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Wieder da. Nach längerer Krankheit erschien Frank Henkel am Donnerstag im Berliner Abgeordnetenhaus. Die Fragen an ihn waren zahlreich – und manche davon für ihn ziemlich peinlich.

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V-Mann-Affäre und geschredderte Akten: In bester Unordnung: Ist Frank Henkel überfordert?

"Wissen Sie überhaupt, was in Ihrem Haus los ist?" Als Innensenator Frank Henkel am Donnerstag im Abgeordnetenhaus erscheint, erntet er stürmische Entrüstung. Erst die V-Mann-Affäre und jetzt der Skandal um geschredderte Akten. Ist der CDU-Mann seinem Amt noch gewachsen?

Als Frank Henkel am Mittag kurz vor der Sitzung des Abgeordnetenhauses die Lobby des Parlaments betritt, versucht er, ein Gefühl von Normalität zu verbreiten. Sein Händedruck ist fest wie immer, der Blick aufmerksam, er scheint in den Wochen ein wenig an Gewicht verloren zu haben. Es waren Wochen, da er krank gewesen ist, wie es heißt mit einer Bronchitis zu Hause im Bett gelegen habe. Was einerseits zunächst niemandem so richtig aufgefallen ist, andererseits aber dann doch immer schwerer ins Gewicht fiel. Weil der Verbleib von brisanten Akten in Henkels Zuständigkeitsbereich nun mal nur von ihm selbst erklärt werden kann.

Nun aber werden erst mal Hände gedrückt, Senatoren begrüßen Senatoren, Staatssekretäre und Fraktionschefs, kaum einer vergisst, dem Regierenden Bürgermeister zuzunicken. Innensenator Frank Henkel sind, so wirkt es jedenfalls, besonders viele, besonders freundliche Händedrücke zugedacht, als wollten ihm seine Parteifreunde auf diese Weise sagen: Gut dass du wieder da bist, du hast uns gefehlt!

Tatsächlich ist es höchste Zeit, dass der starke Mann der Berliner CDU sich auf der politischen Bühne wieder zeigt und bewegt. So stark wirkt er nämlich in diesen Tagen nicht. Seit Dienstag bewegt eine neue Aktenschredder-Affäre die Stadt. Beim Verfassungsschutz haben sie Papiere vernichtet, die Erkenntnisse über die rechtsextreme Szene enthielten. Ob sie Erhellendes zum NSU enthalten haben, kann nun niemand mehr mit Gewissheit sagen – ärgerlich, peinlich und skandalträchtig ist der Vorgang. Abermals.

Zur Affäre und zu einem Problem für Frank Henkel ist der Vorgang geworden, weil am Dienstag herauskam, dass Henkel von der Schredderei seit Mitte Oktober gewusst hat. Gesagt hat er nichts davon, auch nicht am 17. Oktober im Verfassungsschutzausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses. Danach wurde Henkel krank. Drei Wochen konnte er seine diversen Ämter nicht ausüben. Manche in der CDU fingen bereits an, sich Gedanken darüber zu machen, ob Henkel überlastet sein könnte. Da war sie hin, die Stärke.

Das parlamentarische Ritual bedenkt Henkel bei seiner Rückkehr zunächst mit der Rolle des Zaungastes. Im Plenum ist von Wissenschaftspolitik, Verkehrsplanung oder dem Umbau der Staatsoper die Rede. Henkel versenkt sich in die Akten, die vor ihm auf dem Tisch liegen. Mit Textmarkern streicht er Zeile um Zeile an. Grün, gelb, pink. Dann dürfen in der so genannten mündlichen Fragestunde aktuelle Themen von Abgeordneten angesprochen werden mit der Erwartung, dass der Innensenator ihnen antwortet. Er tut dies auch, ausführlich. Der Flüchtlingsprotest am Brandenburger Tor und die Frage der Onlinebewerbungen sind ihm präsent.

Es sind darüber eineinhalb Stunden vergangen, bis endlich spontane Fragen zugelassen sind. Aber noch immer will Henkel niemand auf die Schredder-Affäre ansprechen. Erst die Grünen-Innenpolitikerin Clara Hermann geht zur Attacke über. Warum habe er, Henkel, dem Verfassungsschutzausschuss vor zwei Wochen nichts davon gesagt, dass zwei Tage zuvor, am 15. Oktober, die Akten in seinem Hause geschreddert worden seien – obwohl er gesetzlich verpflichtet sei, das Gremium über solche Vorgänge zu informieren?

„Ich bin Ihnen sehr dankbar, dass wir darüber reden“, sagt Henkel. „Was passiert ist, ist in höchstem Maße ärgerlich. Es ist inakzeptabel. Es ist schwer zu verstehen und es ist schwer darstellbar.“

Daraufhin ein Zuruf der Grünen: „Versuchen Sie’s trotzdem!“

Henkel verspricht es: „Ich versuche es trotzdem.“ Es sei richtig, fährt er fort, dass er am 15. Oktober durch seine Abteilungsleiterin für Verfassungsschutzfragen über „einen Vorgang“ informiert worden sei. Damals sei aber noch unklar gewesen, was genau passiert war. „Am 15. Oktober wussten wir nach meiner Erkenntnis und meiner festen Erinnerung nicht genau, was passiert ist, noch wussten wir genau, was Gegenstand der Akten war.“ Also habe man erst die Mitarbeiter befragt, wie es dazu kommen konnte und was Inhalt der Akten war, vor allem, ob es einen möglichen NSU-Bezug gab. „Ich möchte darauf hinweisen, dass wir es waren, die auf die Vernichtung der Akten hingewiesen haben. Hier eine Verbindung darzustellen, man habe hier getrickst, getäuscht, verschleiert, ist in das Reich der Fantasie zu verweisen.“ Nachdem man wusste, was für Akten das waren, habe die Innenverwaltung die Sprecher der Abgeordnetenhausfraktionen und den NSU-Ausschuss informiert.

Ob das reicht?

"Wissen Sie überhaupt, was in Ihrem Haus los ist?"

Wieder da. Nach längerer Krankheit erschien Frank Henkel am Donnerstag im Berliner Abgeordnetenhaus. Die Fragen an ihn waren zahlreich – und manche davon für ihn ziemlich peinlich.
Wieder da. Nach längerer Krankheit erschien Frank Henkel am Donnerstag im Berliner Abgeordnetenhaus. Die Fragen an ihn waren zahlreich – und manche davon für ihn ziemlich peinlich.

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„Wissen Sie überhaupt, was in Ihrem Haus los ist?“ will einer aus dem Plenum wissen. „Völlig überfordert!“, ruft ein anderer. „Rechtsbrecher!“. Für diesen letzten Zwischenruf wird der Grünen-Abgeordnete Benedikt Lux vom Parlamentspräsidenten zur Ordnung gerufen.

Henkel holt Luft. „Wir haben ja nicht drei Wochen nichts getan“, sagt er dann. Er habe „unmittelbar danach“ eine Prüfung veranlasst. Was die erbracht hat? Das werde er an diesem Freitag im Verfassungsschutzausschuss „im Detail“ besprechen, kündigt Henkel an, aber in dem Moment klingt es nur wie ein Spiel auf Zeit. Wieder mal kann sich der Innensenator einen Vorgang mit brisanten, weit über Berlin hinaus relevanten Informationen nicht erklären.

So hat sich Henkel auch beim letzten Mal, bei der V-Mann-Affäre im September, nur immer tiefer ins Schlamassel hineingeritten mit seinem Wunsch, die Dinge erstmal intern aufzuklären, bevor Dritte eingeweiht wurden. Als die das erfuhren, machten sie den Skandal daraus.

Thomas Kleineidam, innenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion und einer, dem das Aufpumpen von Vorgängen zum Skandal überhaupt nicht liegt, sagte am Donnerstag, er „warte gespannt“ auf Henkels Erklärung auf der Sondersitzung des Ausschusses. „Es gibt jede Menge Fragen“, so Kleineidam. Er hat für Henkel durchaus Sympathien.

SPD-Fraktionschef Raed Saleh schlägt einen anderen Ton an. Zu der Angelegenheit des Koalitionspartners lässt er verbreiten: „Unsere Innenpolitiker sind sehr irritiert und haben hier Gesprächsbedarf.“ Das kann man als ostentativ erhobenen und wild fuchtelnden Zeigefinger verstehen.

Ist Henkel überfordert?

Dass dieser so massiv und robust wirkende Mann durchaus körperlich auf ein Übermaß an Stress reagiert, wissen viele in der CDU seit langem. Zuletzt hatte er im Wahlkampf ein paar Tage Pause nötig, weil ein Infekt ihn umgeworfen hatte. Parteifreunde erinnern daran, dass Henkel seit Jahren ohne Unterlass arbeitet, auf Urlaube und Ruhephasen verzichten zu müssen glaubte. Seit 2008 hat er schwere Aufgabe an sich gezogen. Er wurde Landesvorsitzender in einer derart krisenhafte Lage, dass sogar der Generalsekretär der Bundes-CDU über die Berliner Parteifreunde herzog. Henkel sollte die demoralisierte Partei aufrichten. Das tat er, wurde auch noch Fraktionschef, machte den Spitzenkandidaten in einem Wahlkampf, der nicht darauf hinauszulaufen schien, dass die CDU regieren würde. Er handelte mit Klaus Wowereit das rot-schwarze Bündnis aus und übernahm das Amt des Innensenators, wohl ahnend, dass es ein erhebliches Gefahrenpotential enthält.

Geahnt mag er das haben – seit Monaten bekommt er es zu spüren. Und seitdem wundern sich auch echte Parteifreunde, wie schwer sich Henkel mit dem Krisenmanagement tut. Im September war es um einen V-Mann des Berliner Landeskriminalamtes mit Kontakten zur rechtsradikalen Szene gegangen. Da musste Henkel erklären, warum Akten über diesen V-Mann nicht gleich an den NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestags geleitet worden waren. Als er sich auf eine Absprache mit dem Generalbundesanwalt berief, widersprach ihm der – und Henkel wirkte wie einer, der nicht herüberbringt und deutlich macht, dass er alles tut, um den Vorgang in seinem Behörde sofort aufzuklären. Das absurde daran: Die V-Mann-Affäre hatte ihren Ursprung lange vor Henkels Amtsantritt. Er musste sich also gar nicht für einen von ihm verantworteten Fehler rechtfertigen, sondern dafür, dass er kein Interesse an einer schnellen Aufklärung erkennen ließ.

Ähnlich liegen die Dinge jetzt. Verfassungsschützer vernichten Akten – wobei sich auch mancher Parteifreund Henkels an den Kopf wegen derart fortgeschrittener Instinktlosigkeit fasst. Henkel wird informiert und schafft es erneut, aus einem Fehler in seiner Verwaltung eine Kommunikationspanne zu machen, die sich zur Politaffäre auswächst. Das Gesetz der Serie ist ein teuflisches.

Inzwischen halten sie in der CDU die Lage für so ernst, dass das Problem auch einen Namen bekommen hat. Nein, nicht Bronchitis, auch nicht Stress oder Entkräftung, sondern Bernd Krömer. So heißt Henkels Innenstaatssekretär – der Mann, der dem Chef den Rücken frei halten soll und muss, wenn es Probleme in und mit dem eigenen Haus gibt. Mit Bedauern sagen Kenner der Regierungsbetriebs, die nicht der CDU angehören, Henkel habe niemanden in seiner Umgebung, der ihm entschieden Rat gebe, wenn Probleme aufbranden. Henkel habe nette junge Leute aus der Partei in um sich geschart, doch fehle ihm die Art von Berater, die auch mal deutlich widerspreche. Krömer sei dazu nicht geeignet. Der habe immer ein Problem damit gehabt, Probleme zu erkennen. In den vergangenen Wochen sei er durch „das ständige Herunterspielen von Themen aufgefallen.“

Es ist aber auch ein Kreuz mit der Innenverwaltung. Schon die Aufklärung dort, die Henkel sofort initiiert haben wollte, führte lange nirgendwo hin. Mitarbeiter meldeten sich krank, waren unerreichbar. So verstrich die Zeit. Krisenmahnungen breiteten sich aus. Wenn der Chef dann auch noch selber krank wird, hat er mehr als ein Problem.

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