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AfD-Logo auf einer rissigen Mauer.

© Imago/Ralph Peters

Interner Streit, Finanzchaos, Mitgliederschwund: Die Berliner AfD geht taumelnd ins Wahljahr

Die Hauptstadt-AfD ist in desolatem Zustand: Der Fraktion drohen horrende Extrakosten. Ein Parteitag kommt nicht zustande. Und die Mitglieder laufen davon.

Das Urteil war eindeutig und es traf die Mitglieder des AfD-Fraktionsvorstandes mit voller Wucht. Weil das Arbeitsgericht die fristlose Kündigung des ehemaligen Fraktionsgeschäftsführers Andreas Einfinger für „unwirksam“ erklärt und dessen Wiederanstellung bis zum Ende der Legislaturperiode verfügt hatte, drohen der Fraktion horrende Extrakosten.

Von einer hohen fünfstelligen Abfindungszahlung und mehr ist die Rede – die Rückkehr des fristlos entlassenen und von der Fraktionsspitze mit einem Hausverbot belegten Einfingers ist ausgeschlossen.

Und so schwiegen die Hintermänner dieser und weiterer Kündigungen, Fraktionschef Georg Pazderski, und der parlamentarische Geschäftsführer Frank-Christian Hansel. Es war ein lautes und vielleicht sogar ein beredtes Schweigen. Neben Einfinger hat noch ein weiterer fristlos gekündigter Mitarbeiter gegen den Fraktionsvorstand geklagt. Auch sein Fall landete vor dem Berliner Arbeitsgericht, ein Urteil wird im Mai erwartet.

Noch im Sommer 2020, dem Zeitpunkt der Entlassung, hatten Pazderski, Hansel und weitere Getreue keine Gelegenheit ausgelassen, Einfinger und anderen die „Manipulation“ eines im Ergebnis insbesondere für Hansel heiklen Gutachtens zu den Fraktionsfinanzen vorzuwerfen. Dafür wiederum gebe es „keine Anhaltspunkte“, erklärte der Richter. Pazderski und Hansel lasen das in der Zeitung. Ein Vertreter des Fraktionsvorstandes war nicht vor Gericht erschienen.

Das Urteil ist Wasser auf die Mühlen derer, die Pazderski und Hansel – beide bilden seit vielen Jahren ein vertrautes Duo – eher heute als morgen loswerden wollen. Von „zementierten Blöcken“ und „sich feindlich gesinnten Lagern“ in der sich „desolat“ präsentierenden Fraktion ist hinter vorgehaltener Hand die Rede. Eine nach der Eskalation des Streits im Vorjahr angedrohte Abspaltung der Gegner Pazderskis sei einzig wegen der „katastrophalen Außenwirkung“ so kurz vor der Wahl unterblieben, heißt es weiter.

Muss um seinen Wiedereinzug ins Abgeordnetenhaus bangen: Frank-Christian Hansel.
Muss um seinen Wiedereinzug ins Abgeordnetenhaus bangen: Frank-Christian Hansel.

© imago images / Metodi Popow

Nicht viel besser ist die Lage im bis Januar 2020 ebenfalls von Pazderski geführten Landesverband. Als „Beutegemeinschaft“ werden er und seine Mitstreiter intern verunglimpft. Der Versuch Pazderskis, seine Kontrahenten als vom Flügel gesteuert zu delegitimieren, scheitert an deren Heterogenität. Neben bekennenden Flügel-Anhängern finden sich dort auch für AfD-Verhältnisse liberale Vertreter der Partei.

Seit 2019 wird die Partei in Berlin von Notvorständen geführt

Punkte, an denen die internen Konflikte aufbrechen, gibt es etliche. Ein Beispiel ist die innerparteiliche Demokratie: Der letzte Landesparteitag der Berliner AfD im liegt gefühlte Ewigkeiten zurück, seit 2019 wird die Partei von Notvorständen geführt und scheitert seitdem an der Organisation eines Parteitags.

Mal versagten kommunale Vermieter wie erst vor wenigen Tagen die Messe Berlin der AfD in letzter Minute die bereits vereinbarten Räumlichkeiten. Mal zogen private Vermieter auch wegen Bedrohungen, Attacken und angekündigten Protesten aus der linken Szene ihre Zusage zurück.

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Seit Monaten tobt die Debatte darüber, ob die insgesamt fünf anstehenden Parteitage, unter anderem für die Neuwahl des Landesvorstands sowie die Aufstellung der Wahllisten, nach Mitglieder- oder Delegiertenprinzip organisiert werden.

Eine finale Entscheidung steht aus, auch wenn der neue Notvorstand die Bezirksverbände jüngst aufforderte, Delegierte für die beiden Aufstellungsparteitage zu wählen. In der Partei haben beide Positionen gewichtige Anhänger und es zeichnet sich ab: Entscheiden am Ende die unberechenbaren Mitglieder und nicht disziplinierbare Delegierte, stehen die Chancen insbesondere für Hansel und wohl auch Pazderski schlecht.

Warum plötzlich neun Mitglieder im Vorstand sitzen, wo vorher sechs reichten, ist vielen unklar

Ausgetragen wird die Debatte im vierten und vom Europaabgeordneten Nicolaus Fest geführt Notvorstand. Der jüngste amtiert seit Anfang Januar und auch dessen Einsetzung verlief sehr umstritten. Aus zwischenzeitlich drei verschiedenen Personaltableaus bildete das Bundesschiedsgericht am Ende ein Team aus neun Mitgliedern. Dazu zählt zwar auch der im Landesverband für die Finanzen zuständige Hansel, allerdings wurden diesem zuletzt zwei Prüfer an die Seite gestellt.

Von einem „Aufblähen“ des Vorstands, das für „erhebliche Irritationen“ bei der Mitgliedschaft geführt hat, ist intern die Rede. Warum plötzlich neun Mitglieder im Vorstand sitzen, wo vorher sechs reichten, ist vielen unklar.

Steht innerparteilich schwer unter Druck: AfD-Fraktionschef Georg Pazderski.
Steht innerparteilich schwer unter Druck: AfD-Fraktionschef Georg Pazderski.

© Jörg Carstensen/dpa

Fragt man nach, klingen die Erklärungen für die „Rochade“ deutlich einmütiger als in der AfD sonst üblich: Beatrix von Storch, stellvertretende Bundes- und Fraktionschefin der AfD im Bundestag, zieht im Hintergrund die Strippen, sind sich viele einig. Der Erzählung zufolge sorgte von Storch auf Bundesebene dafür, dass ab sofort ihr wohlgesonnene Mitglieder über eine knappe Mehrheit im Vorstand verfügen.

Zwar scheiterte ein erstes Tableau am Veto Fests, der dem Vernehmen nach seinen Rückzug androhte und dies im Gespräch mit dem Tagesspiegel auch bestätigt. Die schlussendlich vom Bundesschiedsgericht der AfD präsentierte Zusammensetzung wiederum akzeptierte Fest – und mit ihr die Mehrheit der „Störchin“, wie von Storch AfD-intern genannt wird. Die Arbeit des Gremiums macht das nicht einfacher – im Gegenteil.

Der AfD laufen die Mitstreiter davon

Nächste Baustelle: Mitgliederentwicklung. Der AfD laufen die Mitstreiter davon. 232 Mitglieder verlor die Partei laut interner Auswertung von Dezember 2019 zu Dezember 2020, der kleinste Bezirksverband Neukölln zählt aktuell nur knapp über 40 Parteikameraden.

Ursache dafür ist nach Darstellung vieler, darunter Landeschef Fest, eine Prüfung der Bundesgeschäftsstelle der Partei auf säumige Beitragszahler. „Darüber hinaus gibt es Leute, die mit unserer Position zu Corona unzufrieden sind, Impfgegner und andere“, erklärt Fest weiter.

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Fakt ist: Die sinkende Mitgliederzahl zu Beginn eines Wahljahres ist nicht nur „ein verheerendes Zeichen“ und signalisiert „Auflösungserscheinungen“, wie es ein prominentes Parteimitglied formuliert. Weniger Mitglieder bedeutet weniger Delegierte und damit weniger Einfluss auf die Bundespartei. Außerdem fehlen ausgerechnet im Wahljahr motivierte Wahlkämpfer.

Drohende Beobachtung der AfD durch den Verfassungsschutz

Unklar ist, welchen Einfluss die drohende Beobachtung der Partei durch den Verfassungsschutz spielt. „Die andauernde Androhung der Überwachung durch den VS ist ein schwerer Wettbewerbsnachteil, wir sind konfrontiert mit einer dauerhaften Denunziation und Dauerverleumdung“, erklärt Fest. Willkommen war da ein aus den Reihen des Verfassungsschutzes an die AfD durchgestochenes Zwischengutachten, dem zufolge die Partei wesentliche Kriterien für eine Beobachtung nicht erfüllt.

Ein Urteil, dass längst nicht von allen Beobachtern der Berliner AfD geteilt wird. Denn: Inhalte und Strukturen, die für die Begründung einer Beobachtung herangezogen werden könnten, existieren auch in der Berliner AfD – allen offiziellen Abgrenzungen insbesondere Pazderskis zum Trotz. Selbst der Verfassungsschutz gibt die Größe des als rechtsextrem eingestuften und im Frühjahr 2020 offiziell aufgelösten Flügels in Berlin mit bis zu 300 Anhängern an.

Nicolaus Fest führt aktuell den Notvorstand der Berliner AfD.
Nicolaus Fest führt aktuell den Notvorstand der Berliner AfD.

© REUTERS/Fabrizio Bensch

Einzelne Anhänger der Gruppe wie Jeanette Auricht oder Thorsten Weiß gelten als einflussreich im Landesverband. Laut einer am Wochenende aufgetauchte Mitgliederliste des Flügels sind deren Vertreter im Abgeordnetenhaus, in Bezirksverbänden und unter den vier Berliner Bundestagsabgeordneten der Berliner AfD überrepräsentiert.

Klare Beziehungen zum extrem rechten Lager

Hinzu kommen klare Beziehungen einzelner Parteimitglieder zum extrem rechten Lager bis hin zu einem der Hauptverdächtigen der Neuköllner Anschlagsserie. Das ehemalige AfD-Mitglied Tilo P. bot sich internen Mails zufolge aktiv als Flügel-Obmann in Neukölln an und steht einzelnen Mitgliedern zufolge weiter in Kontakt mit Vertretern der Partei.

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Fest, der sich eigenen Angaben zufolge in der Vergangenheit mit den Vorwürfen befasst hat, wähnt hinter derartigen Behauptungen eine „vermutliche Intrige“. Allgemein und explizit nicht in Bezug auf P. sagt Fest: „Unter denen, die mal zum Flügel gehört haben, gibt es auch viele vernünftige und kluge Mitglieder, fern aller extremen Positionen.“

Was bleibt sind schwierige Wahlvorzeichen für die in Partei wie Fraktion zerklüftete AfD. Einer aktuellen Civey-Umfrage zufolge kommt sie auf 10,8 Prozent der Stimmen, mehr als drei Prozent weniger als 2016.

Die ursprünglich mit 25 Abgeordneten besetzte Fraktion – drei von ihnen schieden während der Legislatur aus – droht spürbar zu schrumpfen. Den Kampf um Mandate und Listenplätze dürfte das befeuern, den Weg zur Geschlossenheit eher erschweren.

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