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© Winkler/Ullstein

Familienatlas: Für arbeitende Mütter ist Berlin vorbildlich

Der "Familienatlas“ sieht die Hauptstadt auf den hinteren Plätzen. Aber nicht alles ist schlecht in Berlin - und manches Ergebnis der Studie fällt sogar überraschend aus.

Kein richtig gutes Zeugnis für Berlin: In puncto Familienfreundlichkeit gehört die Hauptstadt, glaubt man dem jetzt vorgestellten „Familienatlas 2007“ der Bundesregierung, zu den „gefährdeten Regionen“ – zusammen mit Bremen, Aachen, notorisch strukturschwachen Teilen Nordhessens oder dem bayerischen Grenzgebiet zu Thüringen. Und überdeutlich fällt der Abstand Berlins zur kleinen Nachbarin Potsdam aus, die im Atlas als „Topregion“ gilt. Das Urteil der Forscher des Prognos-Instituts, die den Atlas erarbeitet haben: Die gefährdeten Regionen leiden unter miesen Rahmenbedingungen – vor allem dem Arbeitsmarkt – und sie engagieren sich bestenfalls mäßig für Familien. Ergibt summa summarum ein deutliches „Standortrisiko“.

Dabei ist zu berücksichtigen, dass Berlin ein echtes Großstadtproblem hat – und dies nicht nur bei den wenig beeinflussbaren Rahmenbedingungen. Es ist ein eher psychologisches Problem, das sich in den Zahlen des Atlas schwer fassen lässt. Wer kleine Kinder hat oder plant, verlässt gern die Stadt, die Großstadt zumal, und zieht aufs Land oder in eine kleinere Stadt, wo man sich neben günstigerem Wohnraum eine ruhigere Umgebung für den Nachwuchs erhofft. Den Trend bildet auch der Atlas ab: Die Städte, die der Atlas unter den deutschen „Topregionen“ der Familienfreundlichkeit aufführt, heißen Tübingen, Baden-Baden, Erlangen und Landau und sind alle keine Metropolen. Dagegen schneiden neben Berlin auch Köln, Hamburg und Bremen schlecht ab.

Der Wegzug junger Familien allerdings „gefährdet die soziale Stabilität der Städte“, sagt Tilmann Knittel von Prognos, einer der Atlas-Autoren, der das Problem seit langem aus der Beratung kennt, die sein Institut für Städte macht – das Problem wird zu einem nicht geringen Teil von denen geschaffen, die aus der Stadt fliehen. Der Trend beginne aber, sich umzukehren – weil die Jungen von heute vielleicht ihre Eltern in den Einfamilienhäuschen im Grünen aus den 70ern als warnende Beispiele vor Augen haben: Die haben viel Platz und Stille, aber kaum Läden und Ärzte. „Da sind die Städte viel besser ausgestattet“, sagt Knittel.

Und auch Berlin ist, schaut man ins Detail der Atlas-Daten, nicht das schlechteste Pflaster für Eltern und Kinder, gerade wenn die Kinder klein sind. Im Punkt „Vereinbarkeit von Beruf und Familie“ liegt die Stadt auf Platz 35 unter sämtlichen 439 deutschen Städten und Kreisen, unter den 40 größten deutschen Städten sogar auf Platz 5. Andere deutsche Metropolen rangieren deutlich weiter unten: München auf Platz 9, Frankfurt am Main auf dem 11. und das reiche Hamburg sogar auf dem 14. Platz des Städterankings. Auf diesem Feld bekommt Berlin die Höchstnote: Wenn es um Hilfen für berufstätige Eltern geht, gehört es im deutschen Schnitt zu den „stark überdurchschnittlichen“ Regionen. Gemessen wurden dabei drei Faktoren: die Chancengleichheit von Männern und Frauen bei der Jobsuche, die Betreuungsquote für Kinder, die jünger als drei Jahre alt sind, und das Angebot für Kindergartenkinder. Im Punkt Gleichheit schafft Berlin einen Spitzenplatz 16 aus 439 Kreisen und Städten und bei der Kleinkind- und Kindergartenbetreuung immerhin noch die Plätze 63 und 60.

Auch beim Freizeitangebot für den Nachwuchs heißt es im Atlas für Berlin: „überdurchschnittlich“. Gemessen wurde hier im Verhältnis zur Bevölkerung, wie viel Personal für die Jugendhilfe zur Verfügung steht (Platz 42), das Kinoangebot (118), die Nutzung öffentlicher Bibliotheken (201) und der Anteil von Kindern, die Musikunterricht haben (217) und in Sportvereinen sind (359).

Traurig wird das Bild Berlins allerdings bei zwei anderen sogenannten Handlungsfeldern kommunaler Politik, die die Prognos-Forscher untersuchten: beim Wohnen und der Bildung. „Unterdurchschnittlich“ heißt das Verdikt für die Bildung, „stark unterdurchschnittlich“ gar für die Familienfreundlichkeit von Wohnungsmarkt und Wohnumfeld. Beim Angebot an bezahlbaren Wohnungen jedenfalls, die groß genug sind für Mutter, Vater und womöglich mehr als ein Kind, liegt Berlin auf Platz 439, also auf dem definitiv letzten Platz in Deutschland. Nur wenig besser sieht es in den Punkten Wohnungspreise (Platz 433) und Grün, unbebaute Flächen und Platz zum Erholen aus (434). Auch im Punkt Kriminalitätsrate – gezählt wurden Einbrüche und Körperverletzungen – ist die Stadt auf Sichtweite zum tiefsten Kellerplatz und steht auf Rang 431. Nur bei der Zahl von Kindern, die im Straßenverkehr verunglücken, liegt Berlin auf einem bundesweiten Durchschnittsplatz 233 und im Großstädtevergleich noch vor Hamburg oder Köln. Bei der Kinderarztdichte macht Berlin einen ordentlichen 14. Platz unter den 40 großen Städten und einen weit überdurchschnittlichen 72. im gesamtdeutschen Vergleich.

In Bildung und Ausbildung, die nur das Prädikat „unterdurchschnittlich“ erhielten, macht Berlin Platz 357 der deutschen Städte und Kreise. Gemessen wurden hier Klassengrößen, das Verhältnis der Schülerzahl zu der der Lehrer und die Unterrichtsstunden, die Berliner Schulkinder pro Woche erhalten. Große Klassen in der Primarstufe (Platz 396) und ein Platz am äußersten unteren Rand in Sachen Ausbildungsplatzdichte (428) verdunkeln hier die Bilanz. Deutlich besser steht es beim Schüler-Lehrer-Verhältnis (114) und den Klassengrößen der Sekundarstufe I (222). Und eine Überraschung für alle Eltern, die sich über den Unterrichtsausfall beklagen: Was die erteilte Stundenzahl pro Schüler betrifft, erreicht Berlin einen überdurchschnittlichen 66. Platz unter allen 439 Regionen Deutschlands.

Wer weiß: Vielleicht hilft der Atlas ja in Berlin, zumindest dieses Schlachtfeld der Bildungspolitik dichtzumachen.

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