zum Hauptinhalt
Rund 760.000 Berliner zahlen mehr als 30 Prozent ihres Einkommens fürs Wohnen, sagt Experte Andrej Holm.

© imago/imagebroker

Geschäftsmodelle der Wohnungskonzerne im Fokus: Berliner Enteignungskommission tagt erstmals öffentlich

Wird der Berliner Wohnungsmarkt von Konzernen geprägt, die Aktionären statt Mietern verpflichtet sind? Experten waren bei der Anhörung geteilter Meinung.

Kleine Geschenke erhalten die Freundschaft: Die 13 Mitglieder der Expertenkommission zur Enteignung großer Wohnungskonzerne erhielten bei der ersten öffentlichen Anhörung des Gremiums am Donnerstag einen Vorabdruck des Buches zur Volksinitiative „Deutsche Wohnen & Co enteignen“. Überreicht wurden diese von Mietern, die von Verdrängung bedroht sind.

Das jedenfalls sagte der Mitbegründer der Initiative Rouzbeh Taheri, der sich damit einen Punktsieg sicherte, den er mit einem anschaulichen Vortrag über die Beweggründe der geplanten „Vergesellschaftung“ von Unternehmen mit mehr als 3000 Wohnungen vorbereitet hatte.

Kern der Botschaft: Das Geschäftsmodell dieser Firmen mit besten Kontakten zu Regierungsmitgliedern von Bund und Land sei nicht deren Mietern verpflichtet, sondern deren Aktionären. Höhere Mieten dienten der Sicherung der steigenden Renditen. Ebenso Modernisierungen, deren Kosten auf Mieter umgelegt würden und die zugleich den Wert der Immobilien erhöhten. Vernachlässigt würden dagegen Reparaturen und Instandhaltungen auf eigene Rechnung, weil diese die Gewinne schmälern würden. Das erkläre, warum in jeder Heizsaison erneut ganze Blöcke ohne Wärme notversorgt werden müssten.

Vergleichbares gebe es bei Landesfirmen nicht. Diese kämen dem in der Berliner Verfassung niedergelegten Auftrag zur Versorgung breiter Teile der Bevölkerung mit Wohnraum nach. Bis zu 60 Prozent der frei werdenden Wohnungen gäben die städtischen Firmen an Bewerber mit geringen Einkünften mit Wohnberechtigungsschein – weil Vereinbarungen mit dem Senat sie dazu verpflichteten.

„Auf Selbstverpflichtungen privater Firmen ist kein Verlass“, sagte Taheri. Jeder Tag, um den die Vergesellschaftung verschoben werde, habe die Verdrängung weiterer Haushalte aus ihren angestammten Quartieren zur Folge. Fast 60 Prozent der Berliner hätten für die Vergesellschaftung gestimmt, weil sie das wüssten. Die Frage sei daher, „ob wir Berlin demokratisch gestalten können oder die Stadt von Konzernen geprägt wird, die den Gewinnen von Aktionären verpflichtet sind“.

Kein „Ende der Party“ am Immobilienmarkt

Dass dem nicht so ist, hatte der Vorstand des Forschungsinstituts empirica Harald Simons zuvor erläutert: Den Marktanteil „der Privaten“ bezifferte er auf 15 Prozent, Tendenz fallend. Simons ist Mitglied des branchenfreundlichen „Zentralen Immobilien-Ausschuss“ ZIA, darin allerdings auch für durchaus streitbare Thesen bekannt. So hatte er bereits vor Jahren das „Ende der Party“ am Immobilienmarkt angekündigt – und fallende Immobilienpreise. Dies trat nicht ein, die Preise stiegen weiter.

Simons aber bleibt dabei: Deutschlands Städte würden nicht mehr wachsen. Der Neubau bleibe auf hohem Niveau von bis zu 17.000 Wohnungen. Die Mietbelastung werde sinken.

Dass zuletzt auch die Zahl der Haushalte in Berlin nicht mehr wuchs, darin wurde Simons vom Vortrag des früheren Staatssekretärs für Wohnen und Humboldt-Forschers Andrej Holm bestätigt. Doch anders als Simons, der vor allem auf das dynamische Wachstum von Einkommen und Wirtschaft in Berlin hinwies, zeigte Holm, dass fast die Hälfte der Haushalte, rund 760.000 Berliner, mehr als 30 Prozent ihres Einkommens für das Wohnen bezahlen müssen. 30 Prozent, das ist die Obergrenze für das „Leistbare“, wie zuletzt auch die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) im Tagesspiegel gesagt hatte.

[Wenn Sie alle aktuellen Nachrichten live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Auch fehlen in der Stadt laut Holm rund 50.000 Wohnungen. Sogar 70.000 sind es laut Berlins Mieterchef Rainer Wild. Und das führe dazu, dass immer mehr Menschen in Berlin in „prekären Mietverhältnissen leben ohne ordentlichen Mietvertrag“. In den Beratungen seines Vereins beklagten sich Menschen, die einen einzelnen Raum mieten mit Nutzungsrecht für Bad und Küche – und das seien keine Wohngemeinschaften.

Wild sieht, ähnlich wie Taheri und Steueraktivist Christoph Trautvetter, das Problem in der „Finanzialisierung des Wohnungsmarktes“, der damit von den Kapitalmärkten abhängig sei. Im Fall der Pleite einer Aktiengesellschaft entstehe „ein Pulverfass für die Gesellschaft“. Ausgeschlossen sei das nicht angesichts der Milliardenschulden der Firmen. Diese stiegen im Fall der Vonovia dramatisch. Taheri sieht darin ein „Schneeballsystem“, um die steigenden Renditen der Aktionäre zahlen zu können.

Radikale Annahmen sind das nicht: Auch im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und Linken steht das Ziel, die Hälfte von Berlins Mietwohnungen in gemeinwohlorientierte Firmen wie die städtischen oder Genossenschaften zu bringen. Deren Mieten liegen wesentlich niedriger als beispielsweise jene der Deutsche Wohnen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false