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Sorgt sich um die Berliner SPD: Björn Böhning, ehemals Chef der Senatskanzlei, nun Staatssekretär im Bundesministerium für Arbeit und Soziales.

© Jörg Carstensen/dpa

Berliner Sozialdemokraten: Parteiinterne Kritiker: "Die SPD hat keine klare Linie mehr"

Zwei Wochen vor den Vorstandswahlen veröffentlichen sieben Berliner Genossen ein kritisches Papier gegen den aktuellen SPD-Kurs.

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

In einem Aufruf an die Genossen setzt sich eine Gruppe von Berliner SPD-Mitgliedern sehr kritisch mit der Politik der Sozialdemokraten in der Hauptstadt auseinander. Die Landes-SPD habe den Anspruch, führende politische Kraft in der Stadt zu sein, heißt es in dem Papier. „Wir müssen aber eingestehen, dass dieser Anspruch hohl geworden ist.“ Davon zeugten nicht nur die Wahlergebnisse in den letzten beiden Jahren. „Das Grundproblem der SPD ist, dass sie keine klare Linie mehr hat, die ihr Tun beschreibt.“ Viel zu häufig verliere sich die Partei „im Kleinklein einer tristen Verwaltungslogik oder in blumigen Worthülsen“.

Zu den Autoren gehört der Ex-Chef der Senatskanzlei, Björn Böhning, jetzt Staatssekretär im Bundesministerium für Arbeit und Soziales, sowie der Berliner SPD-Abgeordnete Sven Kohlmeier, der vor einigen Monaten in einem Brandbrief den Rücktritt des Regierenden Bürgermeisters und SPD-Landeschefs Michael Müller gefordert hatte. Sieben Parteifreunde aus Neukölln, Friedrichshain-Kreuzberg, Reinickendorf, Lichtenberg, Neukölln, Marzahn-Hellersdorf und Tempelhof-Schöneberg haben den Text über die sozialen Netzwerke verbreitet. Eine Webseite (zukunft-spd-berlin.de) wurde angelegt. Die Kritiker kündigen an: „Wir laden demnächst zu einem Diskussionsforum ein.“

"Ehrlich sagen, was in Berlin los ist"

Die Autoren des Papiers fordern, dass wieder klar werde, wofür die SPD stehe und wofür sie kämpfe. „Dafür müssen wir den Mut haben, ehrlich zu sagen, was in Berlin los ist.“ Zuletzt sei es den Berliner Sozialdemokraten in den Anfangsjahren der Wowereit-Ära gelungen, der Entwicklung Berlins eine Richtung und den Berlinern eine klare Orientierung zu geben. Der „frische Wind“ habe vor 10 bis 15 Jahren eine Dynamik entfacht, die die Stadt stark verändert habe. Allerdings sei das Ende der Sparpolitik zu spät eingeleitet worden. Dies und die wirtschaftliche Dynamik, der Zuzug von Hunderttausenden und der Rückzug des Staates hätten zunehmend eine polarisierte Stadt hinterlassen.

Inzwischen fühlten sich viele Menschen „aus der politischen und öffentlichen Wahrnehmung“ ausgeschlossen, stellen die Kritiker fest. Alle Parteien hätten den Wunsch nach Stabilität und Verlässlichkeit unterschätzt. „Auch der SPD wird es nicht gelingen, durch ein Programm aus tausend Spiegelstrichen Orientierung zu geben.“ Im Gegenteil: In scheindemokratischen Parteitagszeremonien verströme die SPD mehr und mehr „den Charme der Berliner Bürokratie“. Es könne kein Trost sein, dass auch die anderen Parteien in Berlin über eine bestürzend geringe Integrationskraft verfügten und sich zunehmend in der Pflege ihrer Kleinstmilieus verlören. Selbst wenn Linke und Grüne mit dieser Taktik derzeit erfolgreich zu sein schienen, heißt es im Papier, wäre es fatal, wenn die Sozialdemokratie auf diesen Kurs einschwenkte.

Die Berliner SPD liegt in Umfragen derzeit bei 17 bis 18 Prozent. In zwei Wochen wählt der Landesverband auf einem Parteitag einen neuen Vorstand. Vor diesem Hintergrund gewinnt dieser Aufruf an Brisanz. Zwar hat Michael Müller derzeit keine Kampfkandidatur um den Landesvorsitz zu befürchten, aber sein Kurs gilt bei den Genossen als schwer nachvollziehbar und wenig erfolgreich. Die Autoren des Aufrufs fordern nun, dass die SPD einen eigenständigen Weg gehen und sich den Konflikten in der Stadt stellen müsse. Dabei müsse die Partei auch im Inneren lernen, inhaltliche Konflikte auszuhalten und personelle Konflikte zu beenden.

Damit ist wohl in erster Linie der Machtkampf zwischen Müller und SPD-Fraktionschef Raed Saleh gemeint. Die Themen, die angepackt werden müssten: ein Wohnungsbauprogramm, die Entlastung der Mittelschicht und der Kampf gegen Unsicherheit und Verrohung in der Stadt. Außerdem brauche Berlin eine Bildungsoffensive. „Wir brauchen den Mut, uns aufs Wesentliche zu konzentrieren.“

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