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Bei der Sache. Thomas Heilmann in der Haftanstalt Moabit.

© Thilo Rückeis

Justizsenator Heilmann verspricht Verbesserungen: Berlins marode Gefängnisse könnten teuer werden

Zu alte Zellen, viel zu klein und zu wenig Personal: Der Strafvollzug in Berlin steht in der Kritik. Trotzdem werden im Moment 200 Justizstellen gestrichen. Zusätzlich droht Ungemach von anderer Seite: In Zukunft könnten Häftlinge wegen dieser Haftbedingungen vielleicht sogar finanziell entschädigt werden.

Die Gemäuer sind um 1880 errichtet worden, von draußen kann man noch die Einschusslöcher der Alliierten von 1945 sehen. Drinnen erzeugen die Stahltüren, die klappernden Schlüssel des Wachpersonals und die raunenden Stimmen der Gefangenen ein tiefes Dauergeräusch: Die Justizvollzugsanstalt in Moabit öffnete am Mittwoch ihre Tore – die hier noch Pforten heißen – für das Netzwerk „Leadership Berlin“. Mitten in der Debatte um bessere Haftbedingungen ließen sich Geschäftsführerinnen und Abteilungsleiter aus Unternehmen und Verbänden den Vollzug erklären – mit dabei: Justizsenator Thomas Heilmann (CDU).

Wegen zu alter Zellen und zu wenig Therapiepersonal steht der Strafvollzug in der Kritik. Seit 2009 das Berliner Verfassungsgericht bestimmte Zellen in Deutschlands größtem Gefängnis in Tegel als menschenunwürdig eingestuft hat, klagen auch Insassen und Ex-Gefangene aus Moabit auf Entschädigung. Anders als in vielen deutschen Anstalten ist die Leitung in Moabit offen und sagt: Wer die alten, teilweise noch genutzten Zellen sehe, werde sich nicht mehr fragen, warum man millionenteure Neubauten brauche: In Heidering wird für 120 Millionen Euro derzeit eine neue Anstalt fertig.

Der Zellentrakt II in Moabit sieht wie ein für das Kino wiederbelebter Knast aus den 20ern aus. Mehr als 400 Männer, oft Untersuchungshäftlinge, sitzen in winzigen Zellen. Eine schmale Treppe führt durch die Etagen, daneben sind Netze über den Schacht gespannt, von einem engen Gang gehen niedrige Türen ab – dahinter: 5,9 Quadratmeter, auf denen Pritsche, Tisch, Stuhl, Schrank und ein Klo stehen. Ein blasser Mann sitzt in einer der Zellen, er kann aus Platzgründen nur drei Schritte machen. Mancher Gefangener war aus Sicherheitsgründen 23 Stunden am Tag in einem solchen Raum.

Anstaltsleiter Wolfgang Fixson bemüht sich, die Männer nur wenige Wochen im Trakt II unterzubringen. Einige Zellen wurden zu Doppelzellen umgebaut. Auch an diesem Mittwoch dringt Baulärm durch das Gemäuer, mehr größere Zellen sollen entstehen. Fixson weiß, Gerichte könnten die alten Zellen als menschenunwürdig einstufen. Das Kammergericht hat einem früheren Häftling schon Prozesskostenhilfe gewährt – weil der Fall wohl Grundsatzbedeutung und Chance auf Erfolg hat.

Nachdem der Tagesspiegel kürzlich über zu wenig Platz und zu wenig Personal in den anderen Gefängnissen berichtet hat, haben sich Häftlinge per Brief gemeldet – mangels Internet können sie keine E-Mails schreiben. Die Insassenvertretung der Anstalt in Plötzensee schrieb von „wenig Bereitschaft“, die Gefangenen auf ihre Entlassung vorzubereiten. „Wohl werden die Beamten weniger, die sich direkt der Arbeit mit uns Insassen stellen“, die höheren Verwaltungsebenen aber würden nicht ausgedünnt.

Die Justiz widerspricht dem. Dennoch werden 200 Berliner Justizstellen gestrichen, das sieht der Haushaltsplan der verschuldeten Stadt vor. „Wir analysieren, wer genau wo gebraucht wird. Es wird keine pauschalen Kürzungen geben“, sagte Justizsenator Heilmann dem Tagesspiegel. Wo genau man spare, könne vorher aber aus Sicherheitsgründen nicht überall im Detail mitgeteilt werden.

Bislang haben Gefangene aus Tegel noch keinen Anspruch auf finanzielle Entschädigung durchsetzen können, obwohl Gerichte ihnen darin zustimmten, dass die Unterbringung mangelhaft war. Senator Heilmann sorgt sich eigener Auskunft zufolge auch nicht vor einem Gang zum Europäischen Gerichtshof, der immerhin schon die deutsche Praxis der Sicherungsverwahrung gekippt hatte. „Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes in Haftsachen hat mich bislang überzeugt. Der Gerichtshof urteilt ja nicht rückwärts, sondern die Zukunft betreffend“, sagte Heilmann. „Strafvollzug ist ein Kind seiner Zeit, die Ansprüche ändern sich. Wenn wir heute die Haftbedingungen der vergangenen Jahrzehnte oder Jahrhunderte beurteilen, sind die selbstverständlich menschenunwürdig.“

Man werde weiter modernisieren. „Wir rechnen sogar damit, dass die Gerichte künftig noch höhere Anforderungen an den Vollzug stellen werden.“

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