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Canisius-Kolleg: Reden über Missbrauch

Zum Reformationstag predigt Klaus Mertes, der Leiter des katholischen Canisius-Kollegs, über Luther, das Schweigen - und über die Missbrauchsfälle an der eigenen Schule.

Reformationstag: Ein Einzelner protestiert gegen das System, von dem er doch ein Teil ist, und nagelt 95 Thesen an die Tür der Schlosskirche in Wittenberg. Was für eine Geschichte! Natürlich ist die St.-Thomas-Kirche am Kreuzberger Mariannenplatz an diesem Sonntag bis auf den letzten Platz besetzt. Doch nicht nur wegen des Reformationstages sind die Gläubigen gekommen, sondern auch wegen des Predigers. Der ist nämlich Katholik, und nicht irgendeiner, sondern der Jesuit Klaus Mertes, Leiter des Canisius- Kollegs. Welche Symbolik: Ökumene gerade an diesem Ort, der im 19. Jahrhundert mit 150 000 Mitgliedern die größte protestantische Gemeinde weltweit stellte, von der heute noch 1500, also ein Prozent, übrig sind. Passend dazu singt der Chor der 2006 gegründeten Ökumenischen Seniorenkantorei unter Leitung von Michael Witt.

Mertes spricht frei, ohne Manuskript, dafür mit viel fast jugendlichem Pathos in der Stimme. Kernbegriff seiner Predigt ist „Schweigen“. Luther habe nicht länger schweigen wollen, er habe gespürt – wie übrigens die Jesuiten der ersten Generation auch, so Mertes – dass etwas nicht in Ordnung ist, dass die Kirche verdinglicht und einen Anti-Gott verehrt. Schweigen gebiert Monster, und da hat Mertes auch schon die Brücke zur Gegenwart geschlagen, denn natürlich spricht er auch über die Missbrauchsfälle an seiner eigenen Schule, über die Folgen des Schweigens in den Familien und der Gesellschaft. „Das pflanzt sich fort“, sagt er. „Schließlich schweigt man über das Schweigen.“ Hier aufzubegehren, auch wenn es die Trennung vom eigenen System zur Folge habe, sei wahre Loyalität, denn irgendwann würden die Wege wieder zusammenführen: „Der Weg zur Versöhnung muss über die Spaltung führen. Das ist die Lehre aus der Geschichte der Christenheit der letzten 400 Jahre.“ Wie so eine Versöhnung konkret aussehen kann, das sagt er natürlich nicht. Man könnte damit beginnen, die Geschichte der Gegenseite gründlicher zu studieren. Denn die Reformation ist nicht 400, sondern fast 500 Jahre her. Udo Badelt

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