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Lieber mal offline. Smartphones und Tablets sind nicht nur Zeitfresser, sie können auch süchtig und sogar depressiv machen

© imago/Panthermedia

Orientierungslosigkeit nach dem Abitur: Raus aus dem Chillmodus

Ulrike Bartholomäus hat ein Buch über planlose Jugend geschrieben. Ein Interview über Selbstzweifler, Nesthocker und Eltern, die alles nur schlimmer machen.

Von Aleksandra Lebedowicz

Der Übergang von der Schule in Ausbildung und Studium verläuft heutzutage nicht mehr reibungslos. In vielen Familien spielen sich wahre Dramen ab. Wissenschaftsjournalistin und Autorin Ulrike Bartholomäus, 54, ging der Sache auf den Grund und sprach für ihr neues Buch mit Jugendlichen, Eltern und Experten. „Wozu nach den Sternen greifen, wenn man auch chillen kann?“ ist im Berlin Verlag erschienen und kostet 16,99 €.

Frau Bartholomäus, in Ihrem Buch über die Orientierungslosigkeit nach der Schule vergleichen Sie Heranwachsende mit Schneeleoparden. Wie kommen Sie darauf?
Es ist schwierig, mit ihnen ins Gespräch zu kommen, denn sie geben ihr wahres Innenleben ungern preis. Wann immer man versucht, an sie heranzukommen, machen sie sich aus dem Staub und melden sich nicht mehr zurück. Man bekommt ihre Gedankenwelt einfach nicht zu fassen.

Sie haben trotzdem einen Weg gefunden, sie aus der Reserve zu locken.
Ich hatte die Idee, sie von Gleichaltrigen interviewen zu lassen. Nach und nach kamen die Schneeleoparden aus ihren Höhlen. Für viele war es sehr entlastend, zu sehen, dass sie mit ihren Ängsten und Zweifeln nicht allein sind.

Nach dem Abi steht ihnen die Welt offen. Warum sind sie so verunsichert?
46 Prozent der Abiturienten haben keinen Plan, was sie nach der Schule machen wollen. Sie können heute aus 19 000 Studiengängen und etlichen Ausbildungen wählen. Doch die unendlichen Möglichkeiten werden als Last empfunden. Der Druck, die richtige Entscheidung zu treffen, ist enorm. Alles muss perfekt sein.

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Woran liegt das?
Das hat mehrere Gründe. Früher gab einen Konsens darüber, was die Übergangsschritte sind: Ausbildung oder Studium, Beruf und Kinder. Das ist heute anders. Zudem wissen viele Jugendliche nicht, wer sie wirklich sind, was sie auszeichnet und was sie können. Aufgrund verkürzter Schulzeiten und dem Wegfall von Wehr- und Zivildienst sind viele noch sehr jung. Es ist ein Irrglaube zu denken, nach dem Abi strömten Erwachsene an die Unis. Hohe Abbrecherquoten sprechen eher dagegen.

Dabei gibt es bereits in der Schule Orientierungswochen zu Studium und Beruf.
Man kann die Angebote natürlich nicht über einen Kamm scheren, aber das Problem ist, dass sie oft an der Lebenswelt der Heranwachsenden vorbeigehen. Häufig stimmt das Timing nicht. Die besten Programme nutzen nichts, wenn die Jugendlichen gerade den Kopf dafür nicht frei haben.

Die Autorin Ulrike Bartholomäus, 54, schreibt über Kommunikation, Medizin und Politik. Sie lebt mit ihrer Familie in Berlin.
Die Autorin Ulrike Bartholomäus, 54, schreibt über Kommunikation, Medizin und Politik. Sie lebt mit ihrer Familie in Berlin.

© Bratto von Boehmer

Was raten Sie Eltern, deren Kinder nach dem Abi in eine Phase der Orientierungslosigkeit geraten?
Sie sollten ihre Kinder auf keinen Fall zu einer Laufbahn zwingen, sondern sie selbst wählen lassen. Sie könnten sich auch fragen, ob sie nicht zu hohe Erwartungen an ihren Nachwuchs stellen. Die meisten möchten, dass ihre Kinder etwas „Vernünftiges“ machen. Die Vorstellung, was das sei und die Wünsche der Jugendlichen klaffen aber oft auseinander. Das kann lähmend wirken.

Mischen sich Eltern zu sehr ein?
Definitiv. Jugendlichen wird heute zu viel abgenommen. Eltern organisieren Praktika, bezahlen teure Studienberatungen, fällen jede Entscheidung mit. Andererseits wollen sie ein freundschaftliches Verhältnis zum Kind und schrecken vor Konflikten zurück, zum Beispiel wenn es darum geht, im Haushalt mitzuhelfen. Am Ende machen sie die Einkäufe lieber selbst, als stundenlang darüber zu debattieren, wo der nächste Supermarkt ist.

Was sollten sie stattdessen tun, um Kindern den Rücken zu stärken?
Zwischen unterstützen und Ruder übernehmen liegt ein schmaler Grat. Richtige Entscheidungen selbst zu treffen, ist Übungssache. Das geht nur durch Erfahrung. Manchmal muss man Kinder auf die Nase fallen lassen, damit sie lernen, Verantwortung zu übernehmen. Viele Eltern haben damit ein Problem. Das Scheitern wird nicht akzeptiert. Das fängt schon bei den Noten an. Kinder stets an den Erfolgen anderer zu messen, ist nicht besonders förderlich. Vielen Jugendlichen fehlt es später an Selbstwert. Kein Wunder, dass sie dann große Angst davor haben, sich falsch zu entscheiden.

Was hat Sie bei den Recherchen am meisten überrascht?
Die exzessive Mediennutzung von Jugendlichen gepaart mit mangelndem Bewusstsein dafür, welche schlimmen Auswirkungen das für sie haben kann. Smartphones und Tablets sind nicht nur Zeitfresser, sie können auch süchtig machen. Das Risiko ist gerade bei Heranwachsenden am höchsten. Dabei geht es nicht nur um Computerspiele. Auch Instagram, Snapchat & Co machen abhängig. Es gibt sogar Studien, die den Zusammenhang von digitalem Überkonsum und Depressionen belegen.

Ulrike Bartholomäus: Wozu nach den Sternen greifen, wenn man auch chillen kann. Berlin Verlag - Piper Verlag.
Ulrike Bartholomäus: Wozu nach den Sternen greifen, wenn man auch chillen kann. Berlin Verlag - Piper Verlag.

© Cover: promo

In ihrem Buch raten Sie auch vom Dauerchillen ab. Warum?
Monatelang einfach nur herumzuhängen halten alle Psychologen und Hirnforscher für kontraproduktiv. In der Adoleszenz braucht das Gehirn Input, damit sich alle Hirnregionen gut miteinander verbinden können. Durch langes Nichtstun sterben Nervenzellen ab. Wer nicht studieren will oder keine Ausbildung anfangen möchte, sollte dann einfach Jobben. In Berlin werden hunderte Aushilfen gesucht. Es ist auch nicht verkehrt, eine Lehre zu machen, wenn man noch unsicher ist. Ein fertiger Berufsabschluss nach zwei bis zweieinhalb Jahren ist doch eine positivere Erfahrung als ein halbherzig angefangenes und dann abgebrochenes Studium.

Was halten Sie davon, dass viele Abiturienten erst einmal eine Auszeit nehmen?
Ein Gap Year ist eine sehr gute Idee. Ein Jahr reisen, Praktika machen, soziale Projekte betreuen – all das trägt zur Reife bei. Voraussetzung ist, dass die Reise selbst organisiert und zum Teil auch mitfinanziert wird. Ein All-inclusive- Programm auf Kosten von Mama und Papa an den Partystränden Asiens, wo man auf seine Mitabiturienten trifft, hilft nicht, die nötigen Erfahrungen zu machen, die einen weiterbringen. Wer nach so einem Jahr wiederkommt, ist manchmal genauso ratlos wie vorher.

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