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Der Tag danach. Am Dienstag machte die Helios-Klinik in Buch die Vorwürfe öffentlich. Bis gestern meldeten sich 60 besorgte Eltern.

© REUTERS

Kindesmissbrauch: Eine Klinik im Schockzustand

Helios-Leitung ist um Aufklärung bemüht. Nach dem sexuellen Missbrauch an Jungen hat der mutmaßliche Täter versucht sich das Leben zu nehmen - und sich selbst kastriert.

Der Pfleger aus der Helios-Klinik in Buch, der mehrere Jungen missbraucht haben soll, ist nach seinem Suizidversuch weiter in einem kritischen und lebensbedrohlichen Zustand. Er liegt nun nach starkem Blutverlust auf der Intensivstation eines städtischen Krankenhauses und wird dort von der Polizei bewacht. Wie berichtet, war der aus einem Ort bei Bernau stammende Michael N. am Freitag vergangener Woche verhaftet worden. Zuvor hatte ein Neunjähriger seinen Eltern von dem Missbrauch berichtet. Nach Angaben der Klinik soll es fünf Opfer im Alter von fünf bis zehn Jahren geben. Der Haftbefehl beruht auf drei Tatvorwürfen, zweimal soll er den Neunjährigen missbraucht haben, einmal einen Fünfjährigen. Wie es bei der Polizei hieß, sei mit mehr Opfern zu rechnen. Gestern meldeten sich besorgte Eltern bei der Kripo, jedoch wurde kein neuer Fall bekannt.

N. ist polizeilich vorher nicht aufgefallen oder war vorbelastet. Er hat nach seiner Verhaftung die ihm vorgehaltenen schweren Sexualstraftaten pauschal gestanden. Auf zwei Mobiltelefonen des 27-Jährigen fanden Ermittler zwei Filme, die den Missbrauch des Fünfjährigen zeigen sollen. Intensiv wird derzeit ermittelt, ob N. Bilder oder Filme dieser Taten per Internet getauscht oder verkauft hat.

Am Montag früh hatte sich Michael N. im Haftkrankenhaus die Adern an Armen und Oberschenkeln aufgeschnitten – und sich selbst kastriert. In einem Abschiedsbrief an seine Familie, der im Krankenzimmer gefunden wurde, hatte er nach Angaben der Ermittler sinngemäß geschrieben, dass er mit seiner Schuld niemandem mehr zur Last fallen wolle.

Die Nachbarn im Mietshaus des Pankower Ortsteils Karow schildern den Pfleger als „ruhig, freundlich und zuvorkommend“. Nur wenn seine Freunde zu Besuch gewesen seien, habe es schon mal Anzeigen wegen Ruhestörung gegeben, hieß es. „Da drang bei Computerspielen schon mal ordentlich Krach aus der Wohnung“, sagte Diana Basler, die mit N. Tür an Tür gewohnt hatte. „Ich weiß noch, wie er mir freudestrahlend vergangenen Oktober von seinem neuen Job in Buch erzählt hatte.“ Er habe regelrecht damit geprahlt, nun auf der Intensivstation mit Kindern arbeiten zu können. „Meinen Einwand, dass die Schichten auf Dauer etwas anstrengend werden können, hat er mit einem Lächeln quittiert“, erinnerte sich die Nachbarin. Nie hätte sie geglaubt, dass sich der junge und meist gut gelaunte Mann an Jungen vergehen würde. Sie sei wie alle Nachbarn über die Nachricht schockiert.

Äußerlich geht der Betrieb im großen Klinikgebäude am nordöstlichen Berliner Stadtrand ungestört weiter. Die große Drehtür kommt kaum einmal zum Stillstand. Patienten, für die mehr als 1000 Betten zur Verfügung stehen, und Besucher gehen ein und aus. Auffällig im Trubel der Eingangshalle ist nur die ungewöhnlich große Zahl von Frauen und Männern, die nach Stürzen an Krücken oder mit eingegipsten Füßen oder Armen laufen müssen.

Nur beim Auftauchen von Kamerateams und Fotografen kommt der Missbrauchsverdacht bei Rauchern vor der Tür zur Sprache. „Natürlich frage ich mich, warum der Mann ausgerechnet in der ständig vollbesetzten Intensivstation so ungehindert agieren konnte“, sagt der 56-jährige Udo Haas, der im Klinikum einen Freund besucht. Die umstehenden Pfleger heben die Schultern. „Eigentlich hätten seine Kollegen viel eher hellhörig werden müssen“, meint ein Pfleger, der anonym bleiben möchte. In der Cafeteria lobt ein Ehepaar den offensiven Umgang des Klinikums mit dem Thema. „Man ist schon sehr schockiert und möchte den betroffenen Kindern und Eltern Trost geben“, sagte Herbert Jahn aus Karow.

Die Klinikleitung bemüht sich um Mithilfe bei der Aufklärung des Falls und der Betreuung von Betroffenen. 60 besorgte Elternteile hätten bis Mittwochnachmittag die Hotline unter der Telefonnummer 940154444 angerufen. „Hauseigene Psychologen haben mit den Eltern gesprochen und sie gegebenenfalls an das Landeskriminalamt verwiesen“, sagt der Ärztliche Direktor Josef Zacher. Auch das Personal auf der Kinderintensivstation werde psychologisch betreut. Die Mitarbeiter seien „geschockt und gewaltig verunsichert“.

Pro Schicht arbeiten rund zehn Pfleger, darunter sowohl examinierte Kinderkrankenpfleger wie N. als auch speziell ausgebildete Intensivpfleger und Ärzte auf der Station für elf schwer kranke Kinder zwischen 0 und 16 Jahren. Es gibt dort ein Drei- und vier Zweibettzimmer. Auf einer Intensivstation wird transparent gearbeitet, die Türen sind in der Regel nicht geschlossen, damit das Personal etwaige Komplikationen sofort registriert. Wie N. unbemerkt diese Sexualstraftaten begehen konnte, „ist uns völlig unklar“, sagt Zacher. „Wir wissen noch nicht, wann und was genau vorgefallen ist.“ Er erhoffe sich mehr Erkenntnisse durch Informationen des Landeskriminalamtes.

N. hat seit Oktober 2009 auf der Station gearbeitet. Er hat eine Ausbildung zum Kinderkrankenpfleger an der Schule für Gesundheitsberufe absolviert. Ein polizeiliches Führungszeugnis ist bei einer Bewerbung nicht vorgesehen. Mitarbeiter hätten N. als „zuvorkommend, angenehm und engagiert“ beschrieben, sagt Zacher. Die Klinikleitung habe sich an externe Berater gewandt und werde erörtern, sagt Zacher, ob zusätzliche Kontrollmöglichkeiten eingesetzt werden können. Aber der „Persönlichkeitsschutz des Patienten“ müsse gewahrt bleiben.

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