zum Hauptinhalt
SPD und Union wenden sich gegen die Diskriminierung von Homo- und Transsexuellen - wie, wird nicht verraten.

© picture alliance / dpa

Kritik von Grünen und LSVD: "Koalitionsvertrag ohne Lesben und Schwule"

20 von 8355 Zeilen: Im Koalitionsvertrag von SPD und Union kommt das Thema Gleichstellung von Homo- und Transsexuellen kaum vor. Die Grünen kritisieren "konservative Allergien" bei LGBT-Fragen.

177 Seiten umfasst der Koalitionsvertrag von Union und SPD, auf 8355 Zeilen führen die Parteien oft bis in Detail aus, was sie in den kommenden vier Jahren umsetzen wollen. Selbst der Weidetierhaltung ist ein ganzer Absatz gewidmet. Bei der Gleichstellung von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transsexuellen fassen sich die Koalitionäre indes kurz. 20 Zeilen sind dem Thema LGBT gewidmet - wobei Worte wie "lesbisch", "schwul" oder "Regenbogenfamilie" erst gar nicht fallen. Insgesamt bleiben die Aussagen - anders als bei den meisten Themen - eher vage, konkrete Vorhaben werden nicht genannt.

So heißt es in dem Papier unter dem Punkt "Familie": "Wir respektieren geschlechtliche Vielfalt. Alle Menschen sollen unabhängig von ihrer sexuellen Identität frei und sicher leben können – mit gleichen Rechten und Pflichten. Homosexuellen- und Transfeindlichkeit verurteilen wir und wirken jeder Diskriminierung entgegen. Wir werden die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts hierzu umsetzen. Wir werden gesetzlich klarstellen, dass geschlechtsangleichende medizinische Eingriffe an Kindern nur in unaufschiebbaren Fällen und zur Abwendung von Lebensgefahr zulässig sind."

Es bleibt unklar, wie Diskriminierung bekämpft werden soll

Wie genau Diskriminierung entgegen gewirkt werden soll, bleibt indes offen - etwa, ob es endlich zu einem Nationalen Aktionsplan gegen Homo- und Transphobie kommt, der seit langem zum Beispiel vom Lesben- und Schwulenverbands Deutschland (LSVD) gefordert wird und den sich die Große Koalition eigentlich schon in der vergangenen Legislaturperiode vorgenommen hatte. Mit den umzusetzenden "Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts" dürfte die Einführung eines dritten Geschlechts im Personenstand gemeint sein, was Karlsruhe in einem aufsehenerregenden Urteil im Herbst nach der Klage eines intersexuellen Menschen gefordert hatte. Eine genaue Ausgestaltung hatte Karlsruhe aber offen gehalten. So bleibt abzuwarten, ob Union und SPD die Gelegenheit nutzen, auch gleich das Transsexuellengesetz zu überarbeiten. Transverbände setzen sich hier für die Abschaffung der Gutachterpflicht bei der Änderung des Personenstandes ein.

Eine zweite kurze Passage zu LGBT-Themen findet sich im Kapitel "Modernes Recht für eine moderne Gesellschaft". Unter der Überschrift "Gleichberechtigung und Vielfalt" versprechen Union und SPD, "die erforderlichen Anpassungen und Ergänzungen, die sich durch die Öffnung der Ehe für Personen gleichen Geschlechts ergeben, zügig vorzunehmen". Erneut wird ausgeführt, Menschen sollten "unabhängig von ihrer sexuellen Identität frei und sicher leben können – mit gleichen Rechten und Pflichten". Zudem wird der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld zugesichert, dass ihre institutionelle Förderung erhalten bleibt.

Lesbische Frauen bleiben benachteiligt

Unklar bleibt, ob eine an anderer Stelle versprochene Änderung des Abstammungsrechtes auch auf Regenbogenfamilien bezogen ist. Aktuell sind lesbische Frauen benachteiligt: Auch nach der Einführung der Ehe für alle müssen sie ein neu geborenes Kind der Partnerin erst noch als Stiefkind adoptieren.

Ulle Schauws und Sven Lehmann, queerpolitische Sprecherin und Sprecher der Grünen im Bundestag, sprachen von einer "großen Enttäuschung": "Konservative Allergien aus dem Sondierungsgesprächen setzt sich fort: Lesben, Schwule, Bi-, Trans* und Intersexuelle werden mit keinem einzigen Wort erwähnt, Homo- bzw. Transfeindlichkeit wird ausgeblendet, Regenbogenfamilien verdienen nicht einmal Erwähnung." Die einzige gute Nachricht sei, dass die CSU ihre "Schnapsidee einer Klage in Karlsruhe gegen die Ehe für alle" offenbar aufgegeben habe. Selbst die Anpassungen im Abstammungsrecht wollten Union und SPD lediglich prüfen: "Das ist keine Lösung, sondern nur ein Aufschub in weitere Arbeitsgruppen und letztlich weitere Jahre Stillstand."

Der LSVD kritisierte "enttäuschende 180 Seiten ohne klare Vereinbarungen". Die Erfahrung aus Koalitionen mit der Union würden zeigen, dass es konkreter Festschreibungen im Koalitionsvertrag bedürfe, um Fortschritte in diesem Bereich zu erreichen. "Unklare Versprechen" würden da nicht weiterhelfen.

Verbände hoffen dennoch auf Reform des Transsexuellengesetzes

"Vorsichtig optimistisch" äußerte sich dagegen der Bundesverband Trans*. Zwar enthalte der Koalitionsvertrag nicht die gewünschten konkreten Vereinbarungen. "Wir sind trotzdem optimistisch, dass die längst überfällige Reform des Transsexuellengesetzes noch in diesem Jahr umgesetzt wird", erklärte Vorstand Mari Günther. Deutschland sei in der Gesetzgebung zu transgeschlechtlichen Menschen inzwischen "unglaublich rückständig".

Der Punkt "Gleichberechtigung und Vielfalt" schließt im Koalitionsvertrag mit dem etwas kryptischen Satz: "Illegale Paralleljustiz werden wir nicht dulden." Was genau damit gemeint sein könnte - und wie und ob die anderen Punkte mit Leben gefüllt werden sollen - war nicht zu erfahren. Johannes Kahrs, der queerpolitische Sprecher der SPD, und Stefan Kaufmann, der für die CDU bei dem Thema mit zuständig ist, äußerten sich auf entsprechende Anfragen bislang nicht.

Mehr LGBTI-Themen finden Sie auf dem Queerspiegel, dem queeren Blog des Tagesspiegels. Folgen Sie dem Queerspiegel auf Twitter:

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false