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Kribbeln in den Händen kann ein Warnsignal für Karpaltunnelsyndrom sein.

© picture alliance / Karolin Kräme

Karpaltunnelsyndrom: Ein ganz spezielles Handicap

Unsere Hände sind ein Wunderwerk der Natur, ein komplexes Zusammenspiel aus Muskeln, Knochen und Nervensträngen. Doch genau das macht sie auch anfällig für Erkrankungen. Eine der bekanntesten davon ist das Karpaltunnelsyndrom.

Wenn man mit Worten nicht weiterkommt, weil man nicht die Sprache des Gegenübers spricht, dann helfen oft die Hände weiter. Eine zum Gefäß geformte Hand wird beispielsweise in nahezu jeder Kultur als beschwörende Bitte begriffen und selbst von Schimpansen gebraucht, um ihre Artgenossen um Futter zu bitten. Eine nach vorn gereckte Handfläche mit gestreckten Fingern signalisiert unmissverständlich „Stopp“. Andere große Gesten machten Geschichte. Winston Churchill formte beispielsweise seinen Zeige- und Mittelfinger zu einem V – dem berühmten Victoryzeichen. Es wurde eine Geste des Triumphs über den Nationalsozialismus und für die Hippies zum Zeichen des Friedens und gegen den Vietnamkrieg. „Peace“ war ihnen wichtiger als „Victory“.

Unsere Hände sind ein wahres Wunderwerk der Natur: Das Zusammenspiel aus 33 Muskeln, 27 Knochen und drei Nervensträngen verleiht den Händen eine enorme Ausdruckskraft. Doch dieses Zusammenspiel ist auch sehr anfällig. Wenn die Hände öfter einschlafen, kribbeln oder sogar kraftlos sind, kann das auf ein sogenanntes Karpaltunnelsyndrom hindeuten. Bei dieser Erkrankung wird der Mittelnerv der Hand – im medizinischen Fachjargon Nervus medianus genannt – gequetscht. Dadurch verstummen die Signale, die der Nerv eigentlich zwischen Hand, Hirn und Rückenmark leiten sollte. Die Folge sind oft kribbelnde oder taube Finger. Später wird die Hand so kraftlos, dass den Betroffenen einfach Dinge aus der Hand gleiten.

der Mittelnerv muss sich mit den Sehnenscheiden durch den Tunnel quetschen

Häufig wird der Nervus medianus durch geschwollene Sehnenscheiden gequetscht. Denn diese müssen sich gemeinsam mit dem Mittelnerv durch den sogenannten Karpaltunnel drängen. „Der Karpaltunnel ist ein von Natur aus enger Bereich“, sagt Hartmut Schauer, Facharzt für Hand- und Wiederherstellungschirurgie am Sana-Klinikum Lichtenberg. Wenn konservative Maßnahmen wie entzündungshemmende Medikamente, eine Bandage oder eine Nachtschiene zur Ruhigstellung das Leiden nicht lindern, kann der Chirurg dem bedrängten Nerv wieder Raum verschaffen. „Dazu wird das Karpalband in der Regel über einen etwa zwei bis drei Zentimeter langen Hautschnitt operativ gespalten“, erklärt Schauer.

Wie gut sich der Nerv nach einem solchen Eingriff erholt und inwieweit die Krankheitssymptome verschwinden, hängt vor allem davon ab, wie lange und wie schwer der Nerv geschädigt wurde. Daher sollte man rechtzeitig gegensteuern, um keinen dauerhaften Nervenschaden zu riskieren. „In der Regel ist die Prognose aber gut und viele Patienten erholen sich innerhalb einiger Wochen oder Monate wieder vollständig“, sagt Schauer.

Auch bei der Patientin, die Schauer nun operieren wird, wurde der Karpaltunnel bereits geweitet. Dennoch kehrten nach einiger Zeit die Symptome wieder. „In einigen Fällen kommt es nach einem Eingriff zu Komplikationen, weil sich die Heilung verzögert oder es zur Einblutung in der Wunde kommt“, sagt Schauer. Dadurch vernarbt das operierte Gewebe und der Mittelnerv wird erneut belastet. Eine zweite Operation lässt sich dann oft nicht verhindern.

Schauers Patientin liegt nun sogar schon zum dritten Mal wegen ihres Karpaltunnels auf dem OP-Tisch. Eine Manschette an ihrem Oberarm verhindert, dass Blut in Arm und Hand strömt. Durch die sogenannte Blutsperre ist die Hand leichenblass. „Das ist allerdings wichtig, damit im Operationsfeld kein Blut fließt und wir eine gute Sicht haben“, sagt Schauer.

Viel Fingerspitzengefühl ist gefragt

Um die vielen filigranen Strukturen der Hand – Nerven, Sehnen und Blutgefäße – besser sehen zu können, trägt der Operateur zudem eine Lupenbrille, die das Sichtfeld um das 4,5-fache vergrößert. „Blutsperre und Lupenbrille sind eigentlich bei jedem handchirurgischen Eingriff Pflicht", sagt Schauer und setzt einen Hautschnitt an der Beugeseite des Handgelenks in etwa auf Höhe des Daumenballens. Schnell offenbart sich auch die Ursache für die Beschwerden. „Der Nervus medianus ist regelrecht von Narbengewebe eingescheidet und mit den umliegenden Strukturen verlötet“, diagnostiziert Schauer. Indirekt ziehen dadurch die Beugesehnen bei jeder Bewegung am Mittelnerv. „Ziel des Eingriffes ist es also, den Nerv möglichst sauber vom umgebenden Narbengewebe zu trennen, ohne dabei die Schutzhülle der Nervenfasern, das sogenannte Epineurium oder andere wichtige Strukturen zu beschädigen“, sagt der Chirurg. In den nächsten Minuten ist also viel Fingerspitzengefühl gefragt.

Zudem zeigt sich noch ein weiteres Problem: Entlang des Nervs befindet sich kaum noch Gleitgewebe. „Ohne diese schützende Schicht sind jedoch weitere Narben programmiert“, sagt Hartmut Schauer. Daher greift der Operateur zu einem kleinen Hilfsmittel: Mit dem Skalpell legt er etwas Gleitgewebe der Beugesehnen frei und schlägt das so gewonnene Läppchen über den Nerv. Diese neue Schutzhülle fixiert der Chirurg mit ein paar Nadelstichen. Zuletzt löst Schauer die Blutsperre am Oberarm der Patientin. Schnell kehrt in die blass-weiße Hand das Leben wieder zurück, bis auch die Fingerkuppen wieder ein zartes Rosa annehmen.

Kaum ist der Eingriff vorüber, eilt Schauer auch schon ins Büro, denn nach jedem Eingriff wartet wichtiger Papierkram. Beispielsweise der Arztbrief für seinen niedergelassenen Kollegen, der sich um die Nachsorge der Patientin kümmern wird. „Das Zusammenspiel zwischen Krankenhaus und niedergelassen Medizinern ist sehr wichtig“, konstatiert Schauer, etwas kurz angebunden. Denn nun muss er die vergangenen 45 Minuten noch einmal zu Protokoll geben, samt Diagnose, OP-Methode, Anästhesieverfahren, etwaigen Besonderheiten. Und selbstverständlich gibt er ganz konkrete Empfehlungen zur Weiterbehandlung: Fäden ziehen nach zehn bis zwölf Tagen und Physiotherapie, um die Hand wieder zu kräftigen und um Überdehnungen der Narbe zu vermeiden.

Kaum erledigt, steht auch schon die Krankenschwester in der Tür – der nächste Patient wartet bereits im OP.

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