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Schüler der Eichendorff-Grundschule in Charlottenburg gehen auf einem Bürgersteig.

© picture alliance/dpa/Paul Zinken

Expertenrat stellt umfassende Diagnose: Wie können die Berliner Schulen gerettet werden?

Die „Qualitätskommission zur Schulqualität in Berlin“ stellte am Mittwoch ihren Abschlussbericht vor. Die 12 wichtigsten Fragen und Antworten im Überblick.

Das Berliner Bildungssystem muss selber noch einmal auf die Schulbank. In einem am Mittwoch vorgestellten Bericht einer von Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) beauftragten Expertengruppe um den Kieler Bildungsforscher Olaf Köller heißt es, dass es trotz teilweise beachtlicher Anstrengungen nicht gelungen ist, die Leistungen in Mathematik und Deutsch substanziell zu verbessern.

Der Berliner Landeselternausschuss lobte den Bericht ausdrücklich. Er könne sich den Analysen und Beurteilungen der Experten „weitgehend anschließen“. Hinzu kommen nun auch noch die Auswirkungen der Coronakrise mit den Schulschließungen im Frühjahr, die in dieser Bilanz noch gar nicht berücksichtigt worden ist.

Gibt Berlin genug Geld für Bildung aus?

Ja. Mit 10400 Euro pro Schüler sind die Ausgaben deutlich höher als in fast allen anderen Bundesländern mit Ausnahme Hamburgs (10700 Euro). Bremen (8000 Euro) oder Sachsen (7800 Euro) wenden deutlich weniger auf. Auch in anderen Bereichen besitzt Berlin „Ressourcen und Potenziale für die Gestaltung des Schulsystems, die in anderen Ländern nicht im selben Ausmaß vorhanden sind“.

Dazu zählen eine vergleichsweise gute Lehrer- Schüler-Relation sowie ein wissenschaftlich arbeitendes Institut für Schulqualität, das die Lernergebnisse evaluiert.

Warum bleiben die Leistungen schwach?

Die Qualitätskommission diagnostiziert, dass die Schulpolitik zwar engagiert, aber nicht ausreichend wirksam und fokussiert sei. Initiativen passierten „ad hoc“ und orientiert an Lösungen für aktuelle Probleme, seien aber weder zielgerichtet noch selbstreflexiv. In der Folge würden Gelder ausgegeben, ohne dass jemand im Auge behalte, was dabei herauskomme. Es gebe weder Abstimmungen noch eine Verzahnung. Anstatt auf fachdidaktische Qualität des Unterrichts werde auf die allgemeine Prozessentwicklung geachtet.

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Als Beispiel nennt die Kommission den Einsatz von „proSchul“, einer Einrichtung der Bildungsverwaltung, die sich um schwache Schulen kümmern soll. „ProSchul“ biete zu wenige Veranstaltungen für die Unterrichtsentwicklung an. Dass all dies niemandem aufgefallen sei, liege unter Umständen daran, dass die Schulverwaltung selbst falsch strukturiert sei. „Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten sind vielfach unklar und Abstimmungen erfordern einen hohen Zeitbedarf“.

Was soll in den Kitas besser werden?

„In einer bildungsnahen Familie hören die Kinder in den ersten vier Lebensjahren 40 Millionen Wörter, in einer bildungsfernen zehn Millionen“, beschrieb Köller die Kluft, mit der es die Kitas zu tun haben. Um gegenzusteuern müsse es in den frühen Jahren eine Erzieherin oder einen Erzieher für drei Kinder geben. Davon erhoffen sich die Forscher, dass sich auch die sprachliche Zuwendung erhöht.

Zudem müsse die Jugendverwaltung verbindliche Vorgaben für die Anrechnung von Vor- und Nachbereitungszeiten in der pädagogischen Arbeitszeit machen. Wichtig sei auch, dass in der Kita schulnahe Fähigkeiten – insbesondere sprachliche und mathematische Kompetenzen – eingeübt würden.

Damit die Kitas herausfinden, wie sie jedes einzelne Kind besser fördern können, sollen sie Stellen für die Diagnostik und Förderung bekommen. Diese sollten vor allem Kitas in prekären Wohngebieten zugutekommen.

Wie soll der Unterricht besser werden?

Auslöser für die Beauftragung der Expertenkommission waren 2019 die abermals schwachen Berliner Ergebnisse in den Fächern Mathematik und Deutsch: Die bundesweite Auswertung im „Bildungstrend“ ergab, dass 34 Prozent der Berliner Schüler den Mindeststandard in Mathematik nicht erreichen, im Vergleich zu knapp 25 Prozent im Bundesdurchschnitt.

In Deutsch verzeichnete die letzte bundesweite Erhebung, dass 20 Prozent der Berliner Viertklässler am Mindeststandard scheiterten (bundesweit 12,5 Prozent). Diese Schüler können in der Berufsbildung kaum bestehen, weshalb sie als „Risikogruppe“ bezeichnet werden.

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Um dies zu ändern, soll der Faden, der in der Kita aufgenommen wurde, in der Grund- und Oberschule weitergeführt werden – mit einer klaren Fokussierung auf sprachliche und mathematische Kompetenzen. Damit dieses Bemühen – anders als in den letzten 20 Jahren seit der Pisa-Studie – nicht verpufft, soll eine „Gesamtstrategie“ etabliert werden. Damit soll die Zahl der Risikoschüler um fünf Prozent in fünf Jahren reduziert werden.

Die Kommission greift damit ein Ziel auf, das sich Scheeres in ihrem Qualitätspaket von 2019 gesetzt hatte. Gelingen soll dies mit forschungsbasierten Förderkonzepten für sprachliche und mathematische Kompetenzen. Als Beispiel nannte Michael Becker-Mrotzek vom Mercator- Institut das „Leseband“, das Hamburgs Grundschulen etabliert haben: Hier wird in den Klassenstufen eins bis vier jeden Tag 20 Minuten gelesen.

Sechs Buchstaben und ein Haufen Probleme - immer wieder.
Sechs Buchstaben und ein Haufen Probleme - immer wieder.

© Arno Burgi/dpa

Die Hamburger haben ihre Ergebnisse nachweislich verbessert. Die Schulen müssten eine verbindliche Unterstützung und wissenschaftsbasierte bedarfsgerechte Fortbildung der Lehrkräfte angeboten bekommen. Alle Maßnahmen müssten auf das „zentrale Ziel Deutsch und Mathematik“ und auf die am stärksten betroffenen Schulen mit vielen förderbedürftigen Schülerinnen und Schülern konzentriert werden. Ausdrücklich wurde das bisherige „Gießkannenprinzip“ zur Abschaffung empfohlen.

Wie sollen die Lehrer besser werden?

Die Expertenkommission beschreibt die Berliner Lehrerbildung als hoffnungslos zergliedert. Stattdessen soll es nun ein Berliner Landesinstitut geben, das die Ausbildung der Referendare (Lehramtsanwärter), die Qualifizierung und den Einsatz von Schulberatern und fachdidaktischen Unterrichtscoaches verantwortet. Es soll auch für die Fort- und Weiterbildung sowie die Entwicklung von Materialien zur Schul- und Unterrichtsentwicklung zuständig sein.

Wie sollen die Schulen kontrolliert werden?

Die bisher zuständige Schulinspektion soll neu aufgestellt werden. Anstatt alle Schulen alle fünf Jahre zu evaluieren, soll der Fokus auf den Schulen liegen, die Probleme haben. Zudem soll es einen Schwerpunkt in der Beurteilung der Unterrichtsqualität und der Schülerleistungen geben. Das war bisher nicht der Fall. Es könne nicht sein, dass 90 Prozent der Schulen von der Schulinspektion für ihren Umgang mit ihren Leistungsdaten gelobt würden, wenn gleichzeitig jeder vierte Schüler ein Risikoschüler sei.

Die Vergleichsarbeiten sollen als relevantes Mittel für die Schulentwicklung betrachtet und nicht nur als lästige Pflicht angesehen werden. Die Zahl der Klassenarbeiten soll beibehalten werden. Die Regelung, wonach in den Klassenstufen acht bis zehn eine Reduktion der Klassenarbeiten in den Kernfächern vorgenommen werden kann, soll entfallen. Unnötig sind in den Augen der Kommission die obligatorischen Prüfungen zum Mittleren Schulabschluss an Gymnasien. Stattdessen soll es eine freiwillige Teilnahme geben.

Ist das Aufrücken in die Oberstufe zu leicht?

Die Kommission bejaht diese Frage. Es gehe nicht an, dass man mit einer Fünf in einem Hauptfach in die elfte Klasse komme. Die Experten plädieren zwar nicht für ein stärkeres Aussieben, fordert aber, die Schüler besser zu ertüchtigen für den Weg zum Abitur. Dazu gehört nach Ansicht der Experten, dass in den Klassen neun und zehn möglichst nur Fachlehrer in Deutsch und Mathematik unterrichten. Eine verpflichtende Lernstandserhebung am Beginn der Einführungsphase der gymnasialen Oberstufe an Sekundar- und Gemeinschaftsschulen soll eine gezieltere Förderung ermöglichen.

Was können die Hochschulen tun?

Die gesamte Lehramtsausbildung soll stärker an der Professionalisierung der Lehrkräfte ausgerichtet werden. Dazu gehört auch, dass die Diagnose- und Förderkompetenzen viel mehr Einzug in die Lehramtsstudiengänge Deutsch und Mathematik halten sollen. Die Universitäten sollen auch bei der Quereinsteigerausbildung eine größere Rolle spielen.

Wie kann der Politik geholfen werden?

Die Senatsverwaltung für Bildung soll mit all diesen Herausforderungen nicht alleingelassen werden. Vielmehr soll eine zu gründende Bildungskommission dafür sorgen, dass die Neuerungen auch tatsächlich ankommen und greifen. Diesem Gremium sollen Mitarbeiter der Bildungsverwaltung, Vertreter der Schulen, der Finanzverwaltung sowie der Bildungs- und Verwaltungswissenschaft angehören.

Die Hürden zum Abitur in Berlin wurden abgesenkt. Das soll anders werden, empfiehlt die Kommission.
Die Hürden zum Abitur in Berlin wurden abgesenkt. Das soll anders werden, empfiehlt die Kommission.

© picture alliance / dpa +++ dpa-Bildfunk

Zudem soll die Verwaltung selbst reorganisiert werden. Hierbei sowie bei der Konzeption eines neuen Berliner Landesinstituts für die Lehrkräftebildung könne die neue Bildungskommission ihre Expertise einbringen.

Wie reagiert die Wirtschaft?

Die IHK sei der Kommission „zu Dank verpflichtet“, sagte IHK-Präsidentin Beatrice Kramm, weil der Bericht „den Finger so deutlich in die Wunde legt“. Die Handlungsempfehlungen müssten im Rahmen eines transparenten Change-Managements umgesetzt werden. Insbesondere die notwendigen Änderungen in den Verwaltungsstrukturen müssten noch im Laufe dieser Legislaturperiode in Angriff genommen werden. Dies gelte auch für die aktuellen Regelungen zum Übergang in die Oberstufe. Diese dürfen nicht länger nur vom politischen Wunsch getragen sein, möglichst viele Abiturienten zu haben, wenn dies nicht mit entsprechenden Leistungen verbunden sei.

Was sagt die Gewerkschaft?

Berlins größte Bildungsgewerkschaft, die GEW, sieht in dem Bericht „keinen großen Wurf“. Sie bedauert, dass auf die Rahmenbedingungen wie die räumliche und personelle Ausstattung von Kitas und Schulen, die Größe der Gruppen und die Aufgabenfülle der Pädagogen und Pädagoginnen nicht genügend eingegangen worden sei. Der Berliner GEW-Vorsitzende Tom Erdmann sagte, eine qualitätsvolle Bildungsarbeit sei „nur mit ausreichendem, gut qualifiziertem Personal und Räumen in gutem Zustand möglich.“

Wer gehörte der Expertenkommission an?

Neben Köller waren dabei als Berater und Moderator der Hamburger Staatsrat Michael Voges (SPD), außerdem Felicitas Thiel und Yvonne Anders (beide FU), Susanne Viernickel (Uni Leipzig), Susanne Prediger (TU Dortmund) und Kai Maaz (Leibniz-Institut für Bildungsforschung) sowie Michael Becker-Mrotzek (Mercator-Institut). Sie wurde flankiert von einer „Praxiskommission“ mit Vertretern der Eltern-, Schüler- und Lehrerschaft, der Unternehmensverbände und des Dachverband der Kinder- und Schülerläden.

Den vollständigen Bericht können Sie hier herunterladen.

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