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Ein Polizeiauto steht vor der Schlosspark-Klinik in Berlin-Charlottenburg.

© Nina Breher

Update

Fritz von Weizsäcker in Schlosspark-Klinik getötet: Motiv war „wohl wahnbedingte Abneigung“ gegen Familie Weizsäcker

Bei einem Vortrag wird der Arzt Fritz von Weizsäcker erstochen. Der Täter ist ein 56-jähriger Deutscher. Er soll in einer Psychiatrie untergebracht werden.

Ein Angreifer hat am Dienstagabend in Berlin den Sohn von Ex-Bundespräsident Richard von Weizsäcker erstochen und einen weiteren Menschen schwer verletzt. Der Chefarzt Fritz von Weizsäcker wurde während eines Vortrags in der Schlosspark-Klinik in Berlin-Charlottenburg angegriffen. Der Täter stammt aus Rheinland-Pfalz. Es handelt sich nach Tagesspiegel-Informationen um den 56-jährigen Deutschen Gregor Sch., der in der Nähe von Koblenz wohnhaft ist. Staatsanwaltschaft und Polizei geben das Alter offiziell mit 57 Jahren an. Nach Tagesspiegel-Informationen ist der Täter jedoch Jahrgang 1962 und hat erst Ende des Jahres Geburtstag. Er ist gebürtiger Berliner.

Sein Motiv liege „nicht im höchstpersönlichen Bereich“, sondern in einer wohl „wahnbedingten allgemeinen Abneigung“ gegen die Familie des Getöteten, teilte die Generalstaatsanwaltschaft Berlin am Mittwoch mit.

Der Beschuldigte habe seine Abneigung mit der Rolle Richard von Weizsäckers beim Chemiekonzern Boehringer Ingelheim begründet, erfuhr der Tagesspiegel aus Polizeikreisen. Richard von Weizsäcker sei als Geschäftsführer des Konzerns in den sechziger Jahren dafür verantwortlich gewesen, dass das Unternehmen tödliche Giftstoffe für den Vietnamkrieg geliefert habe. Zuerst hatte „Spiegel Online“ berichtet.

Der Beschuldigte sei unbestraft, teilte die Staatsanwaltschaft weiter mit. Der Mann sei psychiatrisch untersucht worden. Der Angreifer werde noch am Mittwoch in ein nicht näher benanntes psychiatrisches Krankenhaus gebracht. Die Staatsanwaltschaft Berlin teilte am Mittwochabend mit: „Der Unterbringungsbeschluss wegen Mordes und wegen versuchten Mordes ist soeben antragsgemäß erlassen worden.“ Die Unterbringung wolle man in Hinblick auf „eine akute psychische Erkrankung des Beschuldigten“ beantragen, hieß es zuvor von der Behörde.

Die Tatvorwürfe sind Mord und versuchter Mord, weil der Mann auch einen 33-Jährigen, der ihn zu überwältigen versuchte, schwer verletzte.

Was ist passiert?

Der 59-jährige Fritz von Weizsäcker hielt gerade einen medizinischen Vortrag in der privat betriebenen Schlosspark-Klinik, als kurz vor 19 Uhr ein Mann aus dem Zuschauerraum auf ihn losging, wie eine Polizeisprecherin sagte. Laut Polizei blieben sofort eingeleitete Reanimationsversuche erfolglos. Von Weizsäcker starb noch vor Ort.

Ein 33-jähriger Polizist, der zufällig unter den Zuschauern saß, versuchte, den Mann aufzuhalten. Der Beamte in seiner Freizeit wurde dabei selbst schwer verletzt. Er wurde in ein anderes Krankenhaus gebracht. Anderen Gästen gelang es, den Angreifer festzuhalten.

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Von Weizsäcker sprach am Abend beim „Forum 11/2019“ im Tagungsraum Haus H der Abteilung für Psychiatrie. Es ging um sein Fachgebiet, „die Fettleber, eine weitgehend unbekannte, aber zunehmende Volkskrankheit“. Im Haus H befinden sich auch Bettenzimmer. Insgesamt ist die Klinik ein frei zugängliches Haus mit Notaufnahme.

Die Schlosspark-Klinik in Charlottenburg ist ein sogenanntes Plankrankenhaus: Es versorgt, auch wenn es einem privaten Betreiber gehört, die gesetzlich Versicherten der Stadt – und erhält dafür Gelder der Kassen und des Landes.

Was ist der Stand der Ermittlungen?

Der Beschuldigte hat der Staatsanwaltschaft zufolge ausgesagt, bei der Planung der Tat im Internet recherchiert zu haben und dort auf den Veranstaltungshinweis der Schlosspark-Klinik gestoßen zu sein. Er habe sich in Rheinland-Pfalz ein Messer gekauft und sei dann mit der Bahn zum Vortrag Weizsäckers nach Berlin gereist.

Gegen Ende des Vortrags ging der Beschuldigte dann aus der Menge der Zuhörer zum Podium, griff Weizsäcker mit dem Messer an und verletzte ihn tödlich am Hals. Ermittler sprechen aufgrund der Stiche in Richtung Hals von einem gezielten „effektiven“ Vorgehen.

Der Mann wurde noch vor Ort festgenommen. Nach Tagesspiegel-Informationen wurde er mit Papiertüten über den Händen abgeführt, damit keine Spuren wie Blut oder Hautpartikel der Opfer verloren gehen oder verwischt werden. Die Polizeibeamten dort stuften den Mann als „offensichtlich geistig verwirrt“ ein.

Polizisten nehmen nach dem tödlichen Angriff in der Schlosspark-Klinik eine Person fest.
Polizisten nehmen nach dem tödlichen Angriff in der Schlosspark-Klinik eine Person fest.

© Paul Zinken/dpa

Gerichtsmediziner, Kriminaltechniker und Ermittler einer Mordkommission sicherten am Tatort mögliche Spuren. Teile der Klinik wurden dafür abgesperrt.

Was ist über den Täter bekannt?

Bei dem Mann, der von Weizsäcker erstochen haben soll, handelt es sich nach Tagesspiegel-Informationen um den in Berlin geborenen 56-jährigen Gregor Sch., wohnhaft in der Nähe von Koblenz (Rheinland-Pfalz). Laut Polizei ist der Täter ein deutscher Staatsbürger. Er war unbestraft, nach dem derzeitigen Stand der Ermittlungen gab es zuvor keine strafrechtlichen Erkenntnisse über ihn.

Die Tatwaffe war nach Polizeiangaben ein Messer. Die Tatvorwürfe sind Mord und versuchter Mord. Letzteres bezieht sich auf den schwer verletzten Polizisten, der Weizsäcker zur Hilfe eilen wollte. Gregor Sch. ist aktuell kein Patient der Schlosspark-Klinik, das teilte die Klinik am Mittwochnachmittag mit. Er war „nach bisherigem Stand“ auch kein Patient – allerdings sind noch nicht alle Archive bis 30 Jahre zurück geprüft worden.

Wie geht es dem verletzten Polizisten?

Dem 33-jährigen LKA-Beamten geht es „den Umständen entsprechend gut oder schlecht“, sagte eine Polizeisprecherin am Mittwochmorgen. Er befinde sich aber nicht in Lebensgefahr. Der Beamte besuchte die Veranstaltung in seiner Freizeit und versuchte noch, den Angreifer aufzuhalten. Dabei wurde er ebenfalls durch den Täter niedergestochen und schwer verletzt. Er kam auf die Intensivstation eines anderen Krankenhauses. Der Beamte arbeitet in einer Abteilung des LKA für Betrug, Cyberkriminalität, Taschen- und Trickdiebstahl.

Welche Reaktionen gibt es?

Kurz nach der Tat teilte FDP-Chef Christian Lindner via Twitter seine Trauer über den Tod von Fritz von Weizsäcker: „Mein Freund Fritz von Weizsäcker wurde heute Abend in Berlin erstochen. Ein passionierter Arzt und feiner Mensch. Neulich noch war er bei uns zuhause zum Grillen. Ich bin fassungslos und muss meine Trauer teilen. Einmal mehr fragt man sich, in welcher Welt wir leben.“

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Von Weizsäckers Schwester Beatrice veröffentlichte am Abend einen Instagram-Post mit den Worten „Gib acht auf meinen Bruder ...“ und einem Bild von Jesus am Kreuz.

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Der Umweltwissenschaftler Ernst Ulrich von Weizsäcker würdigte seinen getöteten Cousin Fritz mit warmen Worten. „Ich fand ihn ganz wunderbar“, sagte von Weizsäcker am Mittwoch der Deutschen Presse-Agentur. „Ich habe ihn ungewöhnlich lieb gehabt.“ Er habe keine Ahnung, was hinter dem Verbrechen stecken könnte, ergänzte Ernst Ulrich von Weizsäcker, der früher SPD-Bundestagsabgeordneter war. Er habe seinen Cousin noch kürzlich bei einer Familienfeier getroffen.

Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bekundete ihr Beileid. „Es ist ein entsetzlicher Schlag für die Familie von Weizsäcker, und die Anteilnahme der Bundeskanzlerin, sicher auch der Mitglieder der Bundesregierung insgesamt, gehen an die Witwe, an die ganze Familie“, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Mittwoch in Berlin.

[„Er hat sich im Alltag ungewöhnlich viel Mühe gegeben“ – Fritz von Weizsäcker war als Arzt gut vernetzt. Sein Tod erschüttert Kollegen und Politiker.]

Wer war Fritz von Weizsäcker?

Der 59-jährige Weizsäcker war seit 2005 Chefarzt der Abteilung Innere Medizin I an der Schlosspark-Klinik. Geboren am 20. Juli 1960 in Essen, studierte er von 1979 bis 1987 Humanmedizin in Bonn und Heidelberg. Es folgten Stationen in Freiburg, Boston und Zürich, wie es auf der Webseite der Schlosspark-Klinik heißt. Für Dienstagabend war von Weizsäckers Vortrag zum Thema Fettleber angesetzt („Fettleber - (K)ein Grund zur Sorge?“).

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Weizsäckers Vater, Richard von Weizsäcker, war von 1984 bis 1994 Bundespräsident und zuvor unter anderem Bundestagsabgeordneter für die CDU sowie Regierender Bürgermeister von Berlin. Seine Mutter ist Marianne von Weizsäcker (87). Seine Eltern hatten 1953 geheiratet. Richard von Weizsäcker arbeitete damals als Jurist bei Mannesmann. Bis 1962 wohnte die Familie in Essen und Düsseldorf, zog dann nach Ingelheim und 1967 nach Bonn.

Fritz von Weizsäcker (2.v.l.) und seine Schwester Beatrice von Weizsäcker (1.v.l.), Marianne von Weizsäcker (2.v.r.) und Joachim Gauck.
Fritz von Weizsäcker (2.v.l.) und seine Schwester Beatrice von Weizsäcker (1.v.l.), Marianne von Weizsäcker (2.v.r.) und Joachim Gauck.

© Maurizio Gambarini/dpa

Fritz von Weizsäcker war das jüngste der vier Kinder. Sein Bruder Andreas starb 2008, es leben noch die Schwester Beatrice (61) und der älteste Robert Klaus (64). Einer seiner Cousins ist der Umweltwissenschaftler und frühere SPD-Bundestagsabgeordnete Ernst Ulrich von Weizsäcker (80).

Was ist aus dem Umfeld der Klinik zu erfahren?

Die Schlosspark-Klinik legte ein Kondolenzbuch aus. Die Mitarbeiter und die Teilnehmer des Vortrags erhalten der Klinik zufolge psychologische Unterstützung. Geschäftsführer Mario Krabbe erklärte, mit Weizsäcker habe die Klinik „einen hervorragenden Arzt und überaus geschätzten Kollegen verloren“.

Ein Sicherheitsmitarbeiter schickt Journalisten am Mittwoch fort. Pressevertreter müssen vor der Krankenwagen-Einfahrt des Klinikgeländes warten. Am Haupteingang herrscht weitgehend normaler Betrieb: Krankenwagen fahren ein und aus, Besucher betreten und verlassen das Gebäude.

Der Sicherheitsmitarbeiter bespricht sich immer wieder mit Ärzten in weißen Kittel. Ein Bauarbeiter verlegt Kopfsteinpflaster neben der Einfahrt. Er hat schon von der tödlichen Attacke gehört: „Ich habe ihn einmal gesehen. Er ist ein sehr netter Mann gewesen“, sagt er mit dickem polnischen Akzent. Er arbeitet seit sechs Monaten für die Schlosspark-Klinik. Auch Patienten, die zum Rauchen vor der Klinik stehen, kennen heute kein anderes Thema.

Das Schild der Schlosspark-Klinik in Berlin-Charlottenburg. Die Klinik liegt unweit des Spandauer Damms.
Das Schild der Schlosspark-Klinik in Berlin-Charlottenburg. Die Klinik liegt unweit des Spandauer Damms.

© imago/Jürgen Ritter

Auf dem Gelände befinden sich auch das Schlosspark-Hotel mit vier Sternen und ein Restaurant. Direkt nebenan ist die „ESCP European Business School“. Auch hier läuft der Lehrbetrieb normal weiter, aus einem Hörsaal hört man das Klatschen nach einer Vorlesung.

Eine gerade entlassene Patientin hat noch nichts von der Attacke gehört und ist schockiert. „Hier? Das ist ja schlimm. Schnell weg hier“, sagt sie und humpelt in Richtung S-Bahnhof.

Gab es ähnliche Fälle in Berlin?

Weitere Fälle von tödlichen Angriffen auf Ärzte in Berlin in der Vergangenheit geraten in Bezug auf den aktuellen Vorfall in Erinnerung: Im November 2018 erstach ein Patient in einer Einrichtung für psychisch Kranke in Wedding einen Pfleger – der Angreifer wohnte in der Therapieeinrichtung in der das Opfer arbeitete.

Oder etwa der Mord an dem 67-jährigen Internisten Martin Doll im Januar 2018. In seinem Fall setzte die Staatsanwaltschaft im April eine Belohnung von bis zu 10.000 Euro für Hinweise aus, die zur Aufklärung des Mordes führen. Doll wurde im Innenhof des Gewerbekomplexes in Berlin-Marienfelde, in dem er seine Praxis hatte, erschossen.

Im Juli 2016 erschoss ein schwerkranker 72-jähriger Patient einen Oberarzt im Benjamin-Franklin-Klinikum in Steglitz und tötete danach sich selbst. Er war als Krebspatient bei dem Arzt in Behandlung. Damals rückten auch die Probleme beim Digitalfunk der Polizei erneut in den Fokus, wie der Tagesspiegel berichtete. Bei dem getöteten Arzt handelte es sich um einen 55 Jahre alten Kieferchirurgen.

Im April 2011 hatte ein 48-jähriger Mann in einem Praxiszentrum in Kreuzberg einen Mediziner im Beisein seiner Tochter niedergestochen. Der Täter warf dem Chirurgen eine „Fehlbehandlung“ vor. (mit AFP/dpa)

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