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Debatte: Platz für den Glauben

Yunus M. darf laut Gericht im Gymnasium beten. Brauchen Schulen eigene Gebetsorte?

Die Vorschriften sind eindeutig: „Schulen sollten jeden vernünftigen Aufwand betreiben, um den Bedürfnissen ihrer Schüler nach täglichen Gebeten entgegenzukommen, indem sie einen angemessenen Platz zum Beten bereitstellen“, heißt es in der Handreichung der Bildungsverwaltung. „Das kann eine ruhige Ecke oder ein leerer Raum sein, oder was immer für beide Seiten zufriedenstellend ist.“

Eine klare Vorgabe, wie mit religiösen Schülern in einer von kultureller Vielfalt geprägten Großstadt umzugehen ist – nur stammt diese Handreichung nicht aus der Berliner Schulverwaltung, sondern aus der von Toronto, Kanadas multikultureller Metropole, die im pragmatischen Umgang mit Einwanderern und unterschiedlichen Kulturen auch in Deutschland manchen als Vorbild gilt.

In Berlin hingegen gibt es bislang für die Schulen keine derartigen Vorgaben, religiösen Schülern entgegenzukommen. Im Gegenteil, Berlins Bildungsverwaltung macht keinen Hehl daraus, dass sie die Schule nicht für den richtigen Ort hält, an dem Schüler demonstrativ beten oder auf andere Weise ihren Glauben ausleben sollten. „Schule in öffentlicher Trägerschaft ist ein Ort von Erziehung und Bildung in einem weltanschaulich und religiös neutralen Rahmen. Dies gilt es sicherzustellen“, fasste Bildungssenator Jürgen Zöllner (SPD) kürzlich die Position des Senats zusammen.

Äußern Schüler das Bedürfnis nach einem Raum für Gebete, sind die Schulen gehalten, dem nicht einfach zu entsprechen. Man wolle zwar „kein generelles Betverbot“ aussprechen, sagt der Sprecher der Schulverwaltung, Jens Stiller. Aber die Schulen sollten Schülern bei entsprechenden Wünschen deutlich machen, dass es immer nur Einzelfallentscheidungen geben könne, die bei einem Beharren des Schülers mit Hilfe der Schulaufsicht gefunden werden sollen – aber auch nur dann, wenn es der Schule keinen unzulässigen Aufwand abverlangt und ihre Neutralitätspflicht nicht verletzte werde.

Im Fall des 16-jährigen Yunus M. fand sich keine einvernehmliche Lösung. Er wollte mit Freunden beten, die Leiterin seines Weddinger Gymnasiums versagte es ihm, er ging vor Gericht und bekam recht. Das Verwaltungsgericht bekräftige vergangene Woche eine Entscheidung vom Vorjahr: Die staatliche Neutralitätspflicht gebiete es nicht, gegen religiöse Betätigungen Einzelner vorzugehen. Auch das Grundgesetz ist in der Sache eindeutig: „Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich“, heißt es in Artikel 4. Und weiter: „Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.“

Dennoch provozierte die Gerichtsentscheidung Widerspruch. Politiker, Gewerkschafter und der Türkische Elternverein befürchten, dass andere Schüler nun ebenfalls Gebetsräume fordern könnten. Auch die Schulverwaltung bedauert, dass das Gericht dem „Bildungs- und Erziehungsauftrag in einem religiös und weltanschaulich neutralen Raum Nachrang eingeräumt“ habe.

Berlins Integrationsbeauftragter Günter Piening hingegen sieht keine negativen Folgen für die Integration. Schon heute gewährten viele Schulen einzelnen Schülern die Möglichkeit zum Gebet – ohne Probleme. Pienings Appell: „Ich mahne Gelassenheit an.“ In Toronto ist das eine Selbstverständlichkeit. In Berlin ist es bis dahin wohl noch ein weiter Weg.

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