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Brandbrief an Zöllner: Vergleichstests: Grundschullehrer drohen mit Boykott

Mehr als 1000 Berliner Grundschullehrer haben wegen der schwierigen Situation an ihren Schulen einen weiteren Brandbrief verfasst. Das Schreiben an Bildungssenator Zöllner richtet sich gegen die umstrittenen Vergleichsarbeiten in den dritten Klassen.

Berlin - Es beteiligten sich Lehrer von mehr als 50 Grundschulen. Das Protestschreiben der Initiative „Grundschulen im sozialen Brennpunkt“ an Bildungssenator Jürgen Zöllner (SPD) richtet sich gegen die umstrittenen Vergleichsarbeiten in den dritten Klassen. Es sei eine „Form der Diskriminierung“, wenn Kinder aus sozialen Brennpunkten die Aufgaben lösen müssten, die für Schüler „normal geförderter Mittelstandsfamilien“ konzipiert seien. In den drei bundesweiten Vergleichstests wird seit 2007 Rechtschreibung, Mathematik und Lesen geprüft.

In dem Brief heißt es, Schüler seien oft außerstande, Fragen der Deutscharbeiten zu durchdringen, und auch die meisten Mathematikaufgaben seien „nicht lösbar“, weil die Kinder die dazugehörigen Texte nicht verstünden. Die nächsten Arbeiten sind für Ende April bis Anfang Mai geplant. Nach Tagesspiegel-Informationen wird in Kreisen der Grundschullehrer diskutiert, die Tests zu boykottieren. Unter ihren Schülern stammen 70 bis über 90 Prozent der Kinder aus Einwandererfamilien, viele der Schulen liegen in sogenannten Problemkiezen. Nachdem 2006 das Kollegium der Rütli-Schule im sozial schwachen Norden des Berliner Bezirks Neukölln in einem Schreiben an den Senat wegen der katastrophalen Zuständen in der Einrichtung die Abschaffung der Hauptschulen gefordert hatte, richteten sich auch Lehrer anderer Schulen mit Brandbriefen an die Politik.

Im aktuellen Schreiben fordern die Unterzeichner kleinere Klassen, zusätzliche Deutsch-Förderstunden, mehr Sozialarbeiter und weitere Pädagogen mit Migrationshintergrund. Solange die personelle Ausstattung an Brennpunktschulen nicht besser werde, ergäben Vergleichsarbeiten, in denen ihre Schüler schlecht abschnitten, keinen Sinn.

„Es gibt bei Lehrern und Experten seit Jahren erheblichen Unwillen gegen diese Tests“, sagte Horst Bartnitzky, Bundesvorsitzender des Grundschulverbandes, dem Tagesspiegel. Die Tests ergäben für gute Lehrer „wenig Erhellendes“, meist wüssten die Kollegen vor Ort ohnehin schon, wie ihre Schüler abschneiden. „Es wird suggeriert, man könne durch solche Einheitsarbeiten alle Schüler in allen Klassen und Bundesländern korrekt vergleichen“, sagte Bartnitzky. Dabei blende der Test erschwerte Lernbedingungen an den verschiedenen Schulen völlig aus. Außerdem hätten die Vergleichsarbeiten inzwischen dazu geführt, dass einige Lehrer ihren Schülern in Einzelfällen bei der Bewältigung der Aufgaben helfen würden, was die Aussagekraft der Ergebnisse verwässere. Alle rund 500 000 Drittklässler in Deutschland würden jedes Jahr mit den Vergleichsarbeiten getestet. Dass Einwanderer- und Arbeiterkinder schlechter abschnitten als Schüler aus der Mittelschicht sei nicht nur Folge der Testkonzeption, sondern auch der hierzulande „enormen sozialen Unterschiede und Startbedingungen“, sagte Bartnitzky. Knapp 11 000 Pädagogen gehören dem Grundschulverband an.

Ulrich Thöne, Chef der Bildungsgewerkschaft GEW, sagte dem Tagesspiegel: Die Arbeiten seien „ein vollkommen ungeeignetes Instrument, die Probleme von Schulen in sozialen Brennpunkten zu lösen“. Auch Lehrer aus Nordrhein-Westfalen, Bremen und Schleswig-Holstein kritisierten die Tests. Dort hätte man sich zwar nicht mit Brandbriefen gewehrt, hieß es, lehne sie aber ab.

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