, insgesamt seit 2013/2014 waren das rund 20.000 neue Mitarbeiter. Wir haben jetzt gut 120.000 Vollzeitkräfte in der Verwaltung.

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Es ist eine Legende, dass die personelle Ausstattung in der Berliner Verwaltung schlecht ist. Die unausgeschöpften Personalmittel in den Bezirken lagen zwischen 60 und 70 Millionen jährlich und landesweit liegt die Zahl deutlich über 100 Millionen Euro. 

Ein weiteres Beispiel: Es wird analog zur Bundesebene wohl eine vorläufige Haushaltsführung für die ersten Monate 2022 geben: Neue Maßnahmen können in diesem Zeitraum nicht begonnen werden. Das trägt auch zu Minderausgaben bei.

Die Bezirke haben die Gelder in den Vorjahren nicht ausgegeben. Warum werden die Mittel trotzdem erhöht? 2022 erhalten die Bezirke laut Plan 7,71 und 2023 rund 7,75 Milliarden Euro.
Seit Beginn der Wahlperiode war verabredet, dass die Zahlungen jährlich insbesondere für mehr Personal erhöht werden. Das schafft Verlässlichkeit. Mit Unterstützung des Bundes wird ein Schwerpunkt neuer Stellen in den nächsten Jahren im öffentlichen Gesundheitsdienst liegen.

Muss man nicht grundsätzlich über eine bessere Bezahlung in den Bezirksverwaltungen nachdenken, wenn die Bezirke ihre Stellen nicht besetzen können?
Schauen Sie sich die Situation in den Bürgerämtern an. In Marzahn-Hellersdorf sind 100 Prozent der Stellen besetzt, in Neukölln sind es nur rund 70 Prozent. Also können auch in Außenbezirken Stellen besetzt werden. Eine bessere Bezahlung ist kein überzeugendes Argument.

Eine Verbesserung bei den Bürgerämtern ist nicht wirklich in Sicht. Das Krisentreffen zwischen Senat und Bezirken brachte keine konkreten Schritte. Einige Bezirke wollen die wöchentlichen Öffnungszeiten auf 37 Stunden erweitern, andere nicht. Wäre das für Sie eine Lösung, um den Terminstau abzubauen? Die Finanzverwaltung hat für Mehrarbeit 2,5 Millionen Euro zur Verfügung gestellt.
Es gab Vorabgespräche zwischen Innensenator Geisel und mir. Ich habe ihm meine Unterstützung angeboten. Berlin ist nicht die einzige Stadt in Deutschland mit diesen Problemen. 

In Hamburg hat man als Lösung Kundenzentren der Bezirksämter an wechselnden Standorten an elf Samstagen geöffnet. Das führt dann eben zu Überstunden. Es ist richtig die Öffnungszeiten zu erweitern. Ich gehe davon aus, dass Mittel für Mehrarbeit von Bezirken auch abgerufen werden.

Staatssekretärin Sabine Smentek (SPD) wollte ein neues Bürgeramt in Charlottenburg-Wilmersdorf aufbauen. Der Bezirk kümmerte sich, rund 800 Arbeitsstunden wurden nach unseren Informationen aufgewendet, um dieses Bürgeramt bei der IHK zu realisieren. Dann gab es einen Rückzieher. Sie verweigerten Geld für die Raummiete. Hat Frau Smentek nicht vorher mit Ihnen gesprochen?
Es gibt eine klare Linie im Parlament: Neue Einheiten sollen möglichst in landeseigenen Gebäuden untergebracht werden. Das neue Bürgeramt liegt jetzt in Mitte. 

Dort sollten ursprünglich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eingesetzt werden, die sich um Belange des Mietendeckels kümmern sollten. Da der Mietendeckel keinen Bestand vor dem Bundesverfassungsgericht hatte, sollen die Räume für ein neues Bürgeramt genutzt werden.

Im Sommer 2020 wurden düstere Prognosen angestellt, welche Einschläge die Corona-Pandemie bei Wirtschaft und Staatshaushalten hinterlassen wird. Wie fällt ihr Fazit für Berlin ein Jahr später aus?
Was die grundsätzliche Analyse betrifft, lagen wir ziemlich gut. Wir haben damals gesagt, dass vieles auf einen V-förmigen Krisenverlauf hindeutet. Es geht steil runter und danach wieder schnell hoch. Es spricht vieles dafür, dass es jetzt auch so kommt. Das zeigt sich auch im Haushalt: Es geht zwei Jahre runter und danach hoch. Zudem ist es uns in Berlin gelungen, nicht so viele Fehler zu machen.

Anders als Anfang des Jahrtausends werden wir nicht mit der roten Laterne aus der Krise herauskommen. Beim Wirtschaftswachstum liegen wir unter den Bundesländern auf Platz drei. Trotz allem verschiebt sich der Wachstumspfad dadurch um zwei Jahre. 

Wir haben voraussichtlich 1,6 Milliarden Euro pro Jahr weniger an Steuereinnahmen zur Verfügung. Das muss sich langfristig in den Haushalten abbilden. Es ist aber eine viel bessere Situation, als wir sie Anfang des Jahrtausends hatten.

Das Zinsniveau war jahrelang niedrig. Nun zeichnet sich eine Zinswende in den kommenden Jahren ab. Wie stark wird das die Finanzen der Hauptstadt treffen?
Die niedrigen Zinsen derzeit helfen uns. Wir liegen im Doppelhaushalt 2022/23 bei Zinsausgaben von einer Milliarde. Noch 2013/14 lag der Wert bei knapp zwei Milliarden. Wir wissen nicht, wie sich die Zinsen in Zukunft entwickeln. 

Trotz allem haben wir uns auf den Fall steigender Zinsen eingestellt. Deswegen haben wir bei unseren Schulden immer möglichst lange Laufzeiten von zehn bis 15 Jahren gewählt. Selbst wenn die Zinsen steigen, schlägt sich das erst sehr langsam bei uns nieder. Berlin steht also robust da, wenn es Zinserhöhungen gibt.

Die Einwohnerzahl in Berlin ist im vergangenen Jahr erstmals seit langer Zeit gesunken. In ihrer Senatsvorlage sprechen Sie von negativen Effekten für den Fiskus. Können Sie die beziffern?
Die Steuerzuweisungen über den Bund laufen pro Kopf. Ich gehe davon aus, dass wir erstmal einen Wachstumsstopp haben. Im letzten Jahr hatten wir ein ganz kleines Minus bei der Bevölkerung, und es wird auch 2021 nah an der Null sein. Das werden wir wahrscheinlich nicht aufholen. Danach kommen wir aber hoffentlich wieder in eine Wachstumsphase.

Sie gehen in Ihren Prognosen davon aus, dass Berlin nach dem nächsten Zensus im Mai 2022 weniger Einwohner hat als aktuell angenommen. Wie kommen Sie darauf?
Beim letzten Zensus hatten wir etwa 180.000 Einwohner weniger als angenommen. Eine statistische Bereinigung hat seither nicht stattgefunden, steuerlich zählt dann einfach ein geringerer Anteil der Bevölkerung. Wir arbeiten daran, für den nächsten Zensus besser vorbereitet zu sein. Das hängt von der Qualität unserer Melderegister ab. 

Wenn es da weniger Schwächen gibt, werden bei uns die Melderegister durch die Zensusentscheidung weniger nach unten korrigiert. Das Ziel muss sein, dass wir 2023 besser aufgestellt sind und im Idealfall keine steuerliche Reduktion haben und wenn doch, dass sie deutlich geringer ausfällt als beim letzten Mal.

Das Land Berlin will von Vonovia und Deutsche Wohnen bis zu 20.000 Wohnungen ankaufen. Ist mittlerweile klar, wie hoch der Kaufpreis ausfällt?
Bislang noch nicht. Gegenwärtig wird die Preisbestimmung der angebotenen Wohnungen eingeleitet. Wir wollen im August zu einem Ergebnis kommen.

Sie treten für die Wahl zum Abgeordnetenhaus wieder in Steglitz-Zehlendorf an. Würden Sie gerne als Finanzsenator weitermachen?
Ich trete im Wahlkreis Südende wieder an, den ich 2016 gegen den Trend gewonnen habe. Ich will ihn natürlich wiedergewinnen. Und alles andere schauen wir uns nach der Wahl an.

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