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Mitmachen erwünscht. Nachbarn gärtnern gemeinsam im Kiezgarten in der Bouchéstraße im Kungerkiez.

© Sven Darmer

Engagement für Berlin: Ein Kiez sieht grün

Eine Initiative hat den Kunger-Kiez in Treptow lebenswerter gemacht. Gemeinsam mit den Nachbarn soll das Viertel nun klimaneutral und nachhaltig werden

Wie Nachbarschaft wachsen kann, davon versteht man viel bei der KungerKiezInitiative. Katrin Wegner etwa hat seit 2007 tatkräftig daran mitgearbeitet. So wie es im Laufe der Jahre immer mehr Menschen wurden, die sich mit ihren Interessen, ihren Ansprüchen an einen intakten Kiez und für ein nachhaltiges Leben eingebracht haben. Dadurch ist der Treptower Kunger-Kiez zu einem besonderen Ort geworden, hier zwischen der lärmenden Elsenstraße, die bald wegen der A100 zur Autobahn-Ausfahrtpiste wird und dem Lohmühlenkanal, wo DDR-Mauer und Todesstreifen auf das Kreuzberger Gegenüber prallten. Wie weit - und ebenso erfolgreich - der Weg war, zeigt sich gerade dieser Tage. Was tun, damit der Kiez nicht kaputt geht?, war nämlich 2007 die Frage, als die KungerKiezInitiative gegründet wurde. Damals ging es darum, Ideen gegen Ladenleerstand und Wegzug zu entwickeln. Zum Exodus der Ladenbetreiber hatte die neue Shopping-Mall Treptower Park Center beigetragen. Fünfzehn Jahre später ist die Karl-Kunger-Straße eine lebendige Gegend mit vielen Geschäften und der Kiez eine gesuchte Wohngegend von jungen Familien. Dafür wird nun in Kürze das derzeit heimatlose Kunger-Kiez-Theater ins Shopping-Center ziehen, das gegen den Leerstand kämpft. So ändern sich die Zeiten.

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Nun soll sich der Kiez noch einmal richtig kräftig ändern. Denn die KungerKiezInitiative erhält von der Bundesregierung in den kommenden drei Jahren eine Förderung von 1,5 Millionen Euro für ein Klimaprojekt. In der Bundesrepublik wird übrigens nur noch eine zweite Kommune gefördert – das bayerische Bamberg. Die Mühe und unzählige Stunden des Antragschreibens für das Projekt „Prima Klima Lebenswelt“ hat sich gelohnt, freuen sich die Freiwilligen. Überzeugt hat die Auswahlkommision unter anderem, dass sich schon so viele Menschen hier im Kunger-Kiez engagieren, dass also schon eine lebendige Nachbarschaftsstruktur da ist, die ein solches nachhaltiges Projekt tragen und voranbringen kann.

Treffpunkt KiezGalerie. Nur gemeinsam mit den Anwohner*innen wird das Viertel klimaneutral, wissen José von Kayserling, Adelheid Rehmann, Katrin Wegner (von links) von der KungerKiezInitiative.

© Gerd Nowakowski

Wie sehr die Initiative verankert ist, kann man schon beim Gespräch in der Galerie Kungerkiez spüren, wenn ständig die Tür aufgeht. Die Galerie ist Stadtteilladen, Nachbarschafts-Treffpunkt, Mieter-Beratung, Kunstgalerie, Kiez-Bibliothek und derzeit auch Kiezladen. Noch bis Weihnachten werden hier Produkte von Nachbar*innen verkauft – Kunst und Kunstgewerbe, Bücher und Schmuck, Upcyclings oder CDs. In der Galerie finden ansonsten Veranstaltungen, Ausstellungen und Diskussionen statt. Ein regelmäßiges Repair-Café wird auch noch veranstaltet.

Der Laden „ist das bunte Gesicht des Kiezes“, sagt Vorständin Katrin Wegner. Weit über den Kiez hinaus ist das jährliche „Baumscheibenfest“ bekannt, bei dem die schönsten Minigärten um die Straßenbäume prämiert werden. Erkämpft wurde das einst mit einer Guerilla-Aktion. Als das bezirkliche Grünflächenamt die ersten Pflanzen nämlich wieder rüde platt machte, verwandelten die Kungerkiez-Aktivisten in einer nächtlichen Pflanzaktion die öde Freifläche vor dem Amtsstube in eine farbenprächtige Blumenwiese. Seitdem kann wachsen, was die Straße schöner macht. Mehrfach hat die Initiative auch mit Aktionen an den Freiwilligentagen „Gemeinsame Sache“ des Tagesspiegel teilgenommen. 2020 stand die Initiative auch in der Shortlist für den Deutschen Nachbarschaftspreis.

Gemeinschaft blüht. Über Treptow hinaus bekannt ist inzwischen das jährliche Baumscheibenfest, bei dem die schönsten Pflanzbeete prämiert werden.

© Tsp

Seit einigen Jahren gibt es einen Kiezgarten in der Bouchéstraße, in dem sich viele Familien die Hochbeete teilen. Die Fläche stellte der dort angesiedelte Kinderzirkus Cabuwazi zur Verfügung – was wiederum viele Kinder dazu bringt, sich als kleine Artisten zu erproben. Ein gutes Beispiel für die Synergieeffekte, die den Kiez so stark machen, sagt Aktivist José von Kayserling. Auch die Unternehmen machen mit. Er nennt den großen Edeka-Laden einen „verlässlichen Partner“. Auf dessen Parkplatz durften sie Hochbeete bauen und ihren Sperrmüll-Flohmarkt veranstalten. Und erst vor wenigen Tagen übergab die Kiezblock-Initiative dem Bezirksamt rund 1700 Unterschriften für eine Verkehrsberuhigung durch Durchfahrtssperren.

Das ist ein lernender Kiez, so umschreibt es Adelheid Rehmann. Sie gab anfangs ehrenamtlich Yoga-Unterricht, engagierte sich dann für sichere Schulwege und bringt nun mit einem Honorarvertrag das Klimaprojekt voran. Der Masterplan, der an der Wand vor José von Kayserlings Schreibtisch in der KiezGalerie hängt, ist umfangreich. Entstehen soll die „Vision eines klimaneutralen Kiezes“, sagt Adelheid Rehmann. Wie kann der Kiez grüner und der Alltag nachhaltiger, wie Müll vermieden werden und der lokale Einzelhandel zu mehr Klimaneutralität beitragen? Dazu sollen noch mehr der vorhandenen Lastenräder, die schon jetzt ständig ausgebucht sind, angeschafft werden – mit Elektroantrieb, um auch künftig für Gewerbebetriebe mit schweren Lasten attraktiv zu sein. Die Lastenräder werden ehrenamtlich betreut und der Radladen im Kiez übernimmt die Wartung und Reparaturen. Außerdem gibt es einen Fonds, mit dem nachhaltige und klimagerechte Mikroprojekte mit bis 3000 Euro finanziert werden. Katrin Wegner freut sich schon auf die Ideen. Der Schmollerplatz wiederum soll als öffentlicher „Kiezanger“ von den Anwohner*innen zu einem Modellprojekt der Stadtnatur umgestaltet werden. Bald öffnet auch ein „Kiezressourcenladen“, bei dem Gebrauchsgegenstände ausgeliehen statt gekauft werden können. Etwa die Kreissäge, die derzeit in der Galerie Kungerkiez liegt, oder andere Werkzeuge oder lange Leitern, die von den jeweiligen Nutzer*innen nur selten benötigt werden. 

Bürgerbeteiligung und der stete Austausch zwischen Anwohnern, Gewerbe und Verwaltung ist für die KungerKiezInitiative der Schlüssel zur Veränderung. Ein „Klimaparlament“ ist für Vorständin Katrin Wegner deswegen das unentbehrliche „Dach“ des Projekts. Denn den Engagierten ist bewusst, dass ohne die Anwohner*innen als Experten des Kiezes das Projekt nicht erfolgreich sein kann. Es braucht die kreativen Köpfe und die Handwerker gleichermaßen. Aus dem Kiez sollen die innovativen Ideen für ein klimaneutrales Leben kommen. Das fängt im Kleinen – und für die Kleinen – an. Aktuell gibt es für Kinder einen digitalen Adventskalender mit 24 Kreativ-Videos und in der Kiez-Galerie einen Korb mit Überraschungs-Tüten, mit denen die Kleinen nachhaltig basteln können.

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