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Im Foyer der IHK ging es locker zu. Neben Stühlen gab es auch Säcke zum Fläzen.

© Thomas Loy

Nachhaltigkeitsfestival der Berliner IHK: Biogas aus der Tonne und saubere Schuhpflege

Mehr als 1000 Entrepreneure und die Umweltsenatorin kamen ins IHK-Haus, um sich über Konzepte zum schonenden Umgang mit den Ressourcen auszutauschen.

Das Wort Nachhaltigkeit ist längst in Misskredit geraten – doch ein adäquater Ersatz wurde auch beim Nachhaltigkeitsfestival der Berliner Industrie- und Handelskammer (IHK) nicht gefunden. Immerhin folgten 1400 Unternehmer und Selbstständige der Einladung und sorgten am Donnerstag für viel Trubel und gute Stimmung im Foyer der Kammerzentrale in der Fasanenstraße.

„Faszinierend“, nannte der Ehrenpräsident der IHK, Alba-Chef Eric Schweitzer, die Resonanz. Schweitzer nutzte die Gelegenheit, eine Lanze fürs Mülltrennen, insbesondere die Biomüllsammlung zu brechen.

Würden alle organischen Abfälle wirklich nur in der dafür vorgesehenen Tonne landen („30 bis 40 Prozent Fehlwürfe“), könnte so viel Biogas erzeugt werden, dass 50 Prozent der Erdgasimporte aus Russland substituiert werden könnten. Alles eine Frage von nachhaltigem Verhalten im Alltag.

Prominenteste Rednerin war Umweltsenatorin Bettina Jarasch (Grüne). Mit Verve, fast schon trotzig, forderte sie, Nachhaltigkeit nicht länger auf der abstrakten Ebene zu diskutieren, sondern in die Wirklichkeit zu übertragen.

Dazu wolle die Politik den strukturellen Rahmen schaffen und konkrete Zielkonflikte zwischen Naturschutz und Energiegewinnung – Stichwort neue Windkraftanlagen – und zwischen Klimaschutz und Mieterschutz – Stichwort Energetische Sanierung – auflösen. Sie sei „wild entschlossen“, den „Kick“ des Ukraine-Krieges – so fürchterlich er auch ist – für den Ausbau der Erneuerbaren Energien zu nutzen.

Martha Marisa Wanat, Chefin der Bicicli Holding GmbH, auf dem Podium.

© Thomas Loy

Ihr Plädoyer für die Mobilitätswende – konkret gegen den Ausbau der Stadtautobahn und für weniger Autoverkehr in der Innenstadt – wurde mit viel Applaus aufgenommen.

Nachhaltigkeit scheint vor allem weiblich zu sein, sagte Jarasch zu Beginn ihrer Rede. Bis zu ihrem Auftritt hatten vor allem Frauen das Podium bespielt, vor allem der Nachhaltigkeitsrat der IHK, der eigentlich „Netzwerk für Unternehmensverantwortung“ heißt.

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Vier Unternehmerinnen wollen das Thema voranbringen, innerhalb und vor allem auch außerhalb der IHK: Antje Meyer von der Kommunikationsagentur orangeblue hat den Vorsitz übernommen. Wobei nachhaltig auch sozial und ökonomisch gedacht werden soll, denn ohne Mitarbeiter und stabile Umsätze hilft die Vermeidung von Kohlendioxid auch nicht weiter.

Berlin ist in der chemischen Forschung "spitze"

Das Podium zur Rolle der Berliner Unternehmen bei der Transformation der Wirtschaft brachte ganz unterschiedliche Akteure zusammen. Sandra Jost hat 2013 DexLeChem gegründet, das „grüne Chemie“ betreibt, also umweltschonende Verfahren zur Herstellung von Chemikalien austüftelt.

Auf dem Festival konnten Unternehmen ihre nachhaltigen Produkte vorstellen.

© Thomas Loy

Berlin sei in der chemischen Forschung spitze, sagte Jost, auch wenn hier vergleichsweise wenig chemische Industrie zu Hause sei. Die Chemieindustrie sei elementar für viele Produkte, arbeite bis heute aber vorwiegend mit fossilen Rohstoffen und fossiler Energie, obwohl es bessere Methoden gebe.

So werde Ammoniak in Deutschland immer noch nach einem fast hundert Jahre alten Verfahren hergestellt, das viel zu viel Energie verbrauche. Bei der Diskussion um die „Transformation“ der Industrie gehe es aber weniger um neue Verfahren, sagte Jost, sondern nur um den Ersatz von fossilen durch regenerative Energieträger. „Das ist hirnrissig.“ Nachhaltigkeit sei ein „Megathema“ und bedeute, aus einem großen Innovationspool zu schöpfen – „sie müssen in den Kern ihrer Wertschöpfung“.

Könnten gleich doppelt nachhaltig wirken: Werkswohnungen

Martha Marisa Wanat, Chefin der Bicicli Holding GmbH, berät Unternehmen, wie sie ihre Mobilität emissionsärmer gestalten können. Sie prophezeit eine „Rückkehr zu Werkswohnungen“, wie sie vor 100 Jahren gebaut wurden, etwa von Unternehmen wie Siemens. Auch damals ging es schon darum, die Mitarbeiter in der Nähe des Werkes anzusiedeln, um ihnen weite Wege zu ersparen. Heute nennt man das Vermeidung von Verkehren. Werkswohnungen könnten auch im härter werdenden Wettbewerb um Fachkräfte eine große Rolle spielen.

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In kleineren Formaten konnten viele Firmen ihre Projekte zur Nachhaltigkeit vorstellen, darunter auch die Weltfirma Amazon, die neben Google einer der ganz großen Anbieter von Cloud-Dienstleistungen ist.

Jonas Bürkel von Amazon Web Services (AWS) erklärte, dass die Verlagerung von Daten und Programmen in die Cloud schon eine erhebliche Energieeinsparung bedeute, weil die Rechenzentren der großen Internetfirmen viel effizienter arbeiten als die Server im eigenen Unternehmen. AWS biete darüber hinaus viele Programme und Best-Practise-Modelle, mit denen Unternehmen ihren Ressourcenverbrauch berechnen und optimieren können.

Cartier prüfte Berliner Hersteller auf Nachhaltigkeit

Auch Traditionsunternehmen wie die Berliner Salzenbrodt GmbH, gegründet 1909, mit ihrer Schuhpflegemarke Collonil kümmern sich längst um Nachhaltigkeit, wie Vertriebschef Carsten Gövert betonte. Von der Verpackung bis zu den Inhaltsstoffen seien die Pflegeprodukte umgestellt worden, das werde von den Kunden auch verlangt. So habe die Pariser Modefirma Cartier dem Unternehmen zwei Prüfer ins Haus geschickt, bevor Aufträge erteilt wurden.

Auch die Flughafen Berlin-Brandenburg GmbH arbeite inzwischen mit dem Unternehmen zusammen, um eine ökologisch verantwortbare Imprägnierung ihrer Steinböden zu erreichen. In diesem Fall führte das Thema Nachhaltigkeit sogar zu einem neuen Geschäftsfeld.

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