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Zwei Gemälde von Caspar David Friedrich in der Alten Nationalgalerie.

© John MACDOUGALL / AFP

Bald ist wieder Art Week: Kunst machen kann nur, wer es sich leisten kann

Die Dichte der Künstler pro Einwohnerzahl ist nirgendwo in Deutschland höher als in Berlin. Für die meisten ist es jedoch ein Verlustgeschäft.

August, alteingesessener Bewohner der Auguststraße in Mitte, traut seinen Augen kaum. „Was? Wieder ’ne neue Galerie, gleich neben dem neuen Co-Working-Space und der neuen Hipster-Eisdiele? Als hätte Berlin nicht schon genug Galerien!“ Berlin ist immerhin Bundeskunsthauptstadt, statistisch gesehen. Die Dichte der Künstlerinnen und Künstler pro Einwohnerzahl ist in keiner deutschen Stadt höher.

Die Beziehung des Berliners zur Kunst ist widersprüchlich. Einerseits sieht er sie als Teil des Verdrängungsproblems. Andererseits versteht auch August sich eigentlich als Künstler, Lebenskünstler nämlich. Sich ausgestellt und seinen Namen in einer Galerie gelesen hat er aber noch nie.

Genauso geht es den meisten Kunstschaffenden Berlins, niemand kennt sie. Oft nicht einmal die Statistiken, denn die erfassen nur die, die mit der Kunst einen gewissen Mindestumsatz erzielen. Der gängigste Kunstbegriff lautet: Kunst ist, was sich verkauft, was zur Investition taugt. Für die meisten Kunstschaffenden ist sie ein Verlustgeschäft.

Kunst machen kann nur, wer es sich leisten kann – wohlhabende Erben zum Beispiel. Oder Menschen, die sie durch möglichst perspektivlose Nebenjobs finanzieren. Je perspektivloser übrigens, desto besser, denn damit beweist man, dass man es ernst meint mit der Kunst. Wer sich ein lukratives zweites Standbein aufbaut, wird in Sammler- und Galeristenaugen schnell zum Hobbyisten und folglich chancenlos. Das Gros der Künstler lebt prekär – weil es der Markt verlangt.

Ist die Kunst anerkannt, hat sie sich erledigt. Wie Trophäen gesellschaftlich überwundener Probleme hängen alte Werke an Museumswänden. Lebendige Kunst ist aber immer auch Problem. Wer den Ausdruck „Ist das Kunst oder kann das weg?“ geringschätzig gebraucht, hat ihn nicht verstanden.

Solange wir uns den Kopf darüber zerbrechen, ist Kunst relevant

Klingt paradox, aber solange der Status unklar ist, ist Kunst lebendig. Solange wir uns den Kopf darüber zerbrechen, ist sie relevant. Sind sich alle einig, dass diese Badewanne oder jenes Stück Seife Kunst ist, kann es ins Museum – zu anderen Trophäen überwundener Probleme.

Apropos: Kreativität findet sich schon lange als perfide Anforderung in Jobbeschreibungen, kreative Problemlösungen brauche die Welt. Der Künstlertyp, der „outside the box“ denkt, ist gefragt – wenn er auch was Vernünftiges gelernt hat. Die Sache ist, dass Kreative meistens keine Lösungen liefern, sondern eben Probleme.

Dass die Beziehung der Gesellschaft zur Kunst ambivalent ist, liegt in der Natur der Sache: Es muss nicht alles so sein, wie es zu sein scheint. Es gilt ein großes Vielleicht, auf Französisch „être, peut-être“. „Etepetete“, hört August, und hat vielleicht gar nicht so unrecht.

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