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Durch die Schließung der Kitas waren viele Berufstätige Eltern im Homeoffice doppelt eingespannt.

© Christian Beutler/dpa

Familienbonus in der Coronakrise: „300 Euro helfen Eltern wenig“

Die Evangelische Arbeitsgemeinschaft Familie fordert in der Coronakrise mehr Unterstützung für Eltern. Denkbar sei etwa eine Corona-Familienzeit. Ein Gespräch.

Frau Schöningh, als Bundesgeschäftsführerin ihres Verbands vertreten Sie die familienbezogenen Institutionen der Evangelischen Kirche und setzen sich für die Rechte von Familien ein. Momentan sind Eltern einer enormen Belastung ausgesetzt. Wie beurteilen Sie den von der Regierung beschlossenen Familienbonus von 300 Euro pro Kind?
Für Eltern mit wenig Einkommen ist der Familienbonus sicher hilfreich. Doch so eine Einmalzahlung gleicht keine Einkommenseinbußen aus, die entstehen, wenn es keine verlässliche Kinderbetreuung gibt. Von 300 Euro kann man sich vielleicht für 25 Stunden einen Babysitter nehmen.

Auch Familien mit zwei Kindern ist mit 600 Euro nicht wirklich geholfen. Der Familienbonus hat aber vermutlich, wie beabsichtigt, eine positive Wirkung auf die Konjunktur, da viele Eltern das Geld wahrscheinlich schnell ausgeben werden. Mir erscheint es allerdings wenig sinnvoll, das als Gießkannenverteilung an alle Eltern auszuschütten.

So eine Bonuszahlung sollte zielgenauer eingesetzt, zum Beispiel an eine Einkommensgrenze geknüpft werden. Gut an der getroffenen Regelung ist, dass die Bonuszahlung nicht mit Transferzahlungen (Hartz IV) verrechnet wird, sondern diesen Familien wirklich zusätzlich zugutekommt.

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Selbst wenn Schulen und Kitas jetzt wieder öffnen, wird es dieses Jahr vielleicht gar keine normale Betreuungssituation mehr geben, da viele Lehrer und Erzieher wegen Vorerkrankungen ausfallen und bei einer weiteren Infektionswelle alles womöglich wieder dicht ist. Wie könnte man statt eines einmaligen Bonus die Familien sinnvoll unterstützen?
Wir würden es für sinnvoll halten, wenn es so etwas wie eine Corona-Familienarbeitszeit gäbe. Damit hätten Eltern mit Kindern bis zu zwölf Jahren einen Anspruch auf die Reduzierung ihrer Arbeitszeit. Der entfallende Arbeitslohn könnte durch einen Corona-Zuschuss des Bundes ersetzt werden, der allerdings gedeckelt sein sollte.

[Alle aktuellen Entwicklungen in Folge der Coronavirus-Pandemie finden Sie hier in unserem Newsblog. Über die Entwicklungen speziell in Berlin halten wir Sie an dieser Stelle auf dem Laufenden.]

So könnte man Eltern ein bisschen mehr Zeit für ihre Kinder verschaffen und sie trotzdem im Erwerbsleben halten. Das würde nicht nur den Druck von den Eltern nehmen und ihnen finanzielle Sicherheit verschaffen, sondern auch Betrieben helfen, die momentan ihre Mitarbeiter nicht so gut bezahlen können oder weniger Arbeit haben. Ein Kündigungsschutz müsste dazugehören.

Wichtig an unserem Modell ist, dass beide Eltern ihre Arbeitszeit reduzieren sollten – möglichst in einem ähnlichen Verhältnis. Kein Elternteil sollte auf null reduzieren, da es ja im Kern darum geht, dass beide Eltern, also explizit auch die Mütter, später wieder im größeren Umfang in ihren Job zurückkehren sollten.

Wege der Coronakrise waren Spielplätze vielerorts geschlossen.
Wege der Coronakrise waren Spielplätze vielerorts geschlossen.

© Julian Stratenschulte/dpa

Droht sonst vielleicht – wenn also nur Frauen diese Leistung in Anspruch nehmen würden – erst recht ein Rollback, vor dem die Soziologin Jutta Almendinger so dringlich warnt?
Das ist auch unsere Sorge. Würde man eine Zahlung anbieten, die nur von einem Elternteil beantragt werden kann, würden dies mit ziemlicher Sicherheit hauptsächlich die Frauen tun. Sie arbeiten in der Regel in Teilzeit und verdienen weniger Geld. Die Familie würde sich automatisch dazu entscheiden, wenn sie hauptsächlich auf das Einkommen des Mannes angewiesen ist.

Tatsächlich kündigen ja bereits jetzt die ersten Frauen, da sie die Belastung nicht länger ertragen. Es gibt viele Studien, die zeigen, dass Kinderbetreuung und Hausarbeit größtenteils von Frauen ausgeführt wird. Beim Elterngeld haben wir auch die Erfahrung gemacht, dass Väter, wenn es diesen Lohnersatz gibt, viel eher dazu bereit sind, ihre Arbeitszeit zu reduzieren, als wenn es diesen Anreiz nicht geben würde.

Was wäre ein weiterer Vorteil Ihres Modells der Corona-Familienzeit?
Politisch wäre das, abgesehen von der momentanen Extremsituation, eine gute Möglichkeit, um zu beurteilen, wie gut eine solche Maßnahme wirkt. So eine vom Bund geförderte Familienzeit wäre auf die Zeit der Pandemie beschränkt, beziehungsweise an die Zeit der Schul- und Kitaschließung gekoppelt.

So eine Testphase hat man im normalen politischen Alltag nicht. Wir denken ja auch ohne Corona darüber nach, wie man Eltern mit Kleinkindern mehr Zeit und Flexibilität verschaffen kann, ohne sie aus dem Arbeitsleben herauszudrängen. Wichtig ist auch die Frage, wie man es schafft, dass Eltern ihre Arbeitszeit gleichberechtigt verteilen, damit auch Väter mehr Erziehungsaufgaben übernehmen.

Welche persönlichen Geschichten erreichen Sie derzeit von den Familien?
Wir haben unter unseren Mitgliedern, wozu ja auch die evangelischen Familienbildungsstätten und der evangelische Kitaverband gehören, eine kleine Umfrage gemacht. Viele Eltern sind überfordert. Es gibt große Unsicherheiten, wie lange das überhaupt noch zu schaffen ist und eine große Sorge um die Entwicklung der Kinder. Daneben die materiellen Unsicherheiten.

Kita im Ausnahmezustand: Auch hier bereitet man sich auf besondere Coronaregeln vor.
Kita im Ausnahmezustand: Auch hier bereitet man sich auf besondere Coronaregeln vor.

© Jens Büttner/dpa

Ich weiß von mehreren Frauen, die ihre Stelle gekündigt haben, weil sie gesagt haben, sie halten das nicht mehr aus und beschränken sich lieber auf das Gehalt des Partners.

Diese Entscheidung kann sehr lange Folgen haben. Wer weiß, wann diese Frauen wieder eine Arbeit finden, die ihren Qualifikationen gerecht wird – mit der gewünschten Stundenzahl. Wenn das lange dauert, hat das Langzeitfolgen bis zum späteren Rentenanspruch. Deshalb schlagen wir unser Modell der Familienarbeitszeit vor.

Viele Familien fühlen sich von der Regierung im Stich gelassen. Welche Fehler wurden Ihrer Meinung nach zu Beginn des Lockdowns und bei den Lockerungen gemacht?
Ganz am Anfang des Lockdowns war das Verständnis bei allen relativ groß. Für eine gewisse Übergangszeit war das alles auszuhalten. Schwierig war die fehlende Perspektive. Wir hätten uns von Beginn an eine klare Regelung gewünscht, was mit Eltern passiert, die mit kleinen Kindern zu Hause bleiben müssen.

Um das Abstandsgebot einzuhalten, darf nur jeder zweite Stuhl besetzt werden.
Um das Abstandsgebot einzuhalten, darf nur jeder zweite Stuhl besetzt werden.

© Daniel Karmann/dpa

Vor allem als klar war, dass Großeltern, andere Verwandte oder Babysitter als Hilfen wegfallen. Und darauf beruht ja unser ganzes System, dass es zur Not innerfamiliäre private Lösungen gibt. Was ja neben der Kinderbetreuung und den Schulaufgaben auch noch hinzukommt, ist, dass auch die Hausarbeit enorm zunimmt, wenn immer alle zu Hause sind. Es gibt viel mehr zu putzen, zu kochen und einzukaufen.

Die Bundesregierung hat ja auch schnelle Hilfen für Familien auf den Weg gebracht, wie die Lohnfortzahlung für Eltern oder den Notfall-KiZ. Was haben Sie daran zu bemängeln?
Es ist wirklich zu loben, dass die Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) den sogenannten Notfall-KiZ, den pandemiebedingten Kindergeldzuschlag für Geringverdiener, so schnell auf den Weg gebracht hat. Auch was die Onlinebeantragung des Notfall-KiZ angeht, sollte das möglichst bei anderen Leistungen so weitergehen. Auch beim Elterngeld wurde schnell nachjustiert. Die Lohnfortzahlung für Eltern kam allerdings viel zu spät.

Auch gibt es dabei zu viele Ungenauigkeiten. Es wird relativ offengelassen, ob die Lohnfortzahlung auch dann erfolgt, wenn Eltern im Homeoffice arbeiten. Für Arbeitgeber und Eltern ist es zu kompliziert, herauszufinden, ob sie anspruchsberechtigt sind. Mehr Kriterien wären hilfreich.

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Es gilt eine Zumutbarkeitsgrenze – wo diese Grenze endet, ist nicht festgelegt. Viele Eltern wissen noch nicht einmal, dass es so eine Lohnfortzahlung überhaupt gibt. Es wurde zu wenig beworben. Wenn ich mir im Vergleich angucke, was an Anträgen für Soforthilfen für Selbstständige auf den Weg gebracht wurde, dann frage ich mich, warum so etwas Ähnliches nicht auch für die Eltern möglich war.

Schlecht ist auch, dass diese Lohnfortzahlung nur greift, solange keine Ferien sind. Das ist wirklichkeitsfremd, da Eltern niemals die gesamte Ferienzeit mit Urlaub ausgleichen können.

Insa Schöningh ist Bundesgeschäftsführerin der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft Familie (eaf).
Insa Schöningh ist Bundesgeschäftsführerin der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft Familie (eaf).

© privat

Was würden Sie sich sonst wünschen?
Was abseits davon helfen würde, ist eine Stärkung der Kinderrechte im Grundgesetz. Gottesdienste konnten nur so schnell wieder stattfinden, weil sie durch ein starkes Grundrecht, das Recht auf Glaubensfreiheit, Artikel 4, gestärkt waren. Das Recht auf Bildung und Entwicklung von Kindern müsste gesondert hervorgehoben werden, um dieses besser zur Geltung zu bringen.

Viele Eltern wollen jetzt dennoch ihre Arbeitszeit reduzieren, auch wenn es keine staatliche Unterstützung dafür gibt. Wie können sie mit ihrem Arbeitgeber besser verhandeln?
Man sollte seinem Arbeitgeber deutlich machen, dass man nicht freiwillig reduziert, sondern weil man es anders nicht hinbekommt. Das könnte man auch in den Vertrag reinschreiben. Ich empfehle, dies unbedingt zeitlich zu begrenzen.

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Das hilft auch dem Arbeitgeber, der Planungssicherheit braucht. Für Arbeitnehmer ist es allerdings ein schlechter Zeitpunkt, das individuell zu verhandeln, da der Arbeitgeber am längeren Hebel sitzt und zu nichts verpflichtet ist.

Was für kreative Lösungen hätten Sie denn für die Schulen und Kitas, die mit den Anforderungen nur schwer zurechtkommen?
Den Schulen sollte man statt einer Liste mit Anforderungen und Verboten auch Beispiele von kreativen Ideen mitliefern. Sonst sind das Einzige, das den Schulen einfällt, noch mehr Verbote. Unterricht kann man zum Beispiel nach draußen verlegen.

Mit Kitakindern kann man die Zeit für eine Verkehrserziehung im Freien nutzen. Ich wünsche mir dazu auch Ideen von den Schulen, Lehrern und Erziehern. Da gibt es natürlich auch viele positive Beispiele von engagierten Fachkräften.

Der Frust ist wie beschrieben groß, trotzdem gibt es kaum Eltern, die öffentlich aufbegehren. Woran liegt das Ihrer Meinung nach? Kneipenbesitzer oder Clubgänger protestieren doch auch.
Ich vermute, dass für politische Aktionen momentan die Energie fehlt, auch wenn eine Eltern-Demo sicherlich notwendig wäre. Das volle Demonstrationsrecht gilt ja auch jetzt erst wieder. Eltern sind außerdem auch schwieriger zu mobilisieren als Einzelpersonen, da sie zeitlich nicht so flexibel sind und immer für die ganze Familie mitdenken müssen. Momentan birgt ja auch jede Veranstaltung ein Infektionsrisiko.

Insa Schöningh ist Bundesgeschäftsführerin der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft Familie (eaf).

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