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Eine "Aktive Mittagspause" von Mitarbeitern aller Firmenbereiche der Air Berlin im Oktober 2017 im Hof der Zentrale nahe dem Flughafen Tegel.

© Mike Wolff

Studie über insolvente Fluggesellschaft: Die meisten Airberliner sind gut in neuen Jobs gelandet

Arbeitsmarktforscher bescheinigen den damaligen Transfergesellschaften von Air Berlin große Erfolge. Warum konnten davon nur Berliner Angestellte profitieren?

Mehr als zwei Jahre sind seit der Insolvenz und dem Betriebsende der zweitgrößten deutschen Fluggesellschaft Air Berlin vergangen. Nun ziehen Arbeitsmarktforscher eine positive Bilanz. Anders als bei anderen Firmenpleiten wie der der Drogeriekette Schlecker im Jahr 2012 oder der der Baumärkte von Praktiker und Max Bahr (2014) sind offenbar relativ viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei neuen Arbeitgebern untergekommen. Das geht aus dem bisher unveröffentlichten Evaluierungsbericht des Bochumer Helex Instituts hervor, der dem Tagesspiegel vorab vorliegt.

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Die Arbeitsmarktforscher Julia Massolle und Gernot Mühge haben konkret die Arbeit von drei Transfergesellschaften analysiert, die seinerzeit für 1500 Berliner Beschäftigte der insgesamt 8500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gegründet worden waren. Deren Arbeit war durch eine Finanzierung des Berliner Senats (75 Prozent) und aus der Insolvenzmasse (25 Prozent) ermöglicht worden. Die Länder Bayern und NRW, in denen Air Berlin ebenfalls Standorte hatte, hatten eine Kofinanzierung damals abgelehnt. Daher konnten die Angestellten aus Düsseldorf zum Beispiel nicht davon profitieren.

Es gab Gruppenberatungen und Einzelgespräche

Bei den Transfergesellschaften der Träger PersonalTransfer, BOB Transfer, Mypegasus unter Koordinierung der PCG Project Consult aus Essen konnten die Berliner Air-Berlin-Mitarbeiter unterkommen. Sie konnten an Gruppenberatungen und Informationsveranstaltungen zu Themen wie Zeitarbeit oder Existenzgründung teilnehmen, erhielten Bewerbungstraining, konnten auch als Praktikanten oder Mitarbeiter auf Probe neue Unternehmen kennenlernen – und zwar ohne den Druck, dort unbedingt weiterarbeiten zu müssen.

Die Transferbeschäftigten erhielten auch individuelle Beratungen. So führte jeder Angestellte in den ersten sechs Wochen im Schnitt 2,5 Vier-Augen-Gespräche mit einer Dauer von 30 bis 90 Minuten, heißt es in dem 85 Seiten langen Bericht.

Transfergesellschaften sind „ein arbeitsmarktpolitisches Instrument, das Beschäftigte bei der Arbeitssuche engmaschig unterstützt und qualifiziert“, erklären die Autoren. Im Falle von Air Berlin in der Hauptstadt existierten sie relativ kurz – nur sechs Monate. Die Forscher verteilten Fragebögen, führten qualitative Interviews und verglichen die Angaben mit denen aus ähnlichen Forschungsprojekten. Ein Ergebnis: Fast neun von zehn (89 Prozent) ehemaligen Airberlinern stimmten der Aussage zu: „Ich würde Freunden und Kollegen, die von Stellenverlust bedroht sind, den Eintritt in eine Transfergesellschaft empfehlen“.

Warten auf die Ankunft des letzten Fluges AB6210 von München nach Berlin-Tegel am späten Abend des 27. Oktober 2017.
Warten auf die Ankunft des letzten Fluges AB6210 von München nach Berlin-Tegel am späten Abend des 27. Oktober 2017.

© Reuters/Hannibal Hanschke

Bei einer vergleichbaren Studie von 13 Transfergesellschaften in NRW 2012 hatten nur 78 Prozent dieser Aussage zugestimmt. Und unter den ehemaligen Beschäftigten der Praktiker- und Max-Bahr-Baumärkte haben weniger als 70 Prozent diesen Schritt nicht bereut.

„Die Ergebnisse zeigen, dass die Transfergesellschaften zur Insolvenz von Air Berlin durch eine überdurchschnittliche Qualität der Beratung gekennzeichnet sind. Sie wurden von den befragten Beschäftigten als wichtige Hilfe bei der Bewältigung des Jobverlusts gesehen“, halten die Forscher fest. Diese Einrichtungen hätten dem überwiegenden Teil der Betroffenen neue Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt eröffnet und seien „ein arbeitsmarktpolitisch bemerkenswerter Erfolg“ gewesen.

Drei von vier Beschäftigten fanden sofort eine neue Arbeit

Dem Bericht zufolge gehen rund drei Viertel (75,8 Prozent) aller ehemaligen Beschäftigten der Transfergesellschaft wieder einer Beschäftigung nach. Bei ähnlichen Projekten kamen im Schnitt nur 68 Prozent wieder sofort in Arbeit. Fast alle ehemaligen Mitarbeiter von Air Berlin landeten in einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung, 1,4 Prozent sind selbstständig. Der Anteil der Personen, die zwischenzeitlich arbeitslos waren, betrug 18,5 Prozent, weitere 1,7 Prozent befinden sich in einer Qualifizierungsmaßnahme, 0,6 Prozent sind nach dem halbe Jahr in Rente gegangen.

David McCaleb, Pilot des letzten Air-Berlin-Fluges, schaut aus dem Cockpit eines Airbus A320 nach der Landung auf dem Flughafen Tegel.
David McCaleb, Pilot des letzten Air-Berlin-Fluges, schaut aus dem Cockpit eines Airbus A320 nach der Landung auf dem Flughafen Tegel.

© Gregor Fischer/dpa

Die Qualität der neuen Arbeit bewerten die einstigen Airberliner naturgemäß sehr unterschiedlich. Mehr als die Hälfte (fast 54 Prozent) verdienen nach eigenen Angaben „deutlich schlechter“ oder „schlechter“ als bisher, nur 31 Prozent besser oder deutlich besser. 15 Prozent verdienen in etwa so wie bei Air Berlin. Dafür gaben immerhin zwei Drittel der Teilnehmer an, die neue Tätigkeit sei mit ihrem Privatleben gleich gut oder gar besser vereinbar.

Dank des Berichts sind die Berliner Mitarbeiter statistisch gut erforscht. Anders als man als Fluggast denken könnte, der vor allem mit dem (in der Regel weiblichen) Kabinenpersonal oder Mitarbeitern der Zentrale zu tun hatte, war Air Berlin eine zu 60 Prozent männliche Firma. Dies liegt an den vielen – für Fluggäste unsichtbaren – Mitarbeiter der Wartungsbetriebe. Dort waren in der Regel etwas ältere Herren beschäftigt, die den Altersdurchschnitt auf 44 Jahre hoben. 94 Prozent der Angestellten – deutlich mehr als bei anderen heimischen Airlines – waren deutsche Staatsbürger.

Bessere Tage - hier im Oktober 2005: Air-Berlin-Chef Joachim Hunold (rechts) konnte TV-Moderator Johannes B. Kerner (links) vor dem Börsengang als Werbegesicht verpflichten. In späteren Jahren wollten Prominente nicht mehr in Verbindung mit der Airline gebracht werden.
Bessere Tage - hier im Oktober 2005: Air-Berlin-Chef Joachim Hunold (rechts) konnte TV-Moderator Johannes B. Kerner (links) vor dem Börsengang als Werbegesicht verpflichten. In späteren Jahren wollten Prominente nicht mehr in Verbindung mit der Airline gebracht werden.

© Jens Kalaene/picture-alliance/ dpa

Am Ende beurteilten 81,4 Prozent der Studienteilnehmer die Arbeit der Transfergesellschaften als positiv. Als ein Geheimnis des Erfolges machten die Autoren den relativ hohen Grad der Qualifizierung der einstigen Airberliner aus. So habe ein „auffallend hoher Anteil“ von 94 Prozent über einen Berufsabschluss verfügt. Davon konnten mehr als die Hälfte eine Berufsausbildung nachweisen (54 Prozent), weitere 28 Prozent ein Hochschulstudium. Knapp 13 Prozent haben einen Meister- oder Technikertitel vorzuweisen. Nur jeder 20. Beschäftige war als Un- oder Angelernter beschäftigt.

Große Sorge als der Betrieb eingestellt wurde. Eine Air-Berlin-Mitarbeiterin hält am im November 2017 auf dem Washingtonplatz in Berlin ein Plakat mit der Aufschrift "Tschüss, Goodbye & Aufwiedersehen, wir können alle zum Arbeitsamt gehen!!!"
Große Sorge als der Betrieb eingestellt wurde. Eine Air-Berlin-Mitarbeiterin hält am im November 2017 auf dem Washingtonplatz in Berlin ein Plakat mit der Aufschrift "Tschüss, Goodbye & Aufwiedersehen, wir können alle zum Arbeitsamt gehen!!!"

© Silas Stein/dpa

„Im Falle einer Pleite sind Transfergesellschaften immer schwierig zu begründen, sie kosten ja Geld“, sagte Studienautorin Julia Massolle auf Nachfrage. „In diesem Fall waren sie für viele Angestellte aber eine sehr gute Hilfe, um beruflich wieder Tritt zu fassen.“

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