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Berlin: Nach dem Unfall weggerast – elf Tote im vergangenen Jahr

Autofahrer flüchten immer öfter: Auch 109 schwer und 339 leicht Verletzte wurden hilflos auf der Straße liegen gelassen

Die Sitten im Straßenverkehr verrohen immer mehr. Rapide steigt die Zahl von Autofahrern, die einfach flüchten, nachdem sie einen tödlichen Unfall verursacht haben. Zwei solche Fälle gab es 2002, im abgelaufenen Jahr waren es bereits elf. „Die Rücksichtslosigkeit nimmt zu“, sagt Oliver Hartwich von der Verkehrspolizei. Schon immer seien Autofahrer gerne bei kleinen Parkplatz-Remplern geflüchtet – statistisch macht sich jeder fünfte der 135000 Unfallverursacher aus dem Staub. Doch jetzt wird auch Gas gegeben, wenn Menschen schwer verletzt oder tot auf der Straße liegen.

„Den Leuten ist fast alles egal“, sagte ein Verkehrspolizist. „Das macht uns Sorgen“, bestätigt Oliver Hartwich aus dem Polizeipräsidium. Hartwich macht dort die Unfallstatistik. Und die sieht für das abgelaufene Jahr düster aus: 77 Menschen starben 2003 im Verkehr. Neben den tödlich Verletzten wurden in den Monaten Januar bis Oktober zudem 109 schwer und 339 leicht Verletzte hilflos auf der Straße zurückgelassen.

Bislang galt die Faustregel, dass Fluchten nach schweren Unfällen mit Todesopfern fast immer aufgeklärt werden. Doch das gilt 2003 nicht mehr: Nur sechs der elf Unfallfahrer wurden bislang geschnappt. Nicht ermittelt wurde zum Beispiel der Autofahrer, der am 17. Juni morgens gegen 6 Uhr eine 65-Jährige in der Tempo-30-Zone am Eschengraben in Pankow erfasste. Die betrunkene Frau war vermutlich auf der Straße gestürzt. Es wurden keine Lack- oder Farbsplitter gefunden – deshalb wird der Täter vermutlich nie ermittelt. Auch nach dem Pkw-Fahrer, der Peggy E. auf dem Gewissen hat, wird immer noch gefahndet, doch die Hoffnung ist auf ein Minimum gesunken. Die 29-jährige Radlerin war am 4. Oktober auf der Friedenstraße in Friedrichshain umgefahren worden. Die wenigen Lackspuren reichten nicht, um den Autotyp zu ermitteln. Erstmals in der Geschichte der Berliner Polizei wurde nach einem Unfall eine Belohnung ausgesetzt – das letzte Mittel, wenn die Ermittlungen stocken. Bislang vergeblich.

In der Regel führen Glas- oder Lacksplitter die Fahnder zum Täter. Beim Bundeskriminalamt sind 42000 Glasmuster archiviert – seit 1988 werden dort Scheiben, Blinker und Spiegel gesammelt, und zwar von jedem Autotyp in Europa. Etwa jede zweite Abfrage ist erfolgreich. Noch viel besser sind Lackvergleiche. Mit 90-prozentiger Wahrscheinlichkeit werden Hersteller, Baujahr und Typ herausgefunden. In der Datei sind fast 38000 Muster gespeichert – was für den Laien lediglich „dunkelrot“ ist, können Spezialisten beispielsweise einem VW-Polo, Baujahr 1995, montiert in Spanien, zuordnen. Mit dem Ergebnis der Abfrage wird der Computer im Kraftfahrtbundesamt gefüttert, und der druckt eine Liste aller zugelassenen Fahrzeuge aus. Die Besitzer bekommen dann Besuch von der Polizei.

Noch schneller klingelte die Polizei bei einem betrunkenen 20-Jährigen im Juni. Der Mann hatte Stunden zuvor im Pankower Ortsteil Buch einen Radfahrer tödlich verletzt. Seinen verbeulten Peugeot 206 stellte er direkt vor seiner Haustür ab – und fiel dort einer Funkstreife auf. Trunkenheit fördert die Neigung zur Fahrerflucht. Die vermutlich letzte Fahrerflucht des Jahres 2003 ist ein Beispiel: 20 Minuten vor dem Jahreswechsel raste ein Autofahrer gegen das Gebäude der Freiwilligen Feuerwehr Malchow in der Dorfstraße in Weißensee. Der 39-Jährige zog noch seinen schwer verletzten 38-jährigen Beifahrer aus dem Wrack und ließ den ebenfalls Betrunkenen dann liegen. Der verriet der Polizei den Namen des Fahrers. Nach ihm wird jetzt gefahndet.

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