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Autorin Wlada Kolosowa im Treptower Park

© Mario Heller/Tagesspiegel

Wlada Kolosowas Berlin-Roman „Der Hausmann“: Plötzlich am Stadtrand – und in den Problemen der Nachbarn

Wlada Kolosowa schreibt in ihrem Roman „Der Hausmann“ über einen gezwungenen Umzug – und über das Potpourri persönlicher Probleme, das in einer Nachbarschaft aufeinander prallen kann. 

Theas Mutter hatte eine Putzfrau, Tims Mutter war eine. So ungefähr lässt sich die Ausgangssituation beschreiben, in der zwei Menschen versuchen, das Chaos ihres Beziehungsalltags zu meistern. 

In Wlada Kolosowas Roman „Der Hausmann“ bilden Tim und Thea einen von vier Erzählsträngen: Sie, Langzeitstudentin, Anwaltstochter, bekommt zu Beginn der Erzählung eine neue Stelle in einem Startup für veganes Hundefutter. Er, arbeitsloser Illustrator aus ärmeren Verhältnissen, ist plötzlich – der Titel deutet es an – Hausmann. 

Nachdem ihre Wohnung im hippen Kiez am Neuköllner Maybachufer gekündigt wurde, stranden die beiden irgendwo außerhalb des S-Bahn-Ringes, in einem völlig anderen Mikrokosmos und inmitten neuer Nachbar:innen. 

Dort prallt die Geschichte rund um Verdrängung, Gentrifizierung und urbanes Hipstertum, die ja stets auch eine gewisse Romantik in sich trägt, auf die harte Realität: Auf eine Nachbarschaft zwischen Altersarmut, Drogenhandel, Arbeitslosigkeit, Gewalterfahrungen und weggeschnippten Kippenresten. Das unterbricht immer mal wieder den Lesefluss – wie eben auch das echte Leben nicht ohne Chaos auskommt. Unterhaltsam ist es aber allemal.

Da ist etwa der 19-jährige arbeitslose Maxim, der schon vor 2018 vor dem Krieg in der Ost-Ukraine geflüchtet ist und dem Tim jetzt mehr oder weniger freiwillig Deutschunterricht gibt. Und die 80-jährige Nachbarin Frau Birkenberg, die kürzlich das Internet für sich entdeckt hat und nun in einem Blog mehr oder weniger legale Spartipps gibt. Die beiden bilden zwei weitere Erzählstränge. 

Cover von Wlada Kolosowas Roman „Der Hausmann“, 
Cover von Wlada Kolosowas Roman „Der Hausmann“, 

© Leykam Verlag

[Wlada Kolosowa: Der Hausmann. Roman. Mit Illustrationen von Raúl Soria, Leykam Verlag, Graz 2022. 320 Seiten, 24 Euro] 

Kolosowa vermischt die Perspektive Tims als Ich-Erzähler mit Chat-Protokollen von Thea, Auszügen aus Tims unvollendeter Graphic Novel – illustriert von Raùl Soria – über den Klimawandel, Frau Birkenbergs Spartipps und Maxims deutschem Tagebuch. Ins Rollen kommt die Geschichte, als plötzlich ein Mann an Tims Tür klingelt und ihm unvermittelt ins Gesicht schlägt – und Tim sich plötzlich in Drogenkonflikte verwickelt sieht.

Wlada Kolosowa arbeitet als Journalistin und hat mehrere Sachbücher geschrieben, etwa über ihr Verhältnis zu ihrem Heimatland Russland. „Der Hausmann“ ist ihr zweiter Roman und gleichzeitig eine Art Experiment: „Ich hatte Lust auf ein Buch, das unterschiedliche Formate miteinander mixt“, erzählt sie. 

Reale Vorbilder gibt es nicht - und doch kommen einem die Charaktere bekannt vor

Kolosowa beschreibt ihre Herangehensweise als journalistische Recherche – auch wenn dann am Ende, wie bei „Der Hausmann“, eine fiktive Erzählung steht. „Ich fahre oft an Orte und bitte Leute, mir bestimmte Dinge zu erklären, die für das Buch brauchbar sein könnten“, sagt sie.  Reale Vorbilder für die vier Protagonist:innen des Buches gebe es nicht. Und doch wird man beim Lesen an Menschen erinnert, die einem so oder so ähnlich schon mehrfach in Berlin begegnet sind. „Ich fühle mich allgemein hingezogen zu unterschiedlichen Charakteren, die durch äußere Umstände dazu gezwungen werden, miteinander zu interagieren“, sagt Wlada Kolosowa. 

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Dabei verarbeite sie, auch unbewusst, eigene Lebenserfahrungen und Anekdoten. „Vielleicht spiegelt das auch ein bisschen die Sehnsucht danach wieder, aus der eigenen Bubble einmal auszubrechen“, sagt sie.

Geboren in St. Petersburg kam Kolosowa mit zwölf Jahren nach Deutschland. Wie es sich anfühlt, wie Tim und Frau Birkenberg in prekären Bedingungen und mit wenig Geld zu leben, kennt sie aus eigener Erfahrung. Wie Maxim weiß sie, wie es ist, irgendwo anzukommen und erst die neuen Spielregeln lernen zu müssen  – auch wenn man ihre persönliche Migration mit Maxims Flucht nicht vergleichen könne, betont sie. 

Eine feministische Erzählung des Klassenkampfes

„Der Hausmann“ liest sich wie eine moderne Erzählung des Klassenkampfes, mit feministischem Touch: Hier ist Thea diejenige, die das Geld – das ihres Vaters und auch ihr eigenes – nach Hause bringt. Aber es ist auch Thea, die am Ende vom Strudel des Kapitalismus mitgerissen wird, dem sie auch im Berliner Außenbezirk nicht entgehen kann.

„Theas Problem war: Sie wollte eine Arbeit, die als prekär galt, aber nicht prekär war. Die Welt verbessern, aber ohne zermürbende Diskussionen in Vollversammlungen. Sie wäre gerne Künstlerin, aber ohne arm zu sein. Manchmal hatte ich den Verdacht, sie wollte einfach einen Job, der auf Twitter gut neben ihrem Namen aussah“, bringt Kolosowa ein Gefühl auf den Punkt, das wohl viele junge Berliner:innen teilen. 

Um Klassenunterschiede geht es aber auch in den übrigen Erzählsträngen: Etwa wenn Frau Birkenberg Regenschirme in der Bibliothek und Seife auf öffentlichen Toiletten mitgehen lässt, um irgendwie mit ein bisschen Würde über die Runden zu kommen. Eine unerwartete Aktualität bekommt dann die Geschichte des Ukrainers Maxim. „Die Geschichte spielt 2018, da war der Krieg in der Ukraine gerade ein bisschen in Vergessenheit geraten“, erzählt Kolosowa. Dass ihr Buch nun gewissermaßen von der Realität überholt wurde, sei „natürlich schon krass“, sagt Kolosowa. 

Plötzlich sah sie sich mit der Frage konfrontiert: Ist das ihr Krieg, den sie da erzählt? Müssten nicht eigentlich ukrainische Autor:innen nun die Aufmerksamkeit bekommen? Sie sei dann zu dem Schluss gekommen: Heute ist es genauso wichtig wie 2018, dass der Krieg Aufmerksamkeit bekommt. Aber eben auch, dass die sozialen Probleme, die wir in Deutschland haben, nicht vergessen werden – und die ganz einfach in einem Haus in einer Berliner Nachbarschaft aufeinander prallen können. 

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