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Zeit ist Geld. Mit Hilfe der schnell zubereiteten Tempo-Erbse – ob als Suppe oder als Beilage – wollte die DDR-Führung den Energieverbrauch senken.

© Andreas Klaer

Peter Kretschmer: Der Vater der Tempo-Erbse ist tot

Peter Kretschmer, Potsdamer Getreideforscher, starb im Alter von 78 Jahren. Im Auftrag der DDR-Führung entwickelte er auch Cornflakes und Erdnuss-Flips – um Devisen zu sparen.

Ihren letzten großen Auftritt hatte die Tempo-Erbse im Kino. In „Good-bye Lenin“ gehörte sie zu den symbolträchtigen Gegenständen, die der Hauptfigur den Fortbestand der DDR suggerieren sollten. Großer Jubel bei den Ost-Zuschauern, Ratlosigkeit bei den Wessis: Was haben die da bloß mit diesen blöden Erbsen? Es gibt sie noch, die Tempo-Erbse, aber der Grund, an sie zu erinnern, ist ein anderer: Peter Kretschmer, der sie Anfang der Sechziger Jahre erfunden hat, ist in der vergangenen Woche im Alter von 78 Jahren gestorben, nach einem langen Berufsleben am Institut für Getreideforschung in Potsdam-Rehbrücke.

1961 hatte der junge Verfahrenstechniker und Chemielaborant dort eine Stelle angetreten, und seine erste Aufgabe war ebenso schlicht wie anspruchsvoll: Verkürzen Sie die Kochzeit von Trockenerbsen! Dabei ging es um viel. Denn die Auftraggeber wollten nicht nur der Hausfrau Zeit und Arbeit ersparen, sondern vor allem den Energieverbrauch von Großküchen senken. Kretschmer machte sich an die Arbeit, setzte ein Hochdruckverfahren zum Kochen ein, entwickelte eine Trocknungsmethode, und anderthalb Jahre und unzählige Versuche später stand das Ergebnis: Die Tempo-Erbse, die schon nach zehn Minuten Kochzeit gar war statt nach 45. Wie sie schmeckte, war weniger wichtig, Zeitzeugen sagen: oh je. Kretschmer aber hatte sich einen Namen gemacht und galt fortan als wichtige Kapazität im Kampf gegen Mangel und Engpässe. Die Tempo-Bohne folgte alsbald.

Erdnuss-Flips und Cornflakes nach Art des kapitalistischen Auslands

Immer, wenn die Republik vor einem Jubiläum stand, wurde der Druck von oben stärker. Zum 20. Jahrestag der DDR zum Beispiel wollte die Obrigkeit den Bürgern etwas Besonderes spendieren: Es erging der Auftrag nach Rehbrücke, Erdnuss-Flips und Cornflakes nach Art des kapitalistischen Auslands zu entwickeln, nur eben möglichst ohne kapitalistische Devisen. Eine ehemalige Mühle in Wurzen wurde zum Labor umgebaut. Kretschmer sah sich die Originale an, experimentierte eine Weile herum und schaffte es schließlich ohne West-Patente und West-Geräte, Maisbrei aufzublähen und mit Erdnussfett knusprig zu dragieren. Vorsichtig wurden erst 400 Tonnen in den Handel gebracht, aber wenig später stieg die Produktion auf 2000 Tonnen pro Jahr, immer noch viel zu wenig für den hungrigen Markt.

Fachmann. Peter Kretschmer kannte sich auch mit Brot bestens aus.

© Soeren Stache/dpa

Etwas schwieriger war die Sache mit den Cornflakes. Immer wieder kam bei den Experimenten nur ein matschiger Klumpen Maisbrei heraus, und das Ministerium war drauf und dran, in Holland für rund eine Million Gulden doch ein Patent zu kaufen. Doch Kretschmer gab nicht auf und fand schließlich einen Dreh: 1969 kamen die Cornflakes, die auch tatsächlich so heißen durften, auf die Frühstückstische der DDR.

Viele andere Getreideprodukte, die heute als „kultig“ gelten, wurden zumindest unter Kretschmers Mitarbeit entwickelt: Kuko-(Kurzkoch-)Reis, Combo-Kakao, Burger Knäcke und Kindernährgrieß. Vieles davon ist auch heute noch zu haben, zumindest unter dem alten Markennamen, aber kaum noch mit der aus der Not geborenen Rezeptur.

Doch er hielt durch

Nach der Wende musste Kretschmer das Fach wechseln und wurde zum Manager. Denn das Institut war der Treuhand zugefallen, und die Belegschaft wählte sich denjenigen zum Chef, dem sie das breiteste Kreuz zutraute. Kretschmer hatte fortan nicht mehr mit Getreide, sondern mit Forschungskonzepten zu tun, erfand statt neuer Knabbereien neue Aufgaben für sein Haus, rang ausdauernd mit dem Wissenschaftsrat und der Treuhand und schaffte es schließlich, die drohende Abwicklung abzuwenden, indem er mit zwei Kollegen einen wenig vorteilhaften Kaufvertrag unterschrieb – die Treuhand hatte anderes mit dem Gelände vor.

Doch er hielt durch. Heute firmiert das Haus es als „Institut für Getreideverarbeitung“, ein Name, der eher als historische Reverenz zu sehen ist. Denn die Forscher arbeiten dort beispielsweise an Mikroalgen, gewannen einen Preis für innovative Eiweißflocken mit Erbsenprotein und stellen auch eine eigene Kosmetiklinie her; nur eine Ausbildungsstätte für das Bäckerhandwerk erinnert noch an die Anfänge. Peter Kretschmer hatte sich erst vor gut zwei Jahren zur Ruhe gesetzt.

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