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Marienkrönung. Rechts Christus mit der Weltkugel.

© Sabrina Jung

Dom geöffnet trotz Pandemie: Wer einen Ausflug ins Mittelalter wünscht, fahre nach Brandenburg

Der Dom sollte Trutzburg gegen die Slawen sein, wurde zerstört, wieder errichtet – und Pfeiler der Hohenzollernmacht. Ein Buch erinnert an seine Geschichte.

Das soll die königliche Unterschrift Ottos I. sein? Das muss man einem aber erst mal sagen. Konnte der Bursche überhaupt schreiben? Als Grundform diente ein geometrisch exaktes H, die beiden vertikalen Striche durch kleine horizontale Aufsätze zu einem zweifachen T veredelt. Das doppelte O schwebte oben wie unten mittig zwischen den vertikalen H-Strichen – bis hierhin hatten Schreiber die zu unterzeichnete Urkunde vorbereitet.

Seine Majestät selbst musste dann nur noch von O zu O eine vertikale Linie, den so genannten Vollziehungsstrich, hinmalen.

Ein im Mittelalter lange übliches, angesichts des selbst unter Herrschern weit verbreiteten Analphabetentums zweckmäßiges Verfahren. Auch auf der Urkunde, mit der Otto I. im Jahre 948 die Gründung des Bistums Brandenburg besiegelte und die heute im Brandenburger Domstiftsarchiv lagert, wurde es angewandt. Ein umstrittenes, möglicherweise gefälschtes Dokument: Schon im Mittelalter gab es alternative Fakten, die Gründung könnte erst 965 erfolgt sein.

Doch wann auch immer es nun war: Der Bistumsgründung ist es zu danken, dass wir 1072 oder vielleicht auch nur 1055 Jahre später, in einer Zeit virenbedingt schwindender Reisemöglichkeiten, im Brandenburger Dom ein ebenso historisch spannendes wie architektonisch attraktives Ausflugsziel haben, während etwa der Berliner Dom immerhin noch virtuelle Rundgänge anbietet, aber „vorerst für Besichtigungen geschlossen“ bleibt, wie es auf seiner Website heißt.

Der Brandenburger Dom dagegen ist bei freiem Eintritt bislang zugänglich, selbstverständlich unter Beachtung der vorgeschriebenen Hygiene- und Abstandsregeln, auch sind Teilbereiche wegen der Pandemie gesperrt. Doch selbst wenn die Restriktionen verschärft würden – er bliebe auch nur von außen allemal einen Besuch wert. Zumal das Domkapitel zu Brandenburg passenderweise aktuell einen opulent bebilderten Band über den ehrwürdigen Sakralbau herausgebracht hat, verfasst von Rüdiger von Schnurbein, Leiter des Dommuseums.

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Gegliedert in sieben Abschnitte der Domgeschichte, stellt es jeweils die „Historische Entwicklung“, das „Baugeschehen“ und die „Ausstattung“ vor, ist auch in den Bilderläuterungen erfreulich ausführlich und liefert im Anhang dem mit Sakralem nicht vertrauten Leser ein hilfreiches Glossar. Paul von Hindenburg, seit 1915 Brandenburger Domherr, fünf Jahre später zum Dechanten gewählt? Hinten im Buch kann man nachschlagen, was das bedeutete.

Die Slawen ließen sich nicht einfach unterwerfen

So alt wie das Bistum ist die Kirche allerdings nicht. Seine Gründung Mitte des 10. Jahrhunderts sollte auch der Unterwerfung der einheimischen Slawen dienen, was anfangs misslang. Im Großen Slawenaufstand 983 wurde der erste Dom zerstört, das Bistum bestand nur pro forma weiter. Erst über anderthalb Jahrhunderte später konnte Brandenburg zurückerobert werden und am 11. Oktober 1165 der Grundstein zu dem seither wieder und wieder erweiterten und umgebauten Dom gelegt werden.

Vielfach war seine Geschichte eng mit der Berlins verknüpft, politisch wie kirchlich. Anfang des 15. Jahrhunderts spielte das Bistum eine bedeutsame Rolle bei der Einsetzung des Adelsgeschlechts, das fortan in Brandenburg und später in Preußen und schließlich im ganzen Deutschen Reich für fünf Jahrhunderte das Sagen haben sollte. Denn als König Sigismund den verdienten Nürnberger Burggrafen Friedrich IV. von Hohenzollern 1411 zum „rechten Obristen, gemeinen Verweser und Landeshauptmann“ einsetzte, war der Brandenburger Bischof Hennig von Bredow einer der ersten, die dem neuen Chef huldigten.

Und als Kurfürst Joachim II. 1539 in der Spandauer Kirche St. Nikolai erstmals das Abendmahl in beiderlei Gestalt, also Brot und Wein gereicht und damit die Reformation in Brandenburg amtlich wurde, geschah dies aus der Hand des Brandenburger Bischofs Matthias von Jagow.

Die Domgeschichte hat auch dunkle Seiten - etwa eine antisemitische Backsteinplastik

Der Band verschweigt auch nicht die dunklen Seiten der Domgeschichte, zeigt nicht nur die prächtigen Gewölbe und die kostbare Sakralkunst, sondern ebenso das Judenkapitell, eine antisemitische Backsteinplastik aus dem 13. Jahrhundert. Sie zeigt eine ihre Jungen säugende Muttersau, während ihr ein hämisch grinsender Mensch, der offensichtlich einen Juden darstellen soll, den Ringelschwanz hebt – eine „blasphemische und schmähende Darstellung dessen, was im Judentum heilig ist“ und aus der „uns eine besondere Aufgabe und Verantwortung“ erwachse, wie Rüdiger von Schnurbein schreibt.

Solche Darstellungen waren im Mittelalter nicht selten, auch an der Wittenberger Stadtkirche gibt es das Relief einer „Judensau“, über den Umgang mit der antisemitischen Schmähplastik wurde lange erbittert gestritten, das Oberlandesgericht Naumburg urteilte ihm Februar, dass das Relief in der Lutherstadt vorerst bleiben darf. Das letzte Wort dürfte damit allerdings nicht gesprochen sein.

Ein anderes antisemitisches Bildwerk, sieben Jahrhunderte später ersonnen, blieb zum Glück nur ein Plan. Ein dem Davidstern gleichendes Hexagramm am Westgiebel des Brandenburger Doms sollte 1934 durch ein Hakenkreuz ersetzt werden. Der Stern ziert noch heute die Backsteinfassade.

Auch an ein erfreuliches Detail aus der Domgeschichte wird erinnert: Die 1985, lange vor der Wende, im Museum ermöglichte Ausstellung „Vicco von Bülow – der Brandenburger“, die den berühmten Sohn der Stadt feierte. Ob damals auch Loriots Würdigung des allerchristlichsten Weihnachtsfests gedacht wurde, ist im Buch nicht verzeichnet. Wie auch immer: „Früher war mehr Lametta.“

Der Dom zu Brandenburg an der Havel. Herausgegeben vom Domkapitel Brandenburg. Text und Bearbeitung: Rüdiger von Schnurbein. Verlag für Berlin-Brandenburg, 152 Seiten, 152 Abbildungen, 25 Euro. Informationen zum Dom unter www.dom-brandenburg.de

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