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Zwei Joggerinnen machen keinen Umsatz.... Corona-Alltag auf dem sonst gut besuchten Pariser Platz vor dem Brandenburger Tor.

© Fabian Sommer/dpa

Hauptstadt ohne Einnahmen: Weiter machen wie Ende 2019? Sicher nicht – Berlin muss sich neu erfinden

Der Schlüssel zur erfolgreichen Stadt ist eine gesunde Wirtschaft. Die kann man nicht auf Förder- und Überbrückungsmilliarden errichten. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Kevin P. Hoffmann

Berlins Clubs sind zu, das Kulturleben liegt brach, Touristen bleiben weg, es fehlen Einnahmen in Milliardenhöhe. Darüber wird auch außerhalb der Hauptstadt berichtet und diskutiert. Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" hat auf Basis dieser Faktenlage neulich die böse These entwickelt: Berlin verliere sein Geschäftsmodell und dürfte „bis auf weiteres eine Touristenmetropole auf Sparflamme“ bleiben.

So bediente sie das Klischee der Provinz: In der Hauptstadt kann man gut feiern, Geld aus dem Länderfinanzausgleich verprassen, bekommt aber sonst nichts auf die Kette. Und wenn mal nicht gefeiert werden darf, gehen hier eben die Lichter aus.

Die Kritik trifft, steckt in ihr doch leider ein Körnchen Wahrheit. Aber auch nicht viel mehr. Berlin, Heimat von bald vier Millionen Menschen, ist und kann viel mehr, als sich viele im Dreieck Köln, München und Dresden vorstellen. Und diese Krise ist eine gute Gelegenheit, sich das bewusst zu machen – und an ein paar Schrauben zu drehen. Hier in Berlin gibt es nämlich weniger Denkverbote. Das ist das Geheimnis dieser Stadt.

Ein Paar sitzt auf einer Brücke über dem Landwehrkanal und trinkt Sekt.
Ein Paar sitzt auf einer Brücke über dem Landwehrkanal und trinkt Sekt.

© Gregor Fischer/dpa

Eine große Schrauben aber eben nur eine von mehreren, ist der Tourismus. Der hatte vor Ausbruch der Pandemie 250-000 Berlinern die Lebensgrundlage geboten. Der Anteil an der gesamten Bruttowertschöpfung Berlins beträgt rund vier Prozent, sagen Ökonomen. Das ist viel, aber nicht alles.

Deshalb sollten Politiker in Bund, Ländern und Bezirken, die jetzt Fördermilliarden verteilen, ganzheitlicher denken und der Versuchung widerstehen, mit Steuergeld jedes Theater und jeden Club für die Touristen zu retten.

Natürlich kann man mit genügend Geld jedes Haus oder Hotel so lange in Tiefschlaf versetzen, bis das Virus vorübergeflogen ist. Und dann? Machen alle weiter, wo sie Ende 2019 aufgehört haben? Sicher nicht, dafür hat das Coronavirus zu viel zerstört, zu viele Menschenleben gekostet und Hygieneängste verbreitet, die bleiben.

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Ja, Berlins Partys sind vorbei – zumindest die kommerziell organisierten, für die Touristen aus der halben Welt angeflogen kamen, um stundenlang in der Schlange zu stehen. Wahr ist auch: Da wurden sie oft von Türstehern abgewiesen, weshalb ihre Sommernächte dann mit Bluetooth-Box und Fusel vom Späti am Landwehrkanal endeten. Viele junge Italienerinnen und Briten haben insgeheim wohl genau das gesucht, weil es dieses Anarchische in den Ausgehvierteln ihrer Metropolen kaum noch gibt.

Was genau Berlins Gäste hier finden werden, sobald der Corona-Spuk vorbei ist, ist eine spannende Frage. Die Antwort ergibt sich aus einer größeren Fragestellung: Was machen die Berlinerinnen und Berliner jetzt aus ihrer Stadt? Nicht für Gäste, die im Schnitt nur drei Nächte hier verbringen, sondern für sich selbst.

Yogastudios sind keine Lösung

Nur wenn Berlin nach Eindämmung der Pandemie ein noch besserer Ort zum Wohnen, Arbeiten, Leben und Lieben ist, kann die Stadt auch wieder eine zum Feiern, Essen und Trinken werden.

Hier haben sich schon Viele die Beine in den Bauch gestanden - ohne Erfolg.
Hier haben sich schon Viele die Beine in den Bauch gestanden - ohne Erfolg.

© imago images/Stefan Zeitz

Der Schlüssel zur Stadt der Kultur ist eine gesunde Wirtschaft. Und die kann der Senat nicht aufwecken, indem er jede Kreativagentur und jedes Yogastudio konserviert. Er muss Firmen aller Größen Räume verschaffen – im wörtlichen wie im übertragenen Sinne. In diesem Sinne vereitelt eine Wohnungspolitik, die Kleingewerbe systematisch ins Umland verdrängt, eine Neuerfindung des Standorts.

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Und das Promoten Berlins als Forschungs- und Bildungsstandort von Weltrang ist zwar richtig, bietet einer Hotelfachfrau oder Galeria-Mitarbeiterin, die gerade ihren Job verloren hat, aber keine Perspektive. Sie braucht eher Beratung, um eine eigene Idee zu entwickeln, wie sie in einer anderen Dienstleistungbranche Tritt fasst. Oder als Firmengründerin ganz neue Wege geht?

Das Land Berlin sollte mehr Menschen finanziell bei der persönlichen Neuerfindung unterstützen, ihren helfen, die Krise persönlich zu umarmen und nicht nur zu ertragen wie ein paar Tage Regenwetter. Denn Touristen, die das suchen, reisen eh nach Hamburg.

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