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Harald Wolf

© Rückeis

Interview: "Wir führen Wahlkämpfe, um zu regieren"

Wirtschaftssenator Harald Wolf über die Öffnung der Linken zur Mitte und das Verhältnis zur SPD.

Herr Wolf, Sie haben Ihre Parteifreunde davor gewarnt, die Linke nur als Partei der Arbeitslosen zu definieren. Wie wollen Sie um bürgerliche Milieus werben?

Es geht weniger um das Werben um bürgerliche Milieus als darum, dass sich unsere Politik auch an diejenigen richten muss, die Arbeit haben: Facharbeiter, Angestellte, Intellektuelle, Mittelständler, Selbstständige. Wir müssen auch Ansprechpartner sein für gut Verdienende, die sich für sozialen Ausgleich engagieren wollen. In der Industrie- und Bildungspolitik haben wir ja schon einiges dafür getan. Es geht zum Beispiel darum, dass Kinder aus gutsituierten Familien nicht an Privatschulen flüchten. Die große Überschrift ist: gesellschaftlichen Zusammenhalt organisieren.

Nehmen Sie dafür in Kauf, dass Ihre Stammklientel – die Verlierer und die sich dafür halten – sich von Ihnen abwendet?

Nein. Wir wollen ja deren Interessen deshalb nicht weniger vertreten. Beim Sozialpass sieht man exemplarisch, wie man Institutionen zu bürgerschaftlichem Engagement bewegen kann. Das kann eine Brücke sein zwischen Verlierern und denen, die ihnen helfen können.

Sie haben nicht nur die Öffnung zur Mittelschicht gefordert, sondern auch den Schulterschluss mit Ihrer Bundestagsfraktion. Ist das nicht der sicherste Weg, um zwischen sozialistischen Fundis à la Lafontaine einerseits und bürgerlichen Realos andererseits zerrieben zu werden?

Ich glaube nicht. Ein Beispiel: Wir fordern seit langem die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns, länger schon als die SPD übrigens. Mit dem neuen Vergabegesetz ist uns das in Berlin jetzt gelungen – auf meine Initiative als Senator hin. Jetzt haben wir mit diesem Gesetz eine bundesweite Vorreiterrolle und üben Druck auf die Sozialdemokraten in anderen Ländern aus. So ergänzen sich Landes- und Bundespolitik. Die Wahlkämpfe in Hessen, Niedersachsen und Hamburg sind maßgeblich mit Projekten geführt worden, die die Linke in Berlin bereits umsetzt: Studiengebührenfreiheit, Gemeinschaftsschule, öffentlich geförderte und nach Tarif bezahlte Beschäftigung, Vergabe öffentlicher Aufträge nur mit Tarifbindung und Mindestlohn, Sozial- und Kulturticket. Im nächsten Jahr werden die Linken Wahlkämpfe führen mit dem Ziel, zu regieren. Insofern ist die Wahrnehmung falsch, dass die Linke sich bundesweit auf eine Oppositionsrolle einrichtet. Und insbesondere in Westdeutschland werden wir noch mehr Konstellationen bekommen, in denen die Sozialdemokraten sich zwischen Unregierbarkeit und Zusammenarbeit mit der Linken entschieden müssen.

Zum neuen Selbstbewusstsein der Linken sollen auch zunehmende Konflikte mit Ihrem Koalitionspartner gehören. Ihr Bruder Udo – ein wichtiger Stratege in Ihrer Fraktion – sprach mit Blick auf die SPD gar von der „Koch-Kellner-Frage“.

Die Koch-Kellner-Frage hat man in jeder Koalition: Wer setzt sich womit durch? Aber Konflikte führt man nicht als Selbstzweck, sondern um der Sache willen. In der letzten Legislaturperiode haben wir viele Konflikte geräuschlos gelöst. Das muss nicht so bleiben. Wir wollen deutlicher machen, wie Entscheidungen zustande kommen – und was unser Anteil daran ist.

Das Gespräch führte Stefan Jacobs.

Harald Wolf (Linke) ist seit August 2002 Wirtschaftssenator und Bürgermeister. Vorher war er seit 1995 Fraktionsvorsitzender der PDS im Berliner Abgeordnetenhaus.

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