zum Hauptinhalt
Der Antisemit und Verschwörungsideologe Attila Hildmann ist gehackt worden.

© dpa/Christophe Gateau

Berliner Staatsanwaltschaft in der Kritik: Staatsbürgerschaft von Attila Hildmann nicht ordentlich geprüft

Der Rechtsextremist hat keinen türkischen Pass. Die Auslieferung des Verschwörungsideologen aus der Türkei ist doch möglich.

Nur selten sind Behördenfehler besser dokumentiert als im Fall der Berliner Generalstaatsanwaltschaft und ihren Ermittlungen zu einem rechtsextremen Kochbuchautor. Am 25. März 2021 teilt der verifizierte Account der Justizbehörde über den Kurznachrichtendienst Twitter mit: „Der Beschuldigte hat neben der deutschen auch die türkische Staatsangehörigkeit“.

Gemeint ist Attila Hildmann, 41-jähriger Antisemit, Neonazi und Verschwörungsideologe, der sich in Zeiten vor der Pandemie als veganer Vorreiter und Erfinder eines eigenen Energy Drinks inszenierte und sich seit mittlerweile anderthalb Jahren vor der Vollstreckung eines Haftbefehls in der Türkei versteckt.

Gesucht wird Hildmann von den Berliner Behörden unter anderem wegen Volksverhetzung, der öffentlichen Aufforderung zu Straftaten und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte. Zu Beginn der Pandemie hatte der 41-jährige diverse Proteste mitorganisiert, die sich gegen die staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus richteten und gleichzeitig Judenhass und volksverhetzenden Parolen beinhalteten.

Doch keine doppelte Staatsbürgerschaft

Im Winter 2020 setzte sich Hildmann in die Türkei ab, um drohenden Verurteilungen zu entgehen. Seitdem zeigte sich die Berliner Staatsanwaltschaft aufgrund der angeblichen doppelten Staatsbürgerschaft des Verschwörungsideologen machtlos, da eine Auslieferung durch die Türkei so unmöglich wäre.

Nun stellt sich heraus: diese doppelte Staatsbürgerschaft gibt es gar nicht, Hildmann ist Deutscher. Öffentlich gemacht wurde der Ermittlungsfehler durch das Magazin „Stern“, die Staatsanwaltschaft selbst weist auf Tagesspiegel-Nachfrage darauf hin, dass die einfache Staatsbürgerschaft Hildmanns den Ermittlern bereits seit März dieses Jahres bekannt sei.

Wieso die Behörde die Panne nun erst in Reaktion auf den „Stern“-Bericht zugab und nicht schon zuvor transparent machte, begründet ein Sprecher damit, dass man Hildmann nicht habe „warnen“ wolle.

Der Verschwörungsideologe hatte selbst wiederholt über den Messengerdienst Telegram behauptet, im Besitz eines türkischen Passes zu sein. Die Ermittler fragten daraufhin bei der Senatsverwaltung für Inneres nach Unterlagen, die das belegen. Dort wurde ihnen mitgeteilt, dass sich das Melde- und Personalausweisregister in dieser Hinsicht als „nicht ergiebig erweist“.

Zwar gab es einen Eintrag über eine angebliche türkische Staatsangehörigkeit im Melderegister, woher dieser stammte, konnte allerdings nicht nachvollzogen werden. Gleichzeitig seien kein Pass oder Ausweis türkischer Herkunft gespeichert worden.

Hildmann hat bloß einen deutschen Pass

Im Chaos unterschiedlicher Meldeauskünfte nahmen die Ermittler offenbar an, dass Hildmanns Selbstaussage über eine zweite Staatsangehörigkeit richtig sei. Im März 2022 wurden schließlich Behörden in Ankara kontaktiert, die die Existenz eines türkischen Passes verneinten.

Dem Tagesspiegel und weiteren Medien liegen seit mehr als einem Jahr Erkenntnisse vor, dass der Rechtsextremist log und lediglich im Besitz des deutschen Passes ist. Untermauert wurde diese These vor allem von einem ehemaligen Mitstreiter Hildmanns, der sich mit dem 41-jährigen überwarf und mit pikanten Details an die Öffentlichkeit richtete.

Warum die Berliner Staatsanwaltschaft nach diesen Veröffentlichungen zur Causa Hildmann im September 2021 nicht sofort reagierte und erneut die angebliche türkische Staatsangehörigkeit überprüfte, wollte sie nun aus ermittlungstaktischen Gründen nicht mitteilen. Es ist bei weitem nicht der erste Justizfehler im Hildmann-Komplex.

Die Opfer von Hildmanns Hass sind die Leidtragenden

So war zunächst die Cottbuser Staatsanwaltschaft zuständig für den Kochbuchautor, da dieser lange am Berliner Stadtrand in Brandenburg wohnte. In der Lausitz gingen etliche Anzeigen gegen den 41-Jährigen ein, doch die Ermittlungen verliefen so schleppend, dass nach mehreren Monaten die Berliner Staatsanwaltschaft den Fall an sich zog.

Vor knapp einem Jahr wurde schließlich bekannt, dass Hildmann vor seiner Flucht in die Türkei von einem querdenkenden Mitarbeiter aus der Berliner Staatsanwaltschaft vor dem bevorstehenden Haftbefehl gewarnt wurde.

Leidtragende sind vor allem jene, die Opfer von Hildmanns Hass geworden sind. Der ehemalige Grünen-Bundestagsabgeordnete Volker Beck wurde auf dem Telegramm-Kanal des Rechtsextremisten wiederholt homophob und antisemitisch beleidigt, auf einer Veranstaltung drohte ihm Hildmann sogar indirekt mit der Todesstrafe.

Nach Bekanntwerden der erneuten Ermittlungspanne fühlt sich Beck nach Tagesspiegel-Anfrage „verraten und verkauft“ und fügt hinzu: „Nachdem schon einmal eine Komplizin bei der Justiz Hildmann gewarnt hat, habe ich den Eindruck, der hat mehr als einen Unterstützer bei der Justiz. Ich habe die Faxen langsam dicke.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false