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Die U2-Station Mohrenstraße in Berlin-Mitte.

© Kitty Kleist-Heinrich

Namensstreit in Berlin: CDU-Politiker wollen Mohrenstraße umbenennen – aber nur den U-Bahnhof

CDU-Politiker aus Berlin-Mitte plädieren für eine sachliche Debatte zur Mohrenstraße – und einen inklusiven Umgang in einer Stadt voller historischer Brüche.

Vier Politiker aus dem CDU-Kreisverband Berlin-Mitte, ehemalige und aktive Mandatsträger, haben ein Positionspapier zur Namensdebatte um die Mohrenstraße und den U-Bahnhof Mohrenstraße verfasst. Die vier Unterzeichner sind der frühere Bezirksbürgermeister und Europaabgeordnete Joachim Zeller, der Abgeordnete und frühere Innensenator Frank Henkel, der Ex-Bundestagesabgeordnete Philipp Lengsfeld und der Bezirksverordnete Olaf Lemke. Wir veröffentlichen den Beitrag an dieser Stelle. 

Die BVG hat jetzt verkündet, die in der frühen Nachwendezeit „Mohrenstraße“ benannte U-Bahn-Station am Zietenplatz in Berlin-Mitte in „Glinkastraße“ umzubenennen. Das ist dann der fünfte U-Bahn-Stationsname seit der Eröffnung des Bahnhofs 1908 (Kaiserhof, Thälmannplatz und Otto-Grotewohl-Straße waren die früheren Varianten) – kein Ruhmesblatt für einen Berliner Verkehrsbetrieb, dessen Stationsnamen vor allem eine Orientierungshilfe für die Fahrgäste sein sollen:

Aber die Station befindet sich ja auch in historisch und politisch nicht ganz einfachem Umfeld (Anrainer an der Nordostecke ist zum Beispiel die Botschaft von Nordkorea). Eine Umbenennung des U-Bahnhofs kann man machen, es korrigiert wahrscheinlich auch einen Fehler aus den hektischen frühen Neunziger Nachmauerfalljahren.

Aber es sollte keinen Automatismus für die Umbenennung der namensgebenden „Mohrenstraße“ geben, die seit mehr als 300 Jahren unverändert diese Bezeichnung im Herzen der Stadt trägt. Und vor allem sollte die Debatte sachlich geführt werden: Billige Überschriften, wie „Kein Halt für Rassisten“ im betreffenden Artikel im Tagesspiegel, sind da nicht hilfreich.

Manche reden nur noch von dem "M-Wort"

Über den Ursprung, den Grund für die Benennung der Straße als „Mohrenstraße“ gibt es einige Erklärungen – wirklich gesichert ist wohl keine. Aber eines scheint doch ziemlich wahrscheinlich, auch angesichts des Umfeldes: Dass nämlich die Benennung, wenn schon nicht als Ehrung so doch wenigstens als sachliche Bezeichnung für eine besonderes Ereignis erfolgt ist.

Leider wird heutzutage ex-post das glatte Gegenteil insinuiert oder gar diskussionslos postuliert. Die Diskussion um die Bezeichnung „Mohr“ wird dabei so emotionalisiert, sogar stigmatisiert, dass manche nur noch von dem „M-Wort“ reden: Damit wird jegliche kompromissorientierte Sachdebatte im Keim erstickt.

Wir wollen genau dies noch mal versuchen: Das Wort „Mohr“ wurde im Duden eindeutig definiert: „veraltet für dunkelhäutiger Afrikaner“, so verzeichnet es die 24. Auflage von 2006, die bei einem der Unterzeichnenden im Bücherschrank steht. Im Herkunftswörterbuch („Etymologie der deutschen Sprache“) findet man weiterhin (Duden 7, 2. Auflage 1997): „Die heute veraltete Bezeichnung für „dunkelhäutiger Mensch, Schwarzer“ geht zurück auf mittelhochdeutsch-althochdeutsch mor, das aus dem Lateinischen entlehnt ist: Maurus, „Bewohner Mauritaniens, dunkelhäutiger Nordafrikaner“.

Die beiden entscheidenden Punkte sind „veraltet“ und die sachliche Herleitung der Bezeichnung „Mohr“ vom Wortursprung Mauretanien und Maure. Und man muss sich die Situation im 16., 17., 18. Jahrhundert vor Augen führen: Wie viele schwarze Menschen werden Berlinerinnen und Berliner um 1700 wohl zu Gesicht bekommen haben? 

"Mohr" ist heute veraltet und rassistisch

Eine Delegation afrikanischer Stammesfürsten, die in Ehren beim preußischen König empfangen wurde und in der Straße residiert haben soll, scheint da eine nachvollziehbare Erklärung für eine Straßenbenennung. In diesem Falle wäre es übrigens eine klar als Ehrung zu wertende Benennung der betreffenden Straße nach diesem besonderen, exotischen, hochrangigen Besuch.

Aber auch das sagen wir natürlich deutlich: Die Bezeichnung „Mohr“ für einen schwarzen Menschen ist gemäß Duden „veraltet“ und ist natürlich, wenn sie heute tatsächlich jemand als Bezeichnung für eine Person of Color verwenden sollte, als beleidigend und rassistisch zu werten. Der aktuelle Duden, zum Beispiel in der Online-Ausgabe, sagt: „Veraltet, heute diskriminierend“.

An der U-Bahnhaltestelle Mohrenstraße hängt ein Plakat mit der Aufschrift "George-Floyd".
An der U-Bahnhaltestelle Mohrenstraße hängt ein Plakat mit der Aufschrift "George-Floyd".

© Kay Nietfeld/dpa

Aber rechtfertigt dies wirklich eine Stigmatisierung dieser historischen Bezeichnung zum Unwort? Wir denken nicht. Jedenfalls nicht mit historischem Kontext. Ist es nicht so, dass ein Teil deutscher und europäischer Kultur bei einer Tabuisierung des Wortes „Mohr“ nur sehr schwer verstanden werden kann?

Was machen wir mit Shakespeare’s Othello, dem „Mohr von Venedig“ (Untertitel des Stücks)? Wie soll man die Tragik des erfolgreichen, aber auf Grund seines Mohren-Exoten-Status am Hof unsicheren und deshalb für die Eifersuchtsintrigen seines geheimen Widersachers Jago empfänglichen schwarzen Mannes verstehen, der letztlich seine geliebte weiße Frau aus Eifersucht tötet und damit sein Leben verwirkt?

Oder was ist mit Schillers zweitem Stück, „Die Verschwörung des Fiesco zu Genua“? Es enthält die Figur des „Mohren von Tunis“, Muley Hassan. Eine zentrale Figur im Stück, negativ-tragisch: Der Mohr, der im Intrigenspiel munter die Seiten wechselt und der den bitter-berühmten, bekanntestes Satz des Stückes spricht (zu sich und dem Publikum) und zwar in Reflexion seiner eigenen schwierigen, eigentlich aussichtslosen Außenseiterposition: „Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan, der Mohr kann gehen“?

Die Geschichte von den schwarzen Buben

Und was ist mit einem momentan eher wenig beachteten Stück aus dem berühmten „Struwwelpeter“? Der ist zwar pädagogisch wegen seiner drastischen Ausdrucksweise heutzutage umstritten, seine Geschichten haben aber unstreitig einen klaren pädagogischen Impetus: Was ist selbiger Impetus bei der „Geschichte von den schwarzen Buben“? Lassen wir Heinrich Hoffmanns Text direkt sprechen:

„Es ging spazieren vor dem Tor
ein kohlpechrabenschwarzer Mohr
Die Sonne schien ihm aufs Gehirn,
Da nahm er seinen Sonnenschirm.“

In dieser friedlichen Szene tauchen drei weiße Rabauken, Ludwig, Kaspar, Wilhelm, auf und fangen an, den schwarzen Jungen zu ärgern: 

„Die schrien’n und lachten alle drei,
Als dort das Mohrchen ging vorbei,
Weil es so schwarz wie Tinte sei!“. 

Klassisches, vorurteilsbehaftetes Mobbing – rassistisch gab es damals als Bezeichnung eher noch nicht. Aber das Verhalten der weißen Jungen wird von Hoffmann in Gestalt des großen Nikolaus – der heilige Mann, der zu Weihnachten traditionell das Verhalten der Kinder bewertet – streng getadelt. Auftritt Nikolas: 

„Da kam der große Nikolas
Mit seinem großen Tintenfaß
Der sprach: „Ihr Kinder, hört mir zu
Und lasst den Mohren hübsch in Ruh‘!
Was kann denn dieser Mohr dafür,
Daß er so weiß nicht ist, wie ihr?“. 

Eine durchaus noch immer vollkommen berechtigte, moderne, inklusive, anti-rassistische Argumentation. Aber: 

„Die Buben aber folgten nicht
Und lachten ihm ins Angesicht
Und lachten ärger als zuvor
Über den armen schwarzen Mohr“

Da wird Nikolas sehr wütend und tunkt die weißen Buben zur Bestrafung und Belehrung ins Tintenfaß. Und so endet dieser erste anti-rassistische deutsche pädagogische Klassiker mit der klaren Ansage an die drei weißen Jungen:

„Du siehst sie hier, wie schwarz sie sind,
Viel schwärzer als das Mohrenkind!
Der Mohr voraus im Sonnenschein,
Die Tintenbuben hinterdrein;
Und hätten sie nicht so gelacht,
Hätt‘ Niklas sie nicht schwarz gemacht.“

Klassiker der deutschen und europäischen Kultur sind ohne Nutzung und Verständnis der Bezeichnung „Mohr“ nicht zu verstehen.

Und auch dies wollen wir ansprechen, da parallel ja zum Beispiel eine Debatte um das Stadtwappen von Coburg entbrannt ist. Was hat es mit der Darstellung von Mohrenköpfen in Wappen oder an Apotheken auf sich? Auch hier gibt es einen sachlich-historischen Hintergrund, nämlich die Legenden vom Heiligen Mauritius, einer historischen Person, einem Offizier aus dem Oberägypten des dritten Jahrhunderts.

Mauritius, Maure, Mohr und Moritz

Mauritius war der Anführer der Thebäischen Legion, die Kaiser Maximilian (280-305) zur Christenverfolgung einsetzen wollte. Da sich die Soldaten aber weigerten, erlitten sie mit ihrem Anführer bei Agaunum (dem heutigen Saint Maurice im Wallis/Schweiz) zwischen 280 und 300 den Märtyrertod. 

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Und so wurde Mauritius zu einem hochverehrten christlichen Märtyrer, der ein Jahrhundert später heiliggesprochen wird. Die Abwandlung des Namen Mauritius (Namensursprung Maure/Mohr) ist als „Moritz“ im christlichen Abendland als Name und Bezeichnung weit verbreitet. Und als Stadtheiliger, wie im Falle von Coburg, wird Mauritius/der Mohr im Wappen dargestellt und geehrt. 

Der Namensstreit über die Mohrenstraße 

Auch hier kann und muss man vielleicht die historische, sehr klischeehafte Mohrendarstellung des Heiligen Mauritius in den Wappen diskutieren, aber ohne Emotionalisierung und Skandalisierung. Und man kann (wir denken sogar sollte) diese Darstellung in Wappen auch modernisieren, wenn zum Beispiel in Coburg oder Bayern so entschieden wird. 

Durch die Legenden rund um den Heiligen Mauritius ist auch die Verbindung zu deutschen Apotheken erklärt: Dem Heiligen Mauritius wurden große medizinische Fähigkeiten nachgesagt, die sich dann als Bezeichnung für Apotheken (Zum Mohren) niederschlugen – ein religiöser, christlicher, ganz sicher kein bewusst rassistischer Hintergrund, selbst wenn die klischeehaften Darstellungen des Mohren Mauritius heute ungewöhnlich und aus der Zeit gefallen wirken (aber man muss hier immer den historischen Kontext beachten).

Was bedeutet dies alles für die Diskussion heute? Die historische Bezeichnung „Mohr“ ist veraltet, historisch überholt und darf in heutigen Zeiten, wo schwarze Menschen keine Exoten sind, weder in Berlin noch an jedem anderen normalen Ort der Welt, sicher nicht verwendet werden. Da sind wir uns einig. 

Es fehlt der Kontext

Die Bezeichnung „Mohr“ oder auch die historische Darstellung des Heiligen Mauritius als Mohrenkopf sind deshalb zu kontextualisieren und gut zu erklären. Auf dem U-Bahn-Plan von Berlin ist dies nicht gut möglich. Und der Bahnhof auf dem ehemaligen Wilhelmplatz erhält mit „Glinkastraße“ die für Touristen und Gäste viel genauere Ortsbezeichnung (die Mohrenstraße geht am U-Bahnhof „Stadtmitte“ vorbei bis fast zum Bahnhof „Hausvogteiplatz“). Eine Vereinfachung, Emotionalisierung tut aber auch einer Debatte um die Bezeichnung eines U-Bahnhofs nicht gut – diese Lektion lernt die BVG gerade.

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An der eigentlichen, 300-jährigen „Mohrenstraße“ in Mitte ist eine Kontextualisierung dagegen gut möglich. Mit der von der Bezirksverordnetenversammlung Mitte angestoßenen Erklärungstafel für den Namen „Mohrenstraße“ auf dem Zietenplatz, einer richtigen und begrüßenswerten Initiative, sollte es aus unserer Sicht deshalb getan sein – eine Umbenennung der Straße, insbesondere wenn der Name nicht mehr prominent im U-Bahnsystem auftaucht, scheint nicht notwendig.

In jedem Falle sollte die Diskussion darüber aber sachlich erfolgen. Das Thema eines respektvollen und inklusiven Umgangs in unserer multikulturellen Metropole voller historischer Brüche und Symbolismen ist zu wichtig.

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