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Brückenbauerin. Cymin Samawatie, 42, ist Komponistin, Sängerin und Dirigentin.

© Thilo Rückeis

Kiezspaziergang mit Cymin Samawaties: Der Sound der Gleise

Cymin Samawaties Musik bewegt sich zwischen Jazz, Klassik und nahöstlichen Klängen. Dazu passt ihre Umgebung am Gleisdreieck – typisch Berlin eben. Ein Spaziergang.

Dass sich Cymin Samawatie als Musikerin nicht so einfach festlegen lässt, wird schon beim ersten Blick in ihr Arbeitszimmer klar: In der einen Ecke ein Konzertflügel, in der anderen ein Schlagzeug, am Fenster ein Keyboard, an der Wand eine E-Gitarre, daneben eine persische Kelchtrommel, eine sogenannte Tombak. Im Regal: 10er Boxen mit Aufnahmen von Duke Ellington, Louis Armstrong, Glenn Miller, Charlie Parker und Billie Holiday.

Jazz, Klassik, persische und überhaupt nahöstliche Musik, ihre Vermischung, Vereinigung zu etwas sprichwörtlich Unerhörtem: Darum dreht sich das Leben der 42-jährigen Sängerin, Komponistin und Dirigentin, die in Braunschweig als Tochter iranischer Eltern geboren wurde, in Hannover Klavier und Schlagwerk und später an der Hochschule der Künste in Charlottenburg Jazz studiert hat. Seit bald 20 Jahren lebt sie jetzt in Berlin.

Und zwar in einer eher ungewöhnlichen Ecke, Nähe Gleisdreieck, eingeschnürt von großen Verkehrssträngen: U-Bahn, Tempelhofer Ufer als Hauptverkehrsstraße, dunkelschimmernd der Landwehrkanal. Mitten drin und doch am Rand: typisch Berlin. Zwei Worte, die auf diesem Spaziergang noch häufiger fallen werden. Wer es weiß, kann noch spüren, dass hier in den 30er Jahren einer der urbansten Orte der Stadt gewesen sein muss. Vier Ebenen haben sich in einem Punkt gekreuzt: unterirdisch die Nord-Süd-S-Bahn, ebenerdig Kanal und Straße, darüber die Fernbahngleise vom und zum Anhalter Bahnhof, über die – vierte Ebene – noch die Brücke der U-Bahn gesattelt war und bis heute ist. Von vielen Wohnungen aus kann man die U1 vorbeirumpeln und rattern hören.

"Das Viertel hat sich enorm verändert"

Spaziergang zum U-Bahnhof, vorbei am Kühlhaus. Gegenüber wird ein Hostel gebaut, noch eines. Das Gleisdreieck war bis vor wenigen Jahren ein reiner Umsteigebahnhof zwischen U1 und U2, es gab keinen anderen Grund, hier auszusteigen. „Aber das Viertel hat sich enorm verändert“, sagt Cymin Samawatie. Viel mehr Menschen sind jetzt unterwegs, und zwar täglich, nicht nur zur Fashion Week oder wenn sich Tausende beim Marathon anmelden in der Station Berlin gleich nebenan. Grund ist natürlich der neue Park am Gleisdreieck, ein seltenes Beispiel geglückter zeitgenössischer Stadtplanung. Nach Jahrzehnten wurde dadurch endlich die bleierne Brachenzeit auf dem früheren Potsdamer Güterbahnhof beendet. Obwohl es helllichter Tag ist, bringt der Park Cymin Samawaties Augen zum Leuchten.

Sie liebt die kunterbunte Mischung aus Menschen, die den Park als das annehmen, was er ist: ein Geschenk. Skater unter nordischen Kiefern, Basketballer, Jogger, Tischtennisspieler, Spaziergänger, Radler, Kinder auf den Trampolinen, Anhänger fernöstlicher Religionen beim Anbeten der Morgensonne, picknickende Grüppchen auf der Wiese. Und alle navigieren auf engem Raum aneinander vorbei, einer instinktiven Choreografie folgend, in seltsam fragiler Harmonie einander verbunden: typisch Berlin. Als Soundtrack zischt alle paar Minuten ein ICE in den Untergrund. Der Park, ein Spielwiese, genauso schillernd und vielfältig wie Cymin Samawaties Musik.

Lyrik ist ihre zweite große Leidenschaft

Die kann man am besten kennenlernen an diesem Sonntag und am Montag im Heimathafen Neukölln bei einem Festival, das sie veranstaltet und „Modara“ genannt hat. Sie wird dort mit ihrem Ensemble Divan der Kontinente auftreten und singen. Der Name nimmt natürlich Bezug auf das von Daniel Barenboim und Edward Said gegründete West-Eastern Divan Orchestra – und erweitert zugleich dessen Spektrum. Barenboims Buch „Klang ist Leben“ war wichtige Inspirationsquelle für Cymin Samawatie, ihre eigenen, grenz- und genreüberschreitenden Wege zu gehen. Mit einer anderen Musik, als sie das West-Eastern Divan Orchestra spielt, das sich aus israelischen, palästinensischen und spanischen Musikern zusammensetzt und ganz klassisch Beethoven oder Brahms auf dem Programm hat.

Der Begriff „Divan“ bezeichnet generell eine Sammlung von Gedichten, eine Anthologie. Goethe zum Beispiel setzt sich in seinem West-östlichen Divan mit dem persischen Dichter Hafis (um 1315–1390) auseinander, der für Cymin Samawatie große Bedeutung hat, wie auch der andere große persische Dichter Rumi (1207–1273). Lyrik ist ihre zweite große Leidenschaft. Rumi gab dem Festival im Heimathafen auch den Namen. „Modara“ ist bei ihm ein Ort reiner Begegnung, Auflösung zu einem neuen Ganzen, ein „dritter Raum“, wie es Cymin Samawatie nennt. Und so soll es auch klingen: keine „Weltmusik“, die unverbunden und beziehungslos einzelne Volksmusiken nebeneinanderstellt. Sondern eine Synthese der verschiedensten Einflüsse.

Ein Soloauftritt wäre im Iran nicht denkbar

Versteckt zwischen den Brücken von U1 und U2 lockt das Café Eule. Typisch Berlin auch dies, völlig klar. Ein improvisiert wirkendes, tatsächlich aber durchdachtes und charmantes Sammelsurium aus Stühlen und Bänken, die bessere Zeiten gesehen haben, aber jetzt, an einem der ersten warmen Tage des Jahres, ihren ganzen Freiluftzauber entfalten. Dezent platzierte Gartenzwerge steigern das Gefühl, sich im Märchenland zu befinden, genau wie einige sinnfrei am Ast baumelnde Fahrradfelgen. Und der Milchkaffee schmeckt köstlich. Fast überflüssig zu schreiben, dass Cymin Samawatie sehr gerne hierherkommt.

Einzeln geht sie die Mitglieder von Divan der Kontinente durch, erzählt zu jedem eine kleine Geschichte. Das Ensemble wurde 2013 gegründet, es war schon ihr zweites nach der Band – oder ihrem Quartett, je nachdem – „Cyminology“. Martin Stegner zum Beispiel ist Bratschist bei den Berliner Philharmonikern, Flötist Mohamad Fityan kommt aus Aleppo und spielt Weisen aus Syrien. Ralf Schwarz, Cymin Samawaties Ehemann, ist als Kontrabassist dabei. Und Naoko Kikuchi kommt mit einer Koko, einer japanischen Zither. Denn darum geht es auch: zu zeigen, welches Potenzial in traditionellen Instrumenten eigentlich steckt. Cymin Samawatie wird Gedichte von Hafis singen, die sie selbst vertont hat. „Hafis’ Lyrik kreist um Liebe, Religion, Nähe, Distanz, Traurigkeit – und immer wieder um den Wein, als Rausch und als Schlüssel für eine andere Welt“, sagt sie.

So könnte man noch lange weiter spazieren und sich unterhalten, auch über den Iran, den sie gerne bereist, ihr Vater wohnt in Teheran. Und über die Lage der Frauen dort. Ein Soloauftritt wie in Berlin wäre für sie zum Beispiel im Iran nicht denkbar, Frauen dürfen nur gemeinsam mit Männern im Chor singen und wenn solo, dann ausschließlich vor anderen Frauen. Die Religion schreibt es vor. Dann lieber über die Berliner Philharmonie sprechen, wo Cymin Samawatie schon mehrfach aufgetreten ist. Und wo sie natürlich auch leidenschaftlich gern im Publikum sitzt. Ihre geistige Nähe zu Scharouns Konzertsaal ist groß. Ihre räumliche auch. Mit dem Fahrrad sind es nur fünf Minuten.

Festival „Modara“, 15. & 16. April, 20 Uhr, im Heimathafen, Karl-Marx-Straße 141, Neukölln. Karten kosten 19 Euro, ermäßigt 10 Euro. Weitere Infos unter: www.heimathafen-neukölln.de

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