zum Hauptinhalt
SPD-Politiker Kevin Hönicke.

© Bezirksamt Lichtenberg

Update

„Ich war Sklave meiner Seele“: Berliner SPD-Politiker Kevin Hönicke macht schwere Depression öffentlich

Der Bezirkspolitiker aus Lichtenberg hat am Dienstag bekannt gegeben, 2022 an einer schweren Depression erkrankt zu sein. Die Krankheit habe ihn fast das Leben gekostet.

| Update:

Dienstagmorgen, gegen halb vier: Ein Konzert von Robbie Williams liegt hinter Kevin Hönicke. Ein Abend mit Freunden, guten Gesprächen und der richtigen Musik. Da singt einer von etwas, das der stellvertretende Lichtenberger Bürgermeister und Baustadtrat gerade selbst durchlebt hat: Von Phasen tiefer Traurigkeit, aber auch von der Kraft, sich aus der Macht düsterer Gedanken zu befreien.

Da er ohnehin nicht schlafen kann in dieser Nacht, setzt sich Kevin Hönicke an den Computer. „Ich habe es einfach runtergeschrieben“, sagt er über die Erklärung, die noch in der Nacht auf seiner Homepage erscheint. Darin beschreibt Hönicke detailliert, wie ihn nach „privaten Schicksalsschlägen“ im vergangenen Jahr Depressionen erfassten. Wie er abglitt in unerträgliche Angst, Schlaflosigkeit und Schmerzen, die ihn phasenweise arbeitsunfähig machten. Wie er mühsam die Fassade des Berufspolitikers aufrechterhielt. Weiter „Politik spielte“ und abends hilflos in Notaufnahmen saß.

Mit einer „leichten negativen Verstimmung“ hätte es angefangen und sich zu einer behandlungsbedürftigen psychischen Erkrankung gesteigert. Eine Selbstheilung war unmöglich, das fand der Politiker auf seiner Internetrecherche auf hunderten von Seiten heraus.

Gefangen im Gedankenkarussell

Anfangs, schreibt Hönicke, habe er vor allem mit einer Schlafstörung gekämpft. Monatelang habe er nicht mehr als zwei Stunden nachts schlafen können. Dann sei er in ein Gedankenkarussell geraten, habe das Grübeln „irgendwann einfach nicht mehr kontrollieren“ können.

Das habe zu starken körperlichen Schmerzen geführt, Ärzte hätten aber keine physische Ursache feststellen können. Er sei nachts aufgewacht und habe neben höllischen Schmerzen das Gefühl gehabt, „dass mich jemand erwürgt“, schreibt der Bezirkspolitiker. Die Depression habe ihn immer mehr in seinem Alltags- und Berufsleben eingeschränkt. Einkaufen, U-Bahn-Fahren, Entscheidungen treffen – zu solch alltäglichen Aufgaben sei er nicht mehr in der Lage gewesen.

„Ich war in fast allen Notaufnahmen der Stadt“, sagt Hönicke. Doch ohne konkrete Selbstmordabsicht habe man ihm dort nicht weitergeholfen. Und davon, so erzählt er, hätte ihn der Gedanke an seine beiden Jungs im Kitaalter zurückgehalten.

Ich war Sklave meiner Gedanken und meiner Seele.

Kevin Hönicke

„Ich war Sklave meiner Gedanken und meiner Seele“, erklärte der SPD-Politiker. Eine Freundin, seine Kinder und sein Team hätten ihn gerettet. „Mein Team hat mir verboten, nachdem ich mehr als 25 Kilo abgenommen habe, nicht mehr klar war und einfach nur noch schlecht aussah, weiterzuarbeiten.“

Angemessene Hilfe fand der freiwillig gesetzlich versicherte Politiker erst, nachdem er in einer Brandenburger Akutklinik aufgenommen wurde – für einen Tagessatz von 600 Euro. Auf diese Weise habe er „mehrere zehntausend Euro“ für die Behandlung zahlen müssen.

 Meine Familie und meine Freunde haben einen sehr kritischen Blick auf mich.

Kevin Hönicke, SPD-Bezirkspolitiker in Lichtenberg

Ihm gehe es gut, sagt Kevin Hönicke am Dienstagvormittag. Reinen Tisch gemacht habe er mit Gerüchten und Geschichten, die über ihn gestreut würden. Dazu gab es Anlässe: Lange Abwesenheiten, während denen er sich freiwillig in einer privaten Brandenburger Akutklinik, später in einer Berliner Tagesklinik, aufhielt.

Einzelne nahm er ins Vertrauen, anderen tischte er Ausflüchte von den Folgen einer Schilddrüsen-Operation auf. Es gab unangenehme Begegnungen, bei denen er scheinbar planlos vor dem Rathaus stand und erzählte, dass er auf jemanden warte. In Wirklichkeit, so sagt Hönicke, fesselte ihn die Angst vor dem Betreten des Politikbetriebs. Furcht vor vielen Menschen auf engem Raum: Für einen Termin beim Bausenator ging er zu Fuß von Lichtenberg bis nach Charlottenburg und wieder zurück.

Der Streit um den Abbruch einer BVV-Sitzung im Januar 2023, bei dem ihm von der Vorsteherin aggressives Verhalten vorgeworfen wurde, habe aber nichts mit der Erkrankung zu tun, sagt Hönicke. Seit Oktober sei es ihm schrittweise besser gegangen.

Kevin Hönicke hat durch sein Bekenntnis bereits viel Unterstützung erfahren, wie er sagt. Doch es wirft auch Fragen auf, die er selbst anführt: Kann ein Berufspolitiker nach einer solchen Erkrankung seinem Amt gerecht werden? Über psychische Erkrankungen spricht man nicht wie von einem Kreuzbandriss. Deswegen fiel Hönicke der Schritt so schwer.

Mit dem Status als Geheilter ist Hönicke vorsichtig, doch auch an 14-Stunden-Tagen habe er wieder „tierisch Spaß“ an seiner Arbeit. „Alle sind sehr zufrieden mit mir. Meine Familie und meine Freunde haben einen sehr kritischen Blick auf mich.“ Er sei Politiker aus Leidenschaft. Deshalb tat es ihm besonders weh, als Landeschef Raed Saleh ihn in der Klinik für wichtige Parteiämter ins Spiel brachte und dieser seine Zurückhaltung kaum einordnen konnte.

Geholfen hat Hönicke auch ein Buch des Komikers Kurt Krömer, der offen mit seiner psychischen Erkrankung umgeht. Auch Bekenntnisse von Oliver Kahn, Sido oder Torsten Sträter würden helfen, ein Tabu aufzubrechen. Ob man ihm die Erkrankung als Politiker oder in seinem früheren Beruf als Lehrer zum Nachteil auslegt, darüber kann Kevin Hönicke jetzt nur spekulieren. Falls alle Stricke rissen, so meint er, fände er sicher auch als gelernter Kfz-Mechaniker wieder Arbeit.

„Dank der ganzen Hilfe geht es mir heute besser als vor der Erkrankung der Depression. Ich bin glücklich und dankbar für mein Leben“, fasst Hönicke seinen aktuellen Gesundheitszustand zusammen. Er danke allen Menschen, auch aus der Politik, die zu ihm gestanden und ihn „bei aller Ablehnung und Schweigsamkeit von mir“ unterstützt hätten. „Wir haben in unserer Gesellschaft noch einen langen Weg, was das Anerkennen von der Erkrankung Depression angeht“, so Hönicke.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false