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Zwei Schüler prügeln sich.

© Oliver Berg/dpa

Gewalt an Berliner Schulen: Die Schulsenatorin hat zu lange geschwiegen

Keine Zahlen, kein Plan? Senatorin Sandra Scheeres hat in Sachen Mobbing und Gewalt den Willen des Parlaments teilweise ignoriert. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Susanne Vieth-Entus

Herrschaftswissen nennt man so etwas wohl: Seit zwei Jahren rätselt die Öffentlichkeit zusammen mit dem Abgeordnetenhaus über die Frage, wie viele Gewaltvorfälle es an den Berliner Schulen gibt. Körperverletzungen? Beleidigungen? Suizidversuche? Mobbing? Gewalt gegen Lehrer? Keine Zahl dringt raus aus der Senatsverwaltung für Bildung, seit selbige fast drei Jahren beschlossen hat, das ganze Meldeverfahren erstmal zu „evaluieren“.

Das Schöne an so einer „Evaluation“: Man kann alle Prozesse anhalten, indem stets und ständig darauf verwiesen wird, dass man doch erstmal die Untersuchungsergebnisse abwarten müsse.

Diese Hinhaltetaktik ging ziemlich lange gut – bis jetzt der Suizid einer Schülerin dazu führte, dass sich weder die Öffentlichkeit noch das Abgeordnetenhaus länger hinhalten lassen wollen: Aktuelle Fakten sind gefragt. Das Letzte, was man weiß, sind die Daten vom ersten Schulhalbjahr 2016/17. Damals gab es 13 Suizidversuche – so viele wie früher im ganzen Jahr gezählt wurden. Und dann? Hat sich diese Entwicklung fortgesetzt? Unbekannt.

Das gleiche gilt für die Suizidankündigungen. Auch ihre Zahl lag mit 42 Fällen höher als sonst. Die Mobbingmeldungen stagnierten bei 50 gemeldeten Fällen.

Auch "leichte" Gewaltvorfälle sollten gemeldet werden

Womit man bei der zweiten Altlast wäre, mit der es Bildungssenatorin Sandra Scheeres bereits beim nächsten Bildungsausschuss zu tun bekommen wird: Weder die Zahlen zu den Suizidankündigungen noch zu den Mobbingfällen sind belastbar. Vielmehr ist es den Schulen überlassen, ob sie diese Delikte überhaupt melden.

Einst war diese Freiwilligkeit dem Bestreben geschuldet, den Schulen Bürokratieaufwand zu ersparen. Allerdings gibt es seit dem Sommer 2016 einen Parlamentsbeschluss, der Scheeres dazu verpflichtete, die Freiwilligkeit aufzugeben und die Schulen stattdessen zu vollständigen Meldungen auch „leichter“ Gewaltvorfälle wie Suizidankündigungen und Mobbing zu zwingen.

Scheeres hat dieses Parlamentsbegehren bisher ignoriert und mit ihm auch weitere Aspekte des Anti-Gewalt-Konzepts, das ihre eigene Fraktion damals mit Unterstützung des Koalitionspartners CDU durchs Parlament gebracht hatte.

All das wird am Donnerstag im Schulausschuss zur Sprache kommen. CDU und FDP laufen sich schon warm für den Angriff. Die Senatorin hat versucht, mit der Ankündigung eines neuen Anti-Mobbing-Beauftragten die Flucht nach vorn anzutreten, bevor die eigenen Parteifreunde (intern) und der politische Gegner (offen) über sie herfallen werden. Vielleicht kommt sie damit durch – sofern sie sich beeilt, ihr Herrschaftswissen zu teilen und Beschlüsse des Parlaments künftig ernster zu nehmen.

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