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Öffentliche Anteilnahme. Vor dem Brandhaus in der Sonnenallee legten Nachbarn gestern Blumen nieder. Nicht jeder durfte sich dem Tatort nähern. Denn nach wie vor ermittelt die Kriminalpolizei, wer für den Anschlag verantwortlich ist.

© Paul Zinken

Update

Mitgefühl und Sorge: Kiez in Angst vor dem Brandstifter

Nach dem tödlichen Feuer in der Neuköllner Sonnenallee geht die Spurensuche weiter. Die drei aus Bosnien stammenden Opfer starben an Rauchvergiftung. Die Anwohner trauern - und fragen sich, wie sie sich schützen können.

Montagfrüh liegen Blumen vor dem Eingang des Hauses an der Sonnenallee. Rote Grablichter leuchten und drücken Mitgefühl aus. Sieben Polizisten sichern das Gebäude, in dem es gebrannt hat. Nur Hausbewohner dürfen hinein. Um zehn Uhr werden am heutigen Montagmorgen wieder die Brandermittler erwartet. Ein Nachbar sagt: "Ich werde jetzt für ein paar Euro selbst einen Brandmelder im Treppenhaus installieren." Dazu ein Polizist: "Besser wär's." Und dann weist er noch daraufhin, dass Brandmelder ja leider immer noch nicht Pflicht seien. Und der Nachbar erzählt, dass es bei ihm im Treppenhaus auch schon gebrannt habe.

In den Tagen danach wird manchem erst richtig bewusst, was geschehen ist: „Sie war so eine nette Frau – wir haben manchmal gequatscht“, sagt die Verkäuferin im Bäckerladen neben dem Haus Nummer 18 in der Sonnenallee. Sie spricht von der beim Brand am Samstagmorgen getöteten Mutter des ebenfalls ums Leben gekommenen Babys. Die Verkäuferin weint, sie hat wie viele andere Blumen vor das Haus gelegt. Das wird an diesem Sonntag streng bewacht, die Polizei lässt nur Menschen ein, die hier wohnen, die Ermittlungen laufen. Ergeben haben diese, dass jemand das Feuer an mehreren Stellen gelegt hatte. Neben einem Kinderwagen wurde auch abgestelltes Gerümpel angezündet. „Es gab mehrere Brandherde“, hieß es gestern. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Mordes und versuchten Mordes. Brandbeschleuniger wurde bislang nicht nachgewiesen. Da schnell ein Fenster vor Hitze platzte und zudem mehrere Mieter – offensichtlich auch die später Getöteten – die Wohnungstüren öffneten, entstand im Treppenhaus der gefürchtete Kamineffekt: Die Flammen breiteten sich schnell aus und fraßen sich in die beiden Erdgeschosswohnungen.

Die Feuerwehr warnt davor, bei Treppenhausbränden die Wohnungstüren zu öffnen. Die drei aus Bosnien stammenden Toten starben an Rauchvergiftung und wurden inzwischen identifiziert. Neben dem zehn Tage alten Jungen kamen dessen 26-jährige Mutter und deren Bruder (28) ums Leben. Mutter und Säugling waren nur zu Besuch, teilte die Polizei mit. Hinweise zum Täter gibt es bislang nicht, für Zeugen wurde ein Telefon geschaltet: 4664 910510.

Ein Mieter, der vor dem Haus in der Sonnenallee raucht, zittert am ganzen Körper: „Es musste so kommen“, sagt er. „Wie oft sitzen da Besoffene oder Bekiffte im Flur rum, und wenn man die anspricht, wird man noch bedroht. Hier kann doch jeder rein.“ Dass jeder in das Haus kann, erzählen alle. Selbst wenn die Tür verschlossen sei, werfe man sich eben mit der Schulter dagegen, sagt ein Mann und führt es am Nachbarhaus vor. Tatsächlich – die Tür gibt nach. Bei einem anderen Haus genügt eine Kreditkarte, bei einem weiteren ein Fußtritt. „Die Schlösser werden hier immer schnell demoliert“, sagt der Mann, dessen Zorn sich gegen die Hausverwaltung der Sonnenallee 18 richtet, der übrigens auch das Haus des Regierenden Bürgermeisters am Kurfürstendamm gehört.

„Brandstifter gehen den Weg des geringsten Widerstandes“, sagt ein Feuerwehrsprecher. „Sie brechen keine Türen auf, wenn sie ein paar Häuser weiter ohne Gewalt in einen Flur kommen.“ In Neukölln ist das jetzt häufig passiert. In der Weichselstraße beispielsweise. Auch im Haus Nummer 34 stehen Kinderwagen im Flur. „Wo sollen wir denn sonst damit hin?“, fragt eine junge Mutter, die vier kleine Kinder hat. Mittwochnacht glaubte sie zu träumen, als jemand „Feuer“ schrie. Es war kein Traum. „Wenn nicht zufällig eine Mieterin nach Hause gekommen wäre, wir hätten alle sterben können – genau wie die Menschen in der Sonnenallee“, sagt die Frau.

Auch in der Weichselstraße brannte ein Kinderwagen, auch hier lässt sich die Tür leicht öffnen, weil viele den Code kennen, den man dafür eingeben muss. „Wir haben die Hausverwaltung schon mehrfach aufgefordert, das zu ändern“, sagt eine andere Mieterin. „Hier leben 15 Kinder, viele haben sich nach dem Brand nicht mehr in den Hof getraut.“ Auch die Mütter haben Angst. Schließlich hat Mittwochnacht kurz vor dem Feuer in der Weichselstraße 34 im Haus Nummer 42 eine Mülltonne gebrannt. „Das muss doch ein kranker Serientäter sein“, sagt die Mieterin.

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