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Manfred Stolpe war von 1990 bis 2002 Landeschef Brandenburgs.

© dpa

Fall Stolpe: Rot-Rot lässt Vergangenheit ruhen

Die Stasi-Geschichte des früheren Ministerpräsidenten von Brandenburg, Manfred Stolpe, wird wohl nicht neu bewertet. Kontroversen um den Fall gibt es aber weiterhin.

Brandenburgs Enquete-Kommission zur SED-Diktatur wird den Fall des früheren brandenburgischen Ministerpräsidenten Manfred Stolpe (SPD) voraussichtlich nicht neu aufrollen. Auf der Sitzung am kommenden Freitag wird zwar mit einer harten Kontroverse über das Gutachten zur Stasi-Überprüfungspraxis im Land gerechnet. Es lässt im Vorfeld die Wogen hochschlagen, weil es eher am Rande den 75-jährigen Alt-Regierungschef – im Gegensatz zum Untersuchungsausschuss des Landtages im Jahr 1994 – als früheren informellen Mitarbeiter der Staatssicherheit bezeichnet.

Aber eine grundsätzliche Neubewertung des Falls Stolpe, wie sie jetzt die frühere Chefin der Stasi-Unterlagenbehörde Marianne Birthler und der frühere Bündnis–Fraktionschef Günter Nooke erneut gefordert haben, lehnen SPD und Linke strikt ab. Rot-Rot hat eine Mehrheit im Gremium. Zudem ist selbst in den Reihen der Opposition aus CDU, Grünen und FDP nach Tagesspiegel-Recherchen die Neigung eher gering, aus der Enquete-Kommission indirekt einen neuen Stolpe-Untersuchungsausschuss zu machen: Dies würde, so eine Sorge, lediglich Solidarisierungseffekte in der Brandenburger Bevölkerung mit dem populären Ex-Regierungschef provozieren.

„Da wird jetzt versucht, die Gunst der Stunde zu nutzen, um Geschichte umzuschreiben“, sagte SPD-Generalsekretär Klaus Ness. Kein ostdeutscher Politiker sei so ausgeleuchtet worden wie Stolpe. „Wenn man eine Neubewertung zum Ziel der Enquete-Kommission macht, wäre diese zum Scheitern verurteilt.“ Stattdessen sollte die sich darauf konzentrieren, wie man Opfern des SED-Regimes besser gerecht werden könne und die Vergangenheit der jungen Generation nahebringen könne.

Auf der anderen Seite warnte am Sonntag die FDP-Vizefraktionschefin Linda Teuteberg, selbst Mitglied der Enquete-Kommission, dass eine auf Stolpe konzentrierte Debatte allenfalls im Interesse der SPD selbst liegen würde, um von eigentlichen, strukturellen Versäumnissen im Umgang mit der SED-Diktatur im Land abzulenken. Man sollte ihn „wie die anderen im Gutachten genannten Fälle“ sachlich diskutieren, sagte sie, „aber nicht der Versuchung erliegen, den Fall Stolpe zum Dreh- und Angelpunkt zu machen“. Gerade Stolpe eigne sich eben nicht als Muster.

Entschiedener müsste die Enquete- Kommission vielmehr fragen, welche Auswirkungen die damalige Stolpe-Debatte und ihr Abschluss auf die Stasi- Überprüfungspraxis in Landtag und Regierung eigentlich hatte, etwa, „wie die Toleranzschwelle und die Kriterien verschoben wurden“.

Und dafür steuert das von der langjährigen Leiterin der Potsdamer Außenstelle der Stasi-Unterlagenbehörde, Gisela Rüdiger, und dem Juristen Hanns-Christian Catenhusen vorgelegte Gutachten valide Ergebnisse bei. Es kommt etwa zum Ergebnis, dass in Brandenburgs öffentlichem Landesdienst „von einer Regelanfrage (…) nicht gesprochen werden“ konnte. Es gab im Landesdienst weder einheitliches Vorgehen noch einheitliche Kriterien. Und im Umgang mit belastenden Bescheiden der Stasi-Unterlagenbehörde war man in Brandenburg, so das Gutachten, besonders milde.

So enthielten 1400 von 63 000 Mitteilungen für Brandenburg Hinweise auf eine frühere Tätigkeit für die Stasi – in 32 Prozent der Fälle wurde das Arbeitsverhältnis beendet. In Sachsen musste jeder zweite gehen, wenn Bescheide Hinweise auf Stasi- Belastungen enthielten. In Brandenburgs Polizei musste jeder fünfte frühere IM des DDR-Geheimdienstes gehen, im ostdeutschen Durchschnitt liegt die Quote laut Gutachten bei 46 Prozent. Allerdings fand das Gutachten keine Belege, dass die Schaltstellen im Ministerialapparat Brandenburgs besonders belastet sind, im Gegenteil: Von den Abteilungsleitern ist – wie vor zwei Jahrzehnten – nur jeder vierte ostdeutscher Herkunft.

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