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Kottbusser Tor: Nicht schön, aber Heimat

Man sieht vor lauter Menschen den Platz nicht. Das ist nicht das Schlechteste.

Buntes Leben? Aber hallo! Mehr geht nicht. Und manchmal wäre ein bisschen weniger immer noch genug. Was sich am Kottbusser Tor bewegt, ist so vielfältig wie der Bezirk – zwischen Hipstern und Junkies, den neuen Selbstständigen und alten Rückständigen, den Muslimen und New-Age-Adepten, den Machokids und den Ästheten. Das ist vielleicht das Gute: Man sieht vor lauter Menschen den Platz nicht.

Was nicht das Schlechteste ist. Es reicht schon, egal zu welcher Tageszeit, die Rolltreppe vom U-Bahnhof herunterzufahren, um eigentlich genug zu haben von diesem Ort. „Kottbusser Tor, ich spring vom Zug, zwei Kontrolleure ahnen Betrug. Im Affenzahn die Rolltreppe rauf, zwei Türken halten die Beamten auf“, sangen einst Ideal. „Ich fühl’ mich gut, ich steh’ auf Berlin!“

Man muss schon sehr seltsam drauf sein, um das hier toll zu finden. Na ja, so ist Heimat eben. Man liebt, was nervt. Und will es nicht missen. Wahr ist doch auch: Nirgends ist man gleich so mittendrin wie hier – zum Würgeengel durch die Katakomben mit den geraunten Fragen: „Brauchste was?“ Oder zum Kreuzbergmuseum, wo man sich angesichts der alten Fotos kaum vorstellen kann, dass Kreuzberg in den zwanziger Jahren doppelt so viele Einwohner hatte, obwohl man sich am Kotti schon jetzt vor lauter Menschen fast gegenseitig umrennt. Es wundert nicht, dass am „Neuen Kreuzberger Zentrum“, dieser Stein gewordenen Architektursünde, der Spruch erfunden wurde: „Schade, dass Beton nicht brennt.“

Und doch hat der Platz viel Potenzial, dieses Eingangstor ins legendäre SO 36, auch wenn kaum ein Bewohner noch die Zeiten des historischen Postzustellbezirks erlebt hat.

„Keine Atempause, Geschichte wird gemacht, es geht voran!“, sangen „Fehlfarben“. Das gilt immer noch am Kotti. Hier ist das junge Berlin zu Hause, die Je-später-desto-besser-Generation und jene, die einst kamen, um bald wieder zu gehen, nach Anatolien oder Württemberg, und doch hier alt geworden sind. Umrahmt von Gebäuden, die niemand für schön erklären würde und doch viel Lebendigkeit gewonnen haben – vom Veranstaltungs-Cafe „Südblock“ auf der einen Seite bis zu „Möbel Olfe“ auf der nördlichen Seite, vom Gemüsehändler bis zum Festsaal Kreuzberg.

Wenn nur der Verkehr nicht wäre. Der hat hier immer noch Vorrang, auch wenn die unzureichende Spurführung jedem Autofahrer ein mulmiges Gefühl gibt beim Umkurven des abgeschieden liegenden Innenrunds – und den Radfahrern erst recht. Auch die Fußgänger dürfen sich auf den zu schmalen Fußwegen quetschen und vor „Kaiser’s“ regelmäßig stauen. Da muss sich was ändern. Aber: schnell weg? Bloß nicht. Dazu ist das Leben viel zu bunt hier.

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