zum Hauptinhalt

Brennende Autos: Gruselstunde vorm Zubettgehen

Ortstermin für den SPD-Innensenator: Ehrhart Körting erklärt Bewohnern eines Altenheims in Prenzlauer Berg, warum in Berlin so häufig Autos brennen.

Die Abendsonne strahlt milde über die sattgrüne Wiese im Innenhof des Seniorenheims in der Gürtelstraße. Die Frauen und Männer, die im hübschen Neubau nördlich des S-Bahnhofs Greifswalder Straße leben, haben schlohweißes Haar, einige sind 90 Jahre alt. Am vergangenen Dienstagabend warten sie im Speisesaal auf Innensenator Ehrhart Körting (SPD). Der kommt mit dem lokalen SPD-Mann Alexander Götz und der sozialdemokratischen Nachwuchshoffnung Björn Böhning. In sechs Wochen ist Bundestagswahl – und Böhning, 31 Jahre, volle Koteletten, möchte in diesem Wahlkreis mithilfe des erfahrenen SPD-Senators, 67 Jahre, angegraute Schläfen, in den Bundestag entsandt werden.

Es sollte ein Heimspiel werden: Rentner aus Berlins Nordosten dürften einem Polizeisenator mit sozialem Antlitz jedenfalls näher stehen als der grünen Plaudertasche Hans-Christian Ströbele oder der örtlichen Linkskandidatin mit dem wenig einprägsamen Namen Halina Wawzyniak, von CDU-Frau Vera Lengsfeld und FDP-Mann Markus Löning ganz zu schweigen.

Und so soll Körting über Extremismus und Gewalt reden, will aber „die Sorgen der Menschen im Kiez“ nicht aus den Augen lassen: „Denn sie wollen ja abends einfach nur wissen, ob ihr Fahrrad noch da ist, oder?“ Gerade wegen der „Anonymität der Großstadt“ sei Berlin mit 482 000 Straftaten im Jahr ein heißes Pflaster. „Auch ich weiß nicht, wer alles bei mir im Haus wohnt“, erzählt Körting. Die Zuhörer nicken.

So weit, so publikumsnah. Doch von der urbanen Anonymität schwenkt Körting rasch zu abgefackelten Autos – Samstag früh brannte ein Mercedes in Lichtenberg, – und bleibt dann bei seinem Trauma stecken: der linksradikalen Szene. 150 mehr oder weniger luxuriöse Autos haben Unbekannte seit Januar in Brand gesteckt, die Straßenschlachten am 1. Mai 2009 waren so hart wie lange nicht mehr, und erst vor einer Woche konnten rund 30 Linke einen von Beamten festgehaltenen Plakatierer in Friedrichshain befreien.

„Das muss man sich mal vorstellen“, wird Körting nun lauter, „da gibt es Leute, die einfach nachts losgehen und das Auto vom Nachbarn anzünden.“ So simpel? Eine Dame mit winzigen, graublonden Locken fragt sich ungläubig: „Wirklich beim Nachbarn?“ Ihre Sitznachbarin zuckt mit den Schultern. Beide sind ratlos, legen den Kopf zur Seite. Vielleicht auch, weil das Zuhören nun anstrengend wird.

Doch Körting ist in Fahrt, von Fragen wie Ist-mein-Fahrrad-noch-da keine Spur mehr. Die Krawalle am 1. Mai waren unpolitisch, aber extremistisch, von den Medien herbeigeschrieben. Er selbst habe zuvor in Migranten-Communities extra für Gewaltfreiheit geworben. Communities? Seine Zuhörer verlieren den Faden, die meisten dürften den Begriff nicht kennen. Doch statt ihn zu unterstützen, beschwert sich Körting weiter, habe ausgerechnet ein Politiker des Koalitionspartners, der Linke Kirill Jermak, gemeinsam mit den Autonomen für den 1. Mai geworben.

Kirill Jermak? Auch diesen Namen hat man im Saal des Seniorenheims Gürtelstraße noch nicht gehört. Und überhaupt, fährt der Senator ungestört fort, Linke würden Rechte immer wieder mit Teleskopstöcken angreifen. Teleskopstöcke? Häh? Die hochbetagten Zuhörer haben nie eine dieser zusammenschiebbaren Metallruten gesehen. Einige schließen die Augen, werden müde.

Eine Stunde ist vorüber, Nachfragen sind spärlich. Ein jüngerer Zuhörer aus der Nachbarschaft will wissen, warum Polizisten in Berlin monatlich 300 Euro weniger verdienen als in Thüringen? Körting druckst herum, schließlich sagt er: „Daran müssen wir arbeiten.“ Die Sonne ist weg, der Senator geht zum Auto. Und die Senioren machen sich auf ins Bett.Hannes Heine

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false