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Flüchtlinge des Protestcamps am Oranienplatz protestieren vor dem Roten Rathaus in Berlin.

© dpa

Flüchtlingsstreit in Berlin: Grüne Duldsamkeit gegen schwarze Ordnungsliebe

Im Streit um die Flüchtlinge auf dem Oranienplatz trafen die Grüne Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann und CDU-Innensenator Frank-Henkel immer wieder aufeinander. Dennoch sind beide an Deeskalation interessiert.

Gegensätze stoßen sich ab, normalerweise jedenfalls. Eine grüne Bürgermeisterin und der CDU-Innensenator liegen im Streit – das sieht erstmal nach großem Ärger aus. Als Monika Herrmann und Frank Henkel wegen des Flüchtlingscamps auf dem Kreuzberger Oranienplatz in dieser Woche aneinander gerieten, bekam die Auseinandersetzung schnell etwas Prinzipielles: grüne Duldsamkeit gegen schwarze Ordnungsliebe, Groll über das deutsche Asylrecht gegen die Pflicht, Gesetze zu wahren und gesetzmäßige Zustände wiederherzustellen. Und hinter allem der Widerspruch zwischen zwei politischen Profilen: Monika Herrmann, erst ein paar Monate im Amt als Nachfolgerin von Franz Schulz, der personifizierten grünen Problemlösungskompetenz durch Reden, Reden und noch mal Verhandeln – gegen Frank Henkel, von dem viele gerade in der eigenen Partei erwartet haben, er würde als Innensenator aufmuskeln und den Ärger vieler Leute über die In-Berlin-macht-eh-jeder-was-er-will-Attitüde in Politik übersetzen.

Als Henkels auch noch meinte, ein Ultimatum stellen zu müssen, schien sich ein Polit-Duell anzubahnen: Herrmann oder Henkel, sie oder er würde sich im Streit um ein paar Zelte auf dem Oranienplatz eine böse Niederlage einfangen.

Wollte Henkel klare Kante zeigen?

Wurde es nicht Zeit für den Innensenator – nach einem guten Start und nach mächtigem Ärger um Aktenschlampereien im Verfassungsschutz – mal klare Kante und scharfes Profil zu zeigen? Sogar die eigenen Leute schienen das zu erwarten. Robbin Juhnke, innenpolitischer Sprecher der CDU-Fraktion, Nachfolger Henkels in dieser Funktion und stilistisch wie inhaltlich absolut nicht misszuverstehen, sekundierte seinem Senator mit den Worten: „Nur konsequentes Handeln kann die Situation am Oranienplatz beenden, der Bezirk ist in der Verantwortung. Frau Herrmann ist aber leider schon lange nicht mehr Herrin der Lage.“ Das wirkte, als habe mancher Sehnsucht nach einem größeren Polizeieinsatz, vielleicht kurz nach dem ultimativen 16. Dezember, bis zu dem der Innensenator „als Bezirksaufsichtsbehörde“ der Bezirksbürgermeisterin Zeit geben will, den „festgestellten Rechtsverstoß“ gegen das vom Flüchtlingscamp seit vielen Monaten missachtete Grünanlagengesetz“ zu beseitigen.

Es könnte anders kommen. Dem Innensenator und CDU-Landeschef liegt offenbar nicht mehr so viel daran, „hart“ und „kantig“ zu wirken. Eher setzt er auf Verbindlichkeit, auf sanften Druck. Dass er Druck ankündigen musste, als am Sonntag 31 Polizisten bei einer Demonstration von Asylrechts-Gegnern verletzt wurden, versteht sich. An Henkels Ärger darüber sollte niemand zweifeln. Er sah sich in seinem Vertrauen in Hermanns Wort getäuscht, weil die Bürgermeisterin die Schlafzelte auf dem Oranienplatz nach dem Umzug der Flüchtlinge nicht umgehend demontieren ließ. Doch ist Henkel zu bedachtsam und zu vorsichtig, um die Polizei und damit sich selbst bei einer unklaren Rechtslage in größere Konflikte treiben zu lassen.

Monika Herrmann verlässt am nach einem Gespräch das Kreuzberger Flüchtlingscamp.

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Deshalb kommt er nicht mit neuen düsteren Ankündigungen, deshalb lässt er über seinen Sprecher die Interpretation verbreiten, dass die Bürgermeisterin erstens noch Zeit habe, das Problem zu lösen und dass es zweitens noch Wochen, womöglich bis Januar 2014 dauern werde, bis der Senat die Anwendung von „bezirksaufsichtlichen Maßnahmen“ beschlossen haben werde. Erst dann wäre damit zu rechnen, dass Henkel die Schlafzelte auf dem Platz von der Polizei abräumen lässt. Also eher nicht kurz vor Weihnachten.

Hermann - eine grüne Realpolitikerin im besten Sinne

Zu Henkels Variante stiller Deeskalation gibt es ein Pendant – auf grüner Seite. Auch Monika Herrmann hat nichts weniger im Sinn, als den massiven Druck vom Oranienplatz zu nehmen und den Konflikt zwischen Bezirk und Senat zu entschärfen. Herrmann ist grüne Realpolitikerin im besten Sinn. Wie ihr Kreuzberg über viele Monate mit dem Camp umgegangen ist, darauf ist sie durchaus stolz, das ist ihr im Gespräch anzumerken. Aber sie ist auch ehrlich genug, den Anteil des Senats an der Berliner Umgangsweise mit dem Flüchtlingen zu würdigen – und den der Kirchen und der Caritas, die den Bewohnern des Platzes eine feste Bleibe für den Winter boten.

Mit Henkel habe sie über den Oranienplatz zum ersten Mal im Oktober gesprochen, berichtet sie – es sei ein „angenehmes Gespräch“ gewesen. Dass der Konflikt nun öffentlich in eine neue Runde ging, weil die gerade erst geräumten Schlafzelte von neuen Flüchtlingen und von radikalen Gegnern des Asylrechts neu besetzt worden sind – daran ist sie selbst ein bisschen Schuld. „Am Sonntag waren ich und die Polizei nicht schnell genug“, gibt Herrmann zu.

Für die Berliner Grünen ist Herrmann indes ein leuchtendes Beispiel eines pragmatisch-positiven Umgangs mit Asylbewerberin. Mit einem Rekordbeifall feierten die Grünen ihre Bürgermeisterin auf dem Parteitag am Samstag. Doch in der Debatte über eine Resolution zum Thema „Lampedusa in Berlin“ gab es fast keine Attacken auf Henkel oder den Senat. Nun setzen alle auf einen Runden Tisch – nach Kreuzberger Art.

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