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Michael Müller (SPD), Regierender Bürgermeister von Berlin, besuchte am Freitag das Oberstufenzentrum Lise Meitner in Berlin und sprach mit Schülern.

© Bernd von Jutrczenka/dpa

Lise-Meitner-Schule in Berlin-Neukölln: Schüler streiten mit Michael Müller

Am OSZ in Neukölln war am Freitagmorgen der Regierende zu Gast. Er stellte sich den durchaus kritischen Fragen der Schüler rund um Flüchtlinge und den BER.

Von Ronja Ringelstein

Der Regierende Bürgermeister hat an diesem Freitag in aller Frühe den Wahlkampf im Klassenzimmer eröffnet. Gegen 9 Uhr fuhren zwei schwarze Limousinen vor das Gebäude der Lise-Meitner-Schule in Neukölln, wenige Minuten später betrat Michael Müller (SPD) die überfüllte Bibliothek des Oberstufenzentrums. Er zurrte das Jackett zurecht und machte sich bereit für eine Stunde Diskussion mit rund 80 Schülern auf engstem Raum über die Themen Flüchtlinge, innere Sicherheit und Verwaltung in Berlin. Unter den Schülern war auch Sascha Henke. Ein junger Mann mit dunklem Pferdeschwanz, 25 Jahre ist er alt und macht eine Ausbildung zum biologisch-technischen Assistenten. Politisch interessiert ist er aber auch, und wie die meisten Schüler hier hatte er sich gut auf das Treffen vorbereitet. Er wollte am Freitag nach Müllers Plänen zum Tempelhofer Feld fragen.

Die Schüler hatten keine Scheu, Müller zu kritisieren

"Eigentlich sollte die Veranstaltung in der Mensa stattfinden - aber da wird jetzt Klausur geschrieben", sagte Senatssprecherin Daniela Augenstein noch, bevor es losging. Es war also eng, und die räumliche Nähe zu Müller kann ein Grund gewesen sein, dass die Schüler keine Berührungsängste auf verbaler Ebene hatten: "Wieso werden Milliarden in einen Flughafen gesteckt, der nie fertig wird und Schulen bekommen prozentual viel weniger?", fragte etwa eine Schülerin. "Da haben Sie jedes Vorurteil in eine Frage gesteckt", konterte Müller die Kritik und gestand ein: "Ja, der Flughafen ist eine Baukatastrophe."

Aber es würden ja nicht "immer wieder Milliarden reingepumpt", sondern insgesamt rund fünf Milliarden Euro ausgegeben. "Etwa beim Lärmschutz wurde mit einer Kalkulation von 100 Millionen Euro gestartet, inzwischen ist man da bei 700 Millionen Euro, weil es eine andere Rechtsprechung gibt und die Leute sich das einklagen", erklärte Müller. Und das sei nur ein Bereich, wo viel mehr ausgegeben würde als erwartet, der mit einer Baukatastrophe aber nichts zu tun habe. Dass ursprünglich durch die Flughafengesellschaft Berlin-Brandenburg für den BER nur Billig-Schallschutzmaßnahmen bewilligt wurden, für ein Sechstel des gesetzlich vorgeschriebenen Standards, ließ Müller an dieser Stelle unerwähnt.

"Es ist außerdem genau umgekehrt: die Bildungsausgaben sind von zwei auf drei Milliarden im Haushalt pro Jahr gestiegen." Das mache den Schwerpunkt in der Bildungspolitik deutlich. An dieser Stelle wirkte das junge Publikum noch nicht besonders überzeugt. Doch Müller zeigte sich kampfbereit und warnte: "Spielen Sie die Sachen nicht gegeneinander aus!" Denn man brauche Bildung, aber auch Arbeitsplätze. Und die kämen über den Flughafen. "Die Arbeitsplätze warten dringend auf den Flughafen", so der Bürgermeister. In diesem Punkt schien er das Publikum nun doch überzeugt zu haben.

Flüchtlinge in Berlin waren das Hauptthema

Das Thema Flüchtlinge in Berlin wurde von den Schülern vorab als Hauptthema ausgewählt, wie Heribert Ickerott, der Lehrer, der die Diskussion moderierte, sagte. Er selbst fragte Müller danach, wie Schulen damit umgehen sollen, die Willkommensklassen einzurichten, wo doch "weder genug Räume, noch Personal, noch ein Konzept" vorhanden seien. "Flexibel", lautete Müllers schnoddrige Antwort. Ein Lachen ging durch den Raum. Doch Müller meinte es ernst: "Ja, ist so", schob er nach. "Wir haben eine dramatische Situation und ich erwarte Flexibilität und Offenheit, wenn Sie Menschen helfen wollen. Wenn man helfen will, dann muss ich auch spontan reagieren und mit Übergangslösungen und Kompromissen arbeiten." Da müsse man auch hinnehmen, dass in den Willkommensklassen keine ausgebildeten Pädagogen Grundkenntnisse in Deutsch vermittelten, sondern etwa Studierende.

"Ich appelliere an Sie, sich für das Tempelhofer Feld einzusetzen"

Besonders interessiert zeigten sich die Schüler an den Plänen zur Unterbringung der Flüchtlinge in Berlin. Und eine der Schülerin appellierte an den Regierenden: "Herr Müller, ich möchte an Sie appellieren, sich so gut wie möglich für das Tempelhofer Feld einzusetzen." Und Müller versprach, dass die Freifläche "jetzt niemand anfasst". Insgesamt sollen bis zu 5000 Menschen maximal in den Hangars und auf dem Vorfeld untergebracht werden. "Mehr geht nicht, ganz egal bei welcher Bevölkerungsgruppe. 5000 Schwaben auf einem Raum wäre auch problematisch", wieder ein Lacher bei den Schülern.

"Ghettos" auf dem Tempelhofer Feld?

Dann nutzte der Schüler Sascha Henke seine Gelegenheit, um Müller die Änderung des Tempelhof-Gesetzes vorzuwerfen: "Sie ändern das vom Bürger legitimierte Gesetz, obwohl es doch nicht nötig ist. Nach dem Baugesetzbuch darf man zeitlich begrenzt für Flüchtlinge Unterkünfte errichten, auch ohne Gesetzesänderung. Können Sie nicht verstehen, dass manch Bürger dann denkt, dass Sie sich da eine Hintertür offenhalten, zur Bebauung des Feldes?" Nein, das könne er, Müller, nicht verstehen. Er habe sich in voller Überzeugung für eine Randbebauung eingesetzt, die aber nichts mit den jetzigen Unterbringungen zu tun habe. Auch sei die juristische Lage nicht so eindeutig: "Ich tue es mir nicht an, dass ich jetzt Unterkünfte baue, dann klagt einer und ich muss sie wieder abreißen", deshalb werde das Gesetz geändert.

"Menschen zu helfen, bedeutet nicht ein Doppelstockbett in einer Lagerhalle. Dafür brauche ich Infrastruktur." Aber Henke ließ sich nicht so schnell überzeugen und sprach Müller auf den Vorwurf des "Ghettos" in Tempelhof an. "Glauben Sie denn, dass das Zusammenpferchen von tausenden Menschen in ein Massenlager irgendwie dienlich ist?", bohrte Henke weiter nach. "Welche Idee haben Sie denn?", fragte Müller zurück. Auch davon ließ sich der Schüler nicht aus der Ruhe bringen und schlug vor, "brachliegende Flächen oder leerstehende Gebäude und Wohnungen" zu benutzen. "Großartige Idee" fand Müller, aber das, was man da habe, sei die Größenordnung eines Monats. "Was mach ich dann in einem Monat?"

Darauf hatte Sascha Henke keine Antwort mehr. Am Ende war er nicht ganz zufrieden mit dem Regierenden Bürgermeister. "Wenn in einem Monat die Wohnungen voll wären, wäre ja dann auch Tempelhof voll", so Henke. Da verstehe er die Argumentation des Regierenden nicht. "Dass er sich den Fragen aber so stellt, demonstriert Bürgernähe", findet Henke. Von manchen Antworten sei er sogar beeindruckt gewesen, allerdings unter Vorbehalt: "Ich werde das zu Hause alles nachprüfen."

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