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Gesine Lötzsch und Gregor Gysi kritisierten ihre Genossen in Erfurt. Und geraten nun selbst in die Kritik.

© picture alliance / dpa

Kritik an Genossen: War die DDR ein Unrechtsstaat?

Die Linke streitet über die Einordnung der DDR-Diktatur – dabei war sie bei den Koalitionsverhandlungen in Berlin und Brandenburg schon weiter.

Von Sandra Dassler

Eine Formulierung aus den rot-rot-grünen Sondierungsgesprächen in Thüringen führt auch in Berlin und Brandenburg zu neuen Debatten über die untergegangene DDR: War sie ein Unrechtsstaat? Prominente Politiker der Linke wie Gregor Gysi und Gesine Lötzsch haben ihre Vorbehalte gegen die Verwendung des Begriffs durch die Genossen in Erfurt kundgetan. Viele empört das. Und ein alter Streit flammt wieder neu auf.

Dabei war die Tatsache, dass es in der DDR großes Unrecht und massive Menschenrechtsverletzungen gegeben hat, in Berlin und Brandenburg längst in Koalitionsvereinbarungen festgeschrieben worden – in der Hauptstadt sogar schon 2002 und ausgerechnet mit Gregor Gysi als Verhandlungsführer. „Wir haben zwar das Wort Unrechtsstaat vermieden“, erinnert sich der Bundestagsabgeordnete Stefan Liebich, der als damaliger Berliner PDS-Landesvorsitzender an den Koalitionsgesprächen teilnahm. „Aber wir haben klargemacht, dass es in der DDR massives Unrecht gegeben hat und dass wir uns klar davon distanzieren.“

2002 gab es Parteiaustritte

Das stimmt. In der Berliner Koalitionsvereinbarung von 2002 stand unter anderem: „Die 1961 von den Machthabern der DDR und der Sowjetunion errichtete Mauer wurde (...) zu einem Symbol für Totalitarismus und Menschenverachtung. Die Schüsse an der Berliner Mauer haben schweres Leid und Tod über viele Menschen gebracht. Sie waren Ausdruck eines Regimes, das zur eigenen Machtsicherung sogar das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit missachtete. (...) Wenn auch der Kalte Krieg von beiden Seiten geführt wurde, die Verantwortung für dieses Leid lag ausschließlich bei den Machthabern in Ost-Berlin und Moskau.“ Sowohl in der damaligen Berliner PDS als auch in der SPD habe es damals Parteiaustritte von Menschen gegeben, die mit dieser Vereinbarung nicht klargekommen sind, erinnert sich Liebich.

Die Kritik an den Thüringer Genossen aus der eigenen Partei teilt der Berliner nicht. Die Verwendung des Begriffes Unrechtsstaat so hochzuziehen, sei unnötige Wortklauberei, sagt er. „Es ist doch entscheidender, was die drei Parteien in Thüringen für die Zukunft auf den Weg bringen.“ Gerade Berliner Erfahrungen sollten da Mut machen, meint Liebich: „Ich bin nach wie vor der Ansicht, dass die rot-rote Regierung die Einheit Berlins entscheidend vorangebracht hat und dass sich die Menschen im Ostteil dadurch viel mehr akzeptiert gefühlt haben.“

Über den Begriff Unrechtsstaat wird seit 1989 diskutiert

Auch der Vorsitzende der Linksfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, Udo Wolf, findet es schade, dass sich die Diskussion um die Vergangenheit auf einen einzigen Begriff fokussiert. „Wir haben immer wieder deutlich gesagt, dass der Sozialismusversuch auch daran gescheitert ist, dass die DDR kein Rechtsstaat war“, sagt er. Und empfiehlt den Genossen in Thüringen, bei ihrer Erklärung zu bleiben – auch wenn der Begriff Unrechtsstaat bereits seit 1989/90 immer wieder kontrovers diskutiert worden sei.

Das war nach der von der PDS tolerierten SPD-geführten Minderheitsregierung in Magdeburg 1994 und der ersten rot-roten Koalition 1998 in Mecklenburg-Vorpommern auch 2009 in Brandenburg der Fall. „In der rot-roten Koalitionsvereinbarung haben wir klar benannt, dass die DDR eine Diktatur war“, sagt der damalige Landesvorsitzende und jetzige Bundesschatzmeister der Linkspartei, Thomas Nord. Außerdem habe es eine Enquete-Kommission zur „Aufarbeitung der Geschichte und Bewältigung von Folgen der SED-Diktatur“ gegeben – zudem verbindliche Richtlinien zum Umgang mit persönlichen Verstrickungen, die für alle Parteien gelten, auch für die Linke. Deshalb glaubt Nord, dass die Thüringer Debatte keine Rolle für die aktuellen Koalitionsverhandlungen von SPD und Linken in Brandenburg spielen wird.

Nicht jeder war automatisch am Unrecht beteiligt

Auch Nord rät den Genossen in Erfurt, den Begriff Unrechtsstaat nicht zurückzunehmen, kann aber verstehen, dass Menschen damit Probleme haben. „Er wird manchmal so verwendet, als ob jeder, der in der DDR lebte, damit automatisch am Unrecht beteiligt war“, meint Nord. „Und das ist eben nicht so: Der Arzt, die Kindergärtnerin, der Schulleiter haben anständige Arbeit geleistet, auch wenn sie keine Regimegegner waren.“

Für sich selbst sieht Thomas Nord das allerdings anders: Schon 1990 habe er öffentlich gemacht, dass er einige Jahre lang Inoffizieller Mitarbeiter der Staatssicherheit war, sagt er. „Ich war am Unrecht in der DDR beteiligt. Die Distanzierung von getanem Unrecht ist aber eine Voraussetzung, um aus der Geschichte zu lernen.“

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