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Schicksalsgemeinschaft. Im Straßenverkehr ist jeder auf die Rücksicht der anderen angewiesen. Fehlt es daran, wird’s gefährlich.

© Caro / Muhs

Berliner Straßenverkehr: Jeder gegen jeden

Die Prüforganisation Dekra bezeichnet das Unfallgeschehen in der Hauptstadt als dramatisch. Auffällig seien die Rücksichtslosigkeit gegenüber schwächeren Verkehrsteilnehmern und die schlechten Radwege.

Der Senat gerät zunehmend unter Druck, mehr für die Verkehrssicherheit zu tun. Nachdem vor kurzem bereits einer der renommiertesten deutschen Unfallforscher die Verwaltung massiv kritisiert hatte, legte am Freitag die Prüforganisation Dekra nach: „Die ohnehin schon dramatische Gefährdungssituation für Radfahrer und Fußgänger auf Berlins Straßen hat sich noch weiter verschärft“, heißt es in ihrem Report zur Verkehrssicherheit. Die Zahl der getöteten Radfahrer und Fußgänger war 2011 binnen Jahresfrist von 30 auf 40 gestiegen. Autofahrer leben ausweislich der nur drei tödlich Verunglückten sicherer.

Berlin zeige exemplarisch, was im Miteinander der Verkehrsteilnehmer schief laufe, erklärte die Dekra. Als spezielle Berliner Probleme sehen die Experten mangelnde Regelakzeptanz, besondere Rücksichtslosigkeit gegenüber schwächeren Verkehrsteilnehmern, aber auch marode Infrastruktur und fragwürdige Kontrollen.

Konkret moniert die Dekra den katastrophalen Zustand vieler Radwege. „Ein Radweg muss benutzbar sein“, sagte der Berliner Dekra-Chef Andreas Kraus. Die Hauptstadt investiere zu wenig in die Instandhaltung; Radfahrer würden durch Fahrbahnschäden oft gezwungen, auf die Straße auszuweichen. Wie berichtet sollte das Budget für die Sanierung sogar auf eine Million Euro halbiert werden. Der Plan wurde erst auf Intervention mehrerer Verkehrspolitiker hin fallen gelassen.

Bei den Kontrollen mahnt die Dekra an, vor allem Unfallschwerpunkte sowie Straßen vor Schulen, Kliniken und Seniorenheimen zu überwachen „und nicht dort zu blitzen, wo es am meisten Geld bringt“. Der Senat lehnt die Anschaffung neuer stationärer Blitzer ab und setzt stattdessen auf mobile Kontrollen.

Bei der reinen Zahl der Unfälle lagen 2011 die Kreisverkehre am Ernst-Reuter- und Jakob-Kaiser-Platz sowie am Großen Stern vorn. Die meisten Personenschäden gab es allerdings am Innsbrucker Platz, gefolgt vom Knoten Bornholmer/Wisbyer Straße und Schönhauser Allee. Die meisten Fußgänger verunglückten an der Müllerstraße/Seestraße, die meisten Radler am Kottbusser Tor und an der Kreuzung auf der Ostseite der Oberbaumbrücke.

Für die Polizei zählen auch ältere Menschen als Risikogruppe: 2011 war etwa jeder dritte Tote, jeder siebte Schwer- und jeder fünfzehnte Leichtverletzte älter als 64 Jahre. Verpflichtende Gesundheitschecks für ältere Autofahrer lehnt die Dekra ab – ebenso wie eine breite politische Allianz, die vom ADAC bis zu den Grünen reicht. Alle warnen vor „Diskriminierung“ und verweisen darauf, dass Senioren häufiger Opfer als Verursacher von Unfällen sind. Laut Statistischem Bundesamt steigt zwar die Zahl der Vorfahrtsfehler mit dem Alter – von etwa zehn auf 20 Prozent der an Unfällen beteiligten Autofahrer –, aber zum einen beginnt dieser Anstieg bereits bei etwa 40-Jährigen und nimmt erst ab dem 65. Lebensjahr stark zu. Zum anderen ist zu schnelles Fahren deutlich häufiger – und das betrifft ganz überwiegend jüngere Autofahrer. Auch Alkoholeinfluss als Unfallursache nimmt mit dem Alter ab und spielt bei Über-65-Jährigen fast keine Rolle mehr. Demnach gleichen Senioren am Steuer körperliche Defizite zumindest teilweise durch mehr Vernunft aus. Dekra-Chef Kraus riet alten Fahrern zum freiwilligen „Mobilitätscheck“.

Auf Vernunft setzt auch die Verkehrsverwaltung: Kontrollen und laufende Sicherheitsprogramme wie die Markierung von Zebrastreifen und Fahrradspuren könnten mehr Vorsicht und Rücksicht im Straßenverkehr nicht ersetzen. „Berlin tut schon eine Menge“, sagte eine Sprecherin und stellte weitere entsprechende Kampagnen in Aussicht. Doch wie schwer sich die Verwaltung tut, zeigt der Fall der Unfallkommission. Deren Budget zur Entschärfung von Brennpunkten hat der Finanzsenator ebenfalls gekürzt, nachdem die früher vorhandene eine Million Euro seit Jahren nicht ausgeschöpft wurde. Zuletzt waren sogar mehr als drei Viertel des Geldes verfallen.

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