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Stets sehr elegant gekleidet ist Günther Anton Krabbenhöft in Kreuzberg unterwegs.

© Mike Wolff

Günther Anton Krabbenhöft aus Berlin-Kreuzberg: Der Hipster-Rentner vom Kotti

Ein Foto am Kottbusser Tor hat ihn berühmt gemacht. Dabei wollte er eigentlich gar nicht. Jetzt ist Günther Anton Krabbenhöft auf der ganzen Welt bekannt.

Ein Mann betritt das Café in Kreuzberg, in dem Günther Anton Krabbenhöft sitzt. Der Mann sieht irgendwie trendig aus und trägt einen seltsamen Hut. Ungewöhnlich groß, recht eigenartig im Format. Genau das Richtige für Günther Anton Krabbenhöft, Rentner aus Berlin. „Hey, was hast du für ’nen coolen Hut auf. Der Hut ist gut. Volle Punktzahl“, ruft er vom roten Samtsofa aus. Die Reaktion? „Wow, ich habe dich im Internet gesehen.“ Natürlich.

Das Bild ging in sozialen Medien um die Welt: Krabbenhöft steht auf dem Bahnsteig der U1 am Kottbusser Tor. Weste, Hut und Fliege trägt er zu Lederstiefeln. Die langen Beine stecken in hochgekrempelten Jeans. Wie aus der Zeit gefallen steht er da, vor dieser typischen Berliner Kulisse. Das Foto ist vielleicht deshalb so gut, weil es etwas über Krabbenhöft einfängt, diese Mischung aus Alter und Modernität, aus Würde und Neugier. Aus der Innentasche seines Mantels ragt etwas hervor, das eine antiquierte Uhrenkette sein könnte. Das zweite Bild zeigt: Es sind Kopfhörer, über die Krabbenhöft mit seinem Smartphone Musik hört.

Im Kreuzberger Café erzählt Krabbenhöft, heute mit rosa Fliege und rosa Einstecktuch zur grünen Cordweste, die Geschichte des Fotos. Wie auf den Bildern wirken an diesem Mann selbst Nase und Kinn edel. „Aristokratisch“ würde man sie vielleicht nennen, aber zu Krabbenhöft passt das irgendwie nicht. Der Tablet-Computer liegt für das Anschauungsmaterial bereit auf dem Tisch.

Jaja, das Bild sei für private Zwecke, sagte der Mann - dann ging das Bild um die Welt

„Ich stehe da am Bahnsteig und warte“, erinnert er sich an den Tag vor einigen Monaten. Ein junges Paar habe schon so getuschelt und rübergeguckt. Dann kam der Mann, ein Engländer, auf ihn zu und fragte, ob er ihn fotografieren dürfe. Krabbenhöft lehnte freundlich ab. Lieber nicht, so vor allen Leuten. Dann kam der Mann zurück und fragte noch mal. „Bitte“, sagt er. Krabbenhöft ließ sich umstimmen, aber es sollte wie zufällig aussehen, nicht so, als wäre das jetzt eine Fotosession. Der Mann machte sein Bild, danach stiegen sie gemeinsam in die U-Bahn. Jaja, das sei für private Zwecke, versicherte ihm der Fotograf.

Dann war einige Wochen alles ruhig. Günther Anton Krabbenhöft wurde dann und wann um ein Foto gebeten, alles ganz normal. Doch gegen Ende August ging es los. Menschen kamen auf ihn zu und sagten, sie kennten ihn aus dem Internet. Junge Mädchen wollten plötzlich nicht nur Fotos, sondern Selfies mit ihm. Bei Krabbenhöft riefen Freunde an und erzählten, das Foto vom Kottbusser Tor sei in Belgien aufgetaucht, in Polen, in Singapur. In der U-Bahn in New York.

Erst soll er 102 gewesen sein, dann 104 - dabei ist Krabbenhöft gerade mal 70 Jahre alt.
Erst soll er 102 gewesen sein, dann 104 - dabei ist Krabbenhöft gerade mal 70 Jahre alt.

© Facebook

Gerüchte liefen heiß. Er sei 104 Jahre alt, hieß es in sozialen Netzwerken. Da wurde es Günther Anton Krabbenhöft dann doch zu bunt. Bei einer Forumsdiskussion im Internet meldete er sich zu Wort. Er sei Günther Anton Krabbenhöft. Allein schon dieser Name. Er entzauberte den Mythos und machte die Geschichte damit nur noch besser. „Ich bin frische 70 Jahre alt und rave in den Clubs dieser Stadt.“ Er zitierte die Berliner Avantgardekünstlerin Lotti Huber: „Diese Zitrone hat noch viel Saft.“

Sonntags tanzt er zehn Stunden lang durchs Berghain

Wandergruppen, sagt er, seien nichts für ihn. „Ich will mich nicht über eingesalbte Knie unterhalten.“ Die Techno-Szene hat er im Februar für sich entdeckt, als zwei junge Frauen ihn in der U-Bahn ansprachen. Er sehe so cool aus. Ob er mit ins Berghain wolle? Er wollte. „Ich bin da im Dunkeln rumgetapst und die jungen Frauen haben mir den Laden gezeigt“, sagt er. „Ich war plötzlich in diesem Kosmos gefangen. Alles huschte durcheinander und dann diese wummernden Bässe. Wie aufregend ist das denn?“ Er begann wild zu tanzen. Als er sich irgendwann doch auf den Heimweg machte, schwebte er „wie ein Luftkissenboot“.

Seither geht Krabbenhöft sonntagvormittags immer tanzen, bis zu zehn Stunden ist er dann unterwegs. Berghain, Sisyphos, Club der Visionäre, Ipse sind seine Clubs. Krabbenhöfts Leben funktioniert gewissermaßen umgekehrt. Heute ist er frei, neugierig, mutig. Was die meisten vor allem in jungen Jahren spüren, entfaltet sich bei ihm mit zunehmendem Alter. Manchmal wundert er sich darüber. „Ich musste dieses Alter erreichen, um so auf der Überholspur zu sein.“

Günther Anton Krabbenhöft, Berliner und Hipster, wurde zum Internet-Phänomen.
Günther Anton Krabbenhöft, Berliner und Hipster, wurde zum Internet-Phänomen.

© Mike Wolff

Aus seinem Leben davor macht er kein Geheimnis. Während Krabbenhöft davon spricht, zupft er am Etikett seiner Limonade. „Ich war kein Draufgänger.“ Als Nachkriegskind ist er mit vier Geschwistern auf dem Land nahe Hannover groß geworden. Er machte eine Lehre zum Koch und zog mit 24 Jahren nach Berlin – eigentlich nur zum Übergang. Er wollte Schiffskoch werden. Doch dann lernte er seine Frau kennen, sie heirateten, mit 25 Jahren wurde er Vater. Zehn Jahre später war die Ehe vorbei. Die gemeinsame Tochter wuchs mit ihm in Moabit auf, heute lebt sie mit seinen beiden Enkeln auf dem Land. Als er wieder alleine war, zog Krabbenhöft in eine Hausgemeinschaft in Kreuzberg. Dort lebt er bis heute, seit 30 Jahren mit denselben Leuten. Diese Menschen und seine Freunde sind heute seine Wahlfamilie. Mit ihnen fährt er auch in den Urlaub, mal an die Ostsee, mal nach Mallorca.

Auch das Cover eines japanischen Modekatalogs ziert er

Wie vor einigen Monaten, als ihn zwei Tage vor seinem Rückflug ein Anruf erreichte. „Du wirst gesucht“, sagte ein Freund. Noch bevor das Foto am Kottbusser Tor entstand, war ein anderes Bild von ihm auf verschlungenen Pfaden in die Hände eines Agenten in Tokio geraten. Der schickte eine Korrespondentin in Berlin auf die Suche nach Krabbenhöft – sie wollten ihn als Model für einen Tokioter Designer. Das Shooting fand zwei Wochen später in Kreuzberg statt. Krabbenhöft greift zum Tablet-Computer und scrollt über seine Facebook-Seite, bis er das Bild findet. Es ziert jetzt das Cover des Winterkatalogs.

Es gab nicht die eine Entdeckung von Günther Anton Krabbenhöft, sondern viele. Im Juli postete der Berliner Modeblog Schickaa ein Foto von ihm auf der Admiralsbrücke. Einige Wochen davor hatte ihn ein Agent auf der Straße angesprochen und ihn in eine Berliner Modelkartei aufgenommen. Wo soll das alles noch hinführen? „Ich bin da gelassen“, sagt Krabbenhöft. Mit sozialen Medien kennt er sich aus: „Ich weiß, das ist wie ein Lufthauch. Das zieht jetzt durch und dann ist es wieder still.“ Böse ist er dem Fotografen vom Kottbusser Tor nicht. Dankbar aber auch nicht. Es ist halt, wie es ist: Günther Anton Krabbenhöft ist einfach im Flow.

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